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STANDPUNKT/919: Auf abschüssiger Bahn (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 16. Januar 2020
german-foreign-policy.com

Auf abschüssiger Bahn

Atomabkommen mit Iran vor dem endgültigen Scheitern. Berlin toleriert weiterhin US-Drohnenmord an iranischem Spitzenfunktionär


BERLIN/TEHERAN - Mit der Einleitung des Streitschlichtungsmechanismus im Atomkonflikt mit Iran hat die Bundesregierung das Ende des Atomabkommens mit dem Land ein Stück näher gebracht. Teheran hatte zuvor angekündigt, eventuell von seinem Recht Gebrauch zu machen, sich entsprechend Artikel 26 des Abkommens nach dem Vertragsbruch durch die USA nicht mehr an die Beschränkung der Urananreicherung zu halten. Laut Auskunft der Internationalen Atomenergiebehörde, die Irans Atomanlagen weiterhin überwacht, sind der Ankündigung allerdings noch keine praktischen Schritte gefolgt. Berlin, Paris und London behaupten, Teherans Vorgehen nicht hinnehmen zu können, nehmen gleichzeitig aber das Vorgehen der Trump-Administration hin, die nicht nur das Abkommen gebrochen hat, sondern mit dem Mord an Qassem Soleimani und einem weiteren Mordversuch sogar zu Morden an höchstrangigen Amtsträgern feindlicher Staaten übergegangen ist. Deutschland entwickelt sich damit, während es massiv für künftige Kriege rüstet, einmal mehr zum stillschweigenden Komplizen schwerster Verbrechen verbündeter Staaten.

Artikel 26

Anlass der Ankündigung Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens, im Streit um das Atomabkommen mit Iran den Streitschlichtungsmechanismus auszulösen, ist die Mitteilung der iranischen Regierung vom 5. Januar, ab sofort keine Beschränkung für ihre Urananreicherung mehr zu akzeptieren. Man werde jedoch auch in Zukunft mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zusammenarbeiten, hieß es in Teheran. Auch sei man bereit, alle Beschränkungen im Fall einer Aufhebung der US-Sanktionen wieder einzuhalten.[1] Die IAEA bestätigt bis heute, dass Iran der Mitteilung vom 5. Januar noch keine Konsequenzen folgen lassen hat. Dabei entspricht die Reaktion des Landes vollumfänglich dem Wortlaut des Atomabkommens. Darin heißt es in Artikel 26: "Iran hat mitgeteilt, dass es eine Wiedereinführung oder Wiederinkraftsetzung der Sanktionen, wie sie in Anhang II ausgeführt sind, oder eine Inkraftsetzung neuer nuklearbezogener Sanktionen als Anlass behandeln wird, die Einhaltung seiner Verpflichtungen aus diesem Abkommen ganz oder teilweise zu beenden."[2] Dem entspricht die Erklärung vom 5. Januar.

Staatsverbrechen (I)

Tatsächlich haben nicht nur die Vereinigten Staaten mit der Wiedereinführung von Sanktionen einschließlich ihrer extraterritorialen Durchsetzung das Atomabkommen gebrochen. Hinzu kommt, dass Deutschland, Frankreich und Großbritannien zwar ihrerseits keine neuen Sanktionen verhängt haben, dass sie aber die extraterritoriale Durchsetzung der US-Sanktionen gegenüber deutschen, französischen und britischen Firmen nicht verhindern und damit gleichfalls zumindest dem Geist des Atomabkommens zuwiderhandeln. Konkreter Anlass für die iranische Erklärung vom 5. Januar ist zudem der Drohnenmord an Qassem Soleimani und weiteren hochrangigen iranischen und irakischen Militärs gewesen - ein Verbrechen, das dem Mord etwa an einem US-Generalstabschef mit einer iranischen Rakete gleichzusetzen wäre und vom Völkerrecht in keiner Weise gedeckt ist (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Inzwischen ist bekannt, dass Washington am 3. Januar außerdem versucht hat, einen Befehlshaber der von Soleimani geführten Al-Quds-Brigaden zu ermorden.[4] Bei der Aktion, die freilich misslang, handelt es sich um einen rechtlich ebensowenig legitimierbaren Mordversuch. Laut Aussage von US-Außenminister Mike Pompeo ging es der US-Regierung bei den Morden am 3. Januar darum zu zeigen, dass sie auf "echte Abschreckung" setze: "Dein Gegner muss begreifen, dass du nicht nur fähig bist, ihm Kosten aufzuerlegen, sondern dass du auch tatsächlich bereit bist, dies zu tun."[5] Dies gelte auch für die "Abschreckung" gegenüber Russland und China.

Artikel 36

Während Berlin, Paris und London den Übergang Washingtons zu offenem Vertragsbruch und zum Mord an hohen Funktionsträgern verfeindeter Staaten zwar verbal vor der Öffentlichkeit kritisieren, sie faktisch aber völlig folgenlos lassen, erklären sie nun, ihnen bleibe "angesichts des iranischen Vorgehens", das freilich dem Wortlaut von Artikel 26 des Atomabkommens entspricht, "keine andere Wahl, als unsere Bedenken, dass Iran seine Verpflichtungen aus der Nuklearvereinbarung nicht einhält, heute zu Protokoll zu geben" - und den Streitschlichtungsmechanismus laut Artikel 36 des Abkommens auszulösen. Formal werden nun die stellvertretenden Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Russlands, Chinas und Irans unter der Leitung der Generaldirektorin des Europäischen Auswärtigen Diensts, der deutschen Diplomatin Helga Schmid, zu Gesprächen zusammenkommen. Nach 15 Tagen kann eine Fristverlängerung erfolgen; andernfalls können dann die Außenminister und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell für weitere 15 Tage eingeschaltet werden. Bleibt eine Einigung weiterhin aus, können die drei europäischen Mächte den Fall an den UN-Sicherheitsrat weiterleiten. Gelangt dieser zu keiner Einigung - und das kann aufgrund der bekannten US-Positionen als sicher gelten -, treten sämtliche Sanktionen wieder in Kraft.

Auf dem Weg zur Rechtlosigkeit

Kommt es dazu, dann wäre einer der ersten bedeutenderen Versuche der europäischen Mächte gescheitert, eigene Positionen in der Weltpolitik auch gegen US-Interessen zu realisieren: Berlin, Paris und Brüssel hatten mit dem Kampf um das Atomabkommen mit Teheran letztlich auch ihre Fähigkeit zu demonstrieren versucht, sich punktuell gegen Washington durchzusetzen.[6] Hinzu kommt, dass das Vorgehen der Bundesregierung seit dem US-Drohnenmord vom 3. Januar zeigt, dass Berlin nicht nur offene Vertragsbrüche der USA toleriert, sondern -ungeachtet verbaler Abgrenzung vor der Öffentlichkeit - faktisch auch US-Morde an ranghöchsten Funktionsträgern fremder Staaten. Damit bewegt sich das transatlantische Bündnis auf eine abschüssige Bahn mit Kurs auf vollständige Rechtlosigkeit in der Weltpolitik. Dies ist umso bedrohlicher, als die Bundesregierung eine massive Aufrüstungskampagne betreibt und die Verteidigungsministerin offiziell die Ausweitung deutscher Militärinterventionen fordert (german-foreign-policy.com berichtete [7]).

Staatsverbrechen (II)

Deutsche Komplizenschaft mit schwersten Staatsverbrechen wäre freilich nicht neu. Bereits im "Anti-Terror-Krieg", der nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gestartet wurde, beteiligte sich die Bundesrepublik aktiv an CIA-Maßnahmen, die die Verschleppung von Verdächtigen, ihre Folter in berüchtigten auswärtigen Gefängnissen und in manchen Fällen auch Mord an ihnen zum Gegenstand hatten. Zuweilen waren auch deutsche Staatsbürger betroffen; deutsche Behörden leisteten Beihilfe zu ihrer Verschleppung, leiteten während der Folterverhöre im Ausland Fragenkataloge an die Verhörspezialisten weiter und verweigerten Betroffenen die Rückreise nach Deutschland auch dann, wenn sie erwiesenermaßen unschuldig waren und die Rückreise ihre Befreiung ermöglicht hätte (german-foreign-policy.com berichtete [8]). Beteiligt waren neben der Bundesrepublik diverse weitere europäische Staaten, darunter nicht zuletzt Polen und Rumänien, die Geheimgefängnisse für CIA-Verschleppungen unterhielten. Die Bundesregierung hat einer Aufklärung der Vorgänge immer wieder Steine in den Weg gelegt.[9] Verantwortliche wurden nie belangt; der damalige Kanzleramtschef, der die Kooperation der Bundesrepublik mit den CIA-Maßnahmen koordinierte, amtiert heute als Bundespräsident.[10] Künftige deutsche Komplizen staatlicher Verbrechen dürfen sich in Sicherheit wiegen: Berlin hat seine Durchhaltefähigkeit gegenüber sämtlichen Aufklärungsversuchen hinlänglich bewiesen.


Anmerkungen:

[1] Parisa Hafezi: Iran says no limits on enrichment, stepping further from 2015 deal: TV. reuters.com 05.01.2020.

[2] Joint Comprehensive Plan of Action. Vienna, 14 July 2015.

[3] S. dazu Ein Mord und die Folgen
https://www.german-foreign-policy.com/news/news/detail/8145/

[4] Ein umfassender Schlag gegen Irans militärische Fähigkeiten? Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.01.2020.

[5] Pompeo: Iran abschrecken. Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.01.2020.

[6] S. dazu Ein "Muskelaufbauprogramm" für die EU
https://www.german-foreign-policy.com/news/news/detail/8156/

[7] S. dazu The Germans to the front
https://www.german-foreign-policy.com/news/news/detail/8099/
und Novembertrommeln
https://www.german-foreign-policy.com/news/news/detail/8101/

[8] S. dazu Steinmeier und seine Komplizen
https://www.german-foreign-policy.com/news/news/detail/3402/
und Zwei weitere Männer
https://www.german-foreign-policy.com/news/news/detail/3648/

[9] S. dazu Abgleiten in die Barbarei (II)
https://www.german-foreign-policy.com/news/news/detail/3719/

[10] S. dazu Präsidiable Politik
https://www.german-foreign-policy.com/news/news/detail/7213/

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2020

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