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LAIRE/1059: Pentagon will mit Zahlentricks Guantánamo legitimieren (SB)


US-Verteidigungsministerium gibt mysteriöse "Rückfallquote" ehemaliger Guantánamo-Häftlinge bekannt


Durchsichtiger geht's nicht: Kaum hat der designierte US-Präsident Barack Obama am Sonntag in einem Interview mit dem US-amerikanischen TV-Sender ABC bekräftigt, daß er das Folterlager Guantánamo schließen wolle, behauptet zwei Tage darauf Pentagon-Sprecher Geoff Morrell, daß 18 aus Guantánamo entlassene Gefangene nachweislich und 43 weitere wahrscheinlich im Anschluß an ihre Freilassung in "terroristische Aktivitäten" verwickelt waren. Die vermutete Rückfallquote sei von sieben Prozent (37 Personen) auf elf Prozent (61 Personen) gestiegen. [1]

Es ist offensichtlich, daß die Bush-Administration mit dieser Bekanntgabe ihrem Nachfolger in die Parade fahren will. Zudem versucht sie einmal mehr nahezulegen, daß die Einrichtung auf dem Militärstützpunkt Guantánamo Bay ihre Berechtigung hat und die eingesetzte Folter - üblicherweise als "harte Verhörmethode" verharmlost - unverzichtbar ist.

An Morrells Darstellung, die auch von den deutschen Mainstreammedien von "Der Spiegel" bis zur Deutschen Welle fleißig kolportiert wird [2], stimmt fast nichts. Und der Rest ist unbrauchbar, da genausowenig belegt wie einst die Massenvernichtungswaffen, deren Existenz man Saddam Hussein unterstellt hat und von denen längst eingeräumt wurde, daß sie nie existierten und die entsprechende Belege gefälscht waren.

Mit Bezeichnungen wie "Rückfallquote" im Zusammenhang mit den entlassenen Guantánamo-Häftlingen wird von vornherein unterstellt, daß sie sich tatsächlich etwas haben zu Schulden kommen lassen. Daraus folgt wiederum unausgesprochen, daß die USA gut daran taten, diese Personen aus dem Verkehr zu ziehen.

Mit dieser indirekten Argumentation torpediert die US-Regierung die Unschuldsvermutung. Wenn Guantánamo-Gefangene nicht verurteilt wurden, sind sie unschuldig. Deswegen können sie auch nicht rückfällig werden. Die Tatsache, daß sie in Guantánamo einsaßen, hat die Ex-Gefangenen stigmatisiert, und diese Stigmatisierung soll hier mit schuldig gleichgesetzt werden.

Von einer Rückfallquote kann nicht die Rede. Das schließt nicht aus, daß sich ein gewisser Prozentsatz der Ex-Gefangenen nach vielen Jahren Folterhaft und maßlosem Leid für sich und die Familie dazu entschlossen hat, die US-Regierung und ihre Verbündeten fortan zu bekämpfen. Es ist aber eine unbewiesene Unterstellung, daß das irgend etwas mit dem vorherigen Leben, das durch die lange Haftzeit in der Regel völlig zerstört wurde, zu tun hat. Möglicherweise wurden die Gefangenen, die sich angeblich dem Terrorismus zugewandt haben, im Folterknast, zwischen Waterboarding, Schlafentzug und medizinischen Mißhandlungen, politisiert und haben unter der Knute der Wachen Geschmack am bewaffneten Kampf gefunden.

Pentagon-Sprecher Morrell sprach davon, daß sich die sogenannte Rückfallquote von zuvor sieben auf nunmehr elf Prozent erhöht hat. Das klingt nach einem nicht zu vernachlässigenden Verhältnis - wenn es sich tatsächlich genau so verhielte, wie es nahegelegt wird. Auf Nachfrage eines Journalisten bestätigte Morrell, daß die Gesamtsumme bei 61 Ex-Häftlingen läge.

Nun ist zwar bekannt, daß die US-Regierung die Menschenrechte mit Füßen tritt, aber daß sie das gleiche auch mit der Mathematik versucht, ist neu. Seit der Eröffnung des Gefangenenlagers auf dem Militärstützpunkt Guantánamo Bay wurden insgesamt mehr als 1000 Personen inhaftiert, somit läge die "Rückfall"-Quote bei 6,1 Prozent. Wie Morrell auf die Zahl elf Prozent kommt, bleibt ein Rätsel, das wohl nur die US-Regierung lösen kann.

Vordergründig sollte mit der Bekanntgabe dieser Zahlen der Obama-Regierung ein Stock zwischen die Beine geworfen werden. Dahinter verbirgt sich allerdings eine fundamentale, auf die Qualifizierung von Herrschaft abzielende Vorstellung vom Verhältnis zwischen Staat und Bürgern. Guantánamo ist das Gestalt gewordene Symbol für den Vollverfügungsanspruch des Staates gegenüber dem einzelnen. Dieser Anspruch wird mit Hilfe des Begriffs des "Terroristen" zu erfüllen versucht - und Menschen werden Terroristen genannt, damit sie diese Vorreiterrolle spielen -, er soll jedoch den Weg zu einer breiten Anwendung freimachen. Deshalb änderte die Schließung Guantánamos auch nichts an den vorherrschenden Gewaltverhältnissen. In diesem Sinne wird es Guantánamo weiterhin geben, selbst wenn seine Tore geschlossen werden - und es hat auch früher schon Guantánamos gegeben, nur daß sie andere oder keine Namen besaßen und sich nicht auf Kuba, sondern in Kambodscha, Vietnam, Chile, Argentinien, etc. befanden.


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Anmerkungen:

[1] http://www.defenselink.mil/transcripts/transcript.aspx?transcriptid=4340

[2] http://www.dw-world.de/dw/article/0,,3943979,00.html http://www.tagesschau.de/ausland/guantanamo178.html http://www.zeit.de/news/artikel/2009/01/14/2705530.xml http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,601133,00.html

14. Januar 2009