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STANDPUNKT/794: Kubas Verfassungsreform gibt Mut! (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Kubas Verfassungsreform gibt Mut!

Von Günter Buhlke, 27. August 2018


Die Lage in der Welt

Seit vielen Jahren befindet sich die Welt in einer von Umbrüchen geprägten Epoche. Ständige wirtschaftliche und politische Krisen zwingen zum Hinterfragen, ob das kapitalistische System mit einer Logik der egoistischen Geldakkumulation in der Lage ist, den künftigen Anforderungen der Natur, der Demokratie und an die bürgerlichen Ideale der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gerecht zu werden. Bürgerliche Politiker finden seit Jahren keine dauerhaften Alternativen zur Vermeidung tiefgehender Widersprüche. Sanktionen, Boykotte, Erhöhung der Militäretats, Überwachungspraktiken, inhumane Abwehr von Flüchtenden, Absenkung des sozialen Niveaus schaffen keine stabilen Zukunftslösungen. Deutsche Politiker bündeln ihre Unruhe hinter der Losung "Kein weiter so". Ursachen der Krisen und der misslichen Lagen werden öffentlich selten aufgeklärt.

In diesem Szenarium der Welt ist Kubas Verfassungsprojekt ermutigend. Versuche nach sowjetischer Version den Sozialismus des 20. Jahrhunderts zu entwickeln, brachten trotz beachtlicher Fortschritte in Einzelbereichen keine befriedigenden Gesamtlösungen. China, Vietnam und andere Länder unternehmen gegenwärtig Varianten für soziale Alternativen in der Gesellschaft entsprechend ihren konkreten Bedingungen. Abschließende Einschätzungen sind noch nicht möglich.


... und in Lateinamerika

In Lateinamerika betreibt die Administration der USA unter Trump umfangreiche Aktivitäten einer Roll-Back Politik gegen Fortschrittsbewegungen in Brasilien, Argentinien, Kolumbien, Nicaragua. Das mit vielen Hoffnungen bedachte Venezuela steht gegenwärtig im Fokus der Großmacht. Die humanistischen Ideen von Chávez verdienen solidarische Unterstützung und nicht, medial mit zweifelhaften Argumenten an dem Pranger gestellt zu werden. Mit Unterstützung einheimischer rechter Kräfte werden Aktionen durchgeführt, um die Regierung zu schwächen. Beispiele sind die Störung der Versorgung, die Verstärkung der Inflation, Sanktionen, Boykotte. Mediale Hysterien fördern Fluchtbewegungen. Bedenklich sind Überlegungen im Weißen Haus, eine militärische Option zur Anwendung zu bringen. Das Verhalten der USA kann nur so interpretiert werden, dass sie ihr chaosschwangeres System mit allen Mitteln verteidigen wollen. Ein Verständnis für Kubas Politik und Verfassung kann nicht erwartet werden.

Der Kongress der USA hat im August dieses Jahres 35 Millionen US-Dollar bereitgestellt, um seine "Demokratie-Version" in Kuba und Venezuela zu verwirklichen.

In diesem internationalen Umfeld passt Kuba seine Verfassung an die herangereiften Bedingungen an. Das Land zeigt für sein historisches Projekt der sozialen Logik erneut Flagge. Kuba hat bereits beachtliche humanistische und soziale Werte geschaffen. Zum Beispiel die Gleichheit, die Teilhabe der Bürger, Brüderlichkeit, auch in internationalen Bereichen, die Verbannung der Armut, des Hungers, der Arbeitslosigkeit. Das kubanische Bildungs- und Gesundheitswesen besitzt weltweit einen hohen Beispielswert. Die neue kubanische Verfassung wird so einen hohen Grad an Legimitation erhalten.

Fortschrittliche Verfassungen haben in Lateinamerika Tradition. Angefangen von der mexikanischen, die 1917 weltweite Aufmerksamkeit mit Regelungen eines Achtstunden-Arbeitstages, Regelungen zur Sozialversicherung und Schutz der nationalen Bodenschätze gegenüber dem Ausland. Die Verfassungen von Venezuela, Bolivien, Ecuador, die im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts entstanden, bereiten Zukunftswege für den sozialen Fortschritt.


Eine Anmerkung zum Entwurf der Nationalversammlung

Der Vorschlag des kubanischen Arbeitspapiers sieht eine Amtszeit des Präsidenten von zweimal fünf Jahren vor. Die Frist sollte überdacht werden. Eine Zeitdauer von zehn Jahren ist nach internationalen Erfahrungen, auch kapitalistischer Länder, zu kurz bemessen, um gesellschaftlich wichtige Projekte vorzubereiten, zu realisieren und zu erproben. Die Wirtschaft benötigt für große Projekte der Daseinsvorsorge bis zu zwanzig Jahre. Beispielsweise für Vorhaben der Verkehrsinfrastruktur (Häfen, Straßenbau, Eisenbahn, Flugplätze), Projekte der Energie- und Wasserwirtschaft, der Abfallentsorgung. Der Aufbau neuer Industriezweige zur Verbesserung der Position Kubas in der internationalen Arbeitsteilung erfordert viele Jahre, wenn das Netz der Zusatzbedingungen beachtet wird (Anschlüsse an Energie-, Wasser- und Straßennetze, Heranbildung der Facharbeiter, Einrichtungen wissenschaftlich-technischer Kapazitäten, Zuliefernetze usw.).

Die Wirtschaft verläuft seit ihren Anfängen in Reproduktionskreisläufen, die real länger als zehn Jahre zu Buche schlagen. Andere verfassungsmäßig festgelegte Mechanismen sollten für die Arbeit des Präsidenten eines sozialistischen Landes festgelegt werden, anstelle einer reinen Zeitbegrenzung. Hinter ihm stehen in einem Land mit sozialistischen Prinzipien keine privaten Nutznießer-Gruppierungen, wie es in kapitalistischen Ländern der Fall ist. Eine ausgewogene Machtbalance zwischen Präsident, Parlament und Justiz ist mit der Verfassung dennoch zu sichern.

Gegenwärtig laufen landesweit Volksversammlungen zum Verfassungstext. Das stärkt die solidarische Zuversicht, dass Kuba eine ausgewogene und zukunftsträchtige Magna Charta mit einem hohen Grad an Legitimation erhalten wird.


Über den Autor

Günter Buhlke. Geb. 1934. Verh. Studium an der Humboldtuniversität und der Hochschule für Ökonomie Berlin. Dipl. Volkswirtschaftler. Internationale Arbeit als Handelsrat in Mexiko und Venezuela. Koordinator für die Wirtschaftsbeziehungen der DDR zu Lateinamerika. Wirtschaftserfahrungen als langjähriger Leiter des Schweizerischen Instituts für Betriebswirtschaft in Berlin, Vorstand einer Wohnungsgenossenschaft und Referent im Haushaltsausschuss der Volkskammer und des Bundestages. Gegenwärtig ehrenamtliche Tätigkeiten.


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Reto Thumiger
E-Mail: redaktion.berlin@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2018

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