Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → MEINUNGEN


STANDPUNKT/580: Einpeitscher (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 5. September 2016
(german-foreign-policy.com)

Einpeitscher


BERLIN (Eigener Bericht) - Die Alternative für Deutschland (AfD) zieht als zweitstärkste Kraft in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ein und entwickelt sich zur bei Wahlen erfolgreichsten Rechtsaußen-Partei in der Geschichte der Bundesrepublik. Laut vorläufigem Endergebnis stimmte bei den gestrigen Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern mehr als jeder fünfte Wähler für die AfD; es gelingt der Partei in zunehmendem Maße, das in der Bundesrepublik seit je vorhandene ultrarechte Stimmpotenzial zuverlässig abzugreifen. Umfragen zufolge vertreten aktuell mehr als ein Fünftel der deutschen Bevölkerung rassistische Positionen; offene Ressentiments gegen Sinti und Roma sowie gegen Muslime finden die Zustimmung von mehr als der Hälfte der Deutschen. Nicht nur stark, sondern sogar hegemonial sind inzwischen Haltungen, die sich gegen Asylsuchende richten: 85 Prozent der Bevölkerung sprechen sich aktuell für "schnellere Abschiebemöglichkeiten" aus. Stimmungsmache gegen Flüchtlinge wird auch aus dem deutschen Establishment heraus betrieben; so hat das ehemalige Bundesbank-Vorstandsmitglied Thilo Sarrazin (SPD) jüngst in einer führenden deutschen Tageszeitung zu tiefen Einschnitten bei der Genfer Flüchtlingskonvention aufgerufen und die militärische Erzwingung von Abschiebungen verlangt. Solche Forderungen öffnen die Debatte noch weiter nach rechts und stärken damit die AfD.


Wahlerfolg

Die Alternative für Deutschland (AfD) hat am gestrigen Sonntag bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern 20,8 Prozent der Stimmen erzielt und zieht als zweitstärkste Kraft in den Schweriner Landtag ein. Damit setzt sie die Serie ihrer Wahlerfolge fort. Zuletzt hatte sie bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz 12,6 Prozent, in Baden-Württember 15,1 Prozent und in Sachsen-Anhalt sogar 24,3 Prozent der Stimmen gewinnen können. Sie entwickelt sich damit zur bei Wahlen erfolgreichsten Rechtsaußen-Partei in der Geschichte der Bundesrepublik.


Das rassistische Wählerpotenzial

Der AfD gelingt es offensichtlich in zunehmendem Maße, das in der Bundesrepublik seit je vorhandene ultrarechte Wählerpotenzial abzugreifen. Zwar ist, glaubt man den Leipziger "Mitte-Studien" [1], der Anteil derjenigen, die ein geschlossen rechtsextremes Weltbild vertreten, von 9,7 Prozent im Jahr 2002 auf 5,4 Prozent 2016 zurückgegangen. Doch müssen nach wie vor mehr als ein Fünftel (20,4 Prozent) der Bevölkerung als rassistisch eingestuft werden. Sogar 32,1 Prozent stimmen der Behauptung zu, "die Ausländer" kämen "nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen"; 33,8 Prozent sind der Ansicht, Deutschland sei "durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet".[2] Noch weitaus höhere Umfragewerte erzielen Aussagen, die sich gegen Sinti und Roma sowie gegen Muslime richten. So äußern fast drei Fünftel (57,8 Prozent) der Bevölkerung "Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten"; 58,5 behaupten: "Sinti und Roma neigen zur Kriminalität". 41,4 Prozent fordern, Muslimen solle die Zuwanderung nach Deutschland prinzipiell "untersagt werden"; sogar 50,0 Prozent fühlen sich aufgrund der Anwesenheit von Muslimen "wie ein Fremder im eigenen Land". Die überaus starke Verbreitung von Ressentiments gegen Muslime ist auch eine Folge jahrelanger antiislamischer Agitation von Politik und Medien im Rahmen des sogenannten Anti-Terror-Kriegs.


Abschieben, abschieben, abschieben

Nicht nur hoch, sondern sogar hegemonial sind in der Bundesrepublik gegenwärtig Haltungen, die sich gegen Asylbewerber richten. So meinen laut der jüngsten Leipziger "Mitte-Studie" 59,9 Prozent der Bevölkerung zu wissen, "die meisten Asylbewerber" befürchteten nicht wirklich, "in ihrem Heimatland verfolgt zu werden". Mehr als vier Fünftel (80,9 Prozent) fordern zudem, "bei der Prüfung von Asylanträgen" dürfe "der Staat nicht großzügig sein".[3] Einer aktuellen YouGov-Umfrage zufolge sprechen sich sogar 85 Prozent der Deutschen dafür aus, der Staat solle für "schnellere Abschiebemöglichkeiten" sorgen.[4] Hat die AfD derartige Positionen von Anfang an vertreten, so hat sich zuletzt Bundeskanzlerin Angela Merkel angeschlossen: Die Abschiebungen aus der Bundesrepublik müssten deutlich ausgeweitet werden, erklärte sie Ende vergangener Woche; nun stünden "Rückführung, Rückführung und nochmals Rückführung" an.[5]


Neue Abschieberekorde

Rückenwind erhält die AfD nicht nur durch derlei nachholende Zustimmung zu Forderungen, die sie seit je vertritt, sondern auch dadurch, dass nach wie vor Teile des deutschen Establishments AfD-Positionen in zentralen Bereichen teilen. So findet nicht nur die Auffassung, deutsche Unternehmen würden von einer drastischen Schrumpfung oder gar einer Auflösung der Eurozone in hohem Maße profitieren, Unterstützung in Teilen des Mittelstands. Auch das Verlangen nach einer raschen und kompromisslosen Abschiebung ökonomisch keinen Nutzen bringender Migranten wird von Teilen des deutschen Establishments aggressiv vorgetragen. Zwar hat die Bundesregierung begonnen, die Abschiebungen massiv auszuweiten. So wurden im ersten Halbjahr 2016 13.743 Personen aus der Bundesrepublik in ihre Herkunftsstaaten abgeschoben - gegenüber 20.888 im Gesamtjahr 2015.[6] Keine Beschleunigung erzielt hat Berlin bislang zwar in puncto Dublin-Verordnung: Im ersten Halbjahr wurden 1.758 Menschen an andere EU- bzw. Schengen-Mitglieder überstellt (Gesamtjahr 2015: 3.597). Massiv gesteigert worden sind hingegen die Zurückweisungen unmittelbar an der deutschen Außengrenze, die bereits jetzt mit 12.473 Personen deutlich über der Gesamtzahl für 2015 liegen (8.913 Personen). Auch die Zahl der Abschiebungen wird mutmaßlich weiterhin rasch zunehmen; allein im ersten Halbjahr 2016 wurden laut Auskunft der Bundesregierung 32.778 "Ausreiseentscheidungen" gefällt, die nun durchgesetzt werden sollen. Zu den Abschiebungen hinzu kommen sogenannte freiwillige Ausreisen, die teilweise vom "Rückkehrförderprogramm" des Bundes und der Länder forciert werden. Eine derartige "Förderung" kam im ersten Halbjahr 2016 30.553 Personen zugute; die Zahl erreicht damit beinahe schon den Gesamtwert des Jahres 2015 (37.220).


Gegen arabisch-muslimische Unterschichten

Trotz der intensiven Bemühungen, Flüchtlinge aus dem Land zu schaffen, dringen Teile des deutschen Establishments immer entschlossener auf eine beschleunigte Abschiebung ökonomisch keinen Nutzen bringender Migranten. Zuletzt hat die einflussreiche Frankfurter Allgemeine Zeitung sich für entsprechende Forderungen des einstigen Bundesbank-Vorstandsmitglieds Thilo Sarrazin (SPD) geöffnet. Sarrazin hat 2010 mit der Publikation des Buches "Deutschland schafft sich ab", in dem er in rassistisch-chauvinistischer Weise arabisch-muslimische Unterschichten abkanzelte, rassistischen Ressentiments einen neuen Durchbruch verschafft. Die Schrift, die von einem Verlag aus dem mächtigen Bertelsmann-Konzern publiziert wurde, ist von Organisationen der extremen Rechten bis hin zur NPD, aber auch von Teilen des deutschen Establishments überschwänglich gelobt worden (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Der Bertelsmann-Konzern hat mittlerweile drei weitere Sarrazin-Bücher publiziert; das jüngste liegt aktuell in den Buchhandlungen aus. Sarrazins brachiale Vorstöße finden weiterhin auch bei Teilen der deutschen Eliten Gehör.


Abschiebungen militärisch erzwingen

Dies gilt auch für Sarrazins jüngste Forderung nach einer beispiellosen Radikalisierung des deutschen Abschieberegimes. Vor wenigen Tagen hat das ehemalige Bundesbank-Vorstandsmitglied dafür plädiert, umfassende Einschnitte in die Genfer Flüchtlingskonvention vorzunehmen: Sie solle EU-Staaten in Zukunft nur noch verpflichten, Flüchtlinge aus Europa aufzunehmen. Zudem sollten Asylbewerber bis zu ersten Entscheidungen über ihren Antrag als "nicht eingereist" gelten; sie müssten sich strikt "in einer Transitzone" aufhalten und dürften keinerlei "Ansprüche ... auf Leistungen des deutschen Staates" äußern, einschließlich der Möglichkeit, "hinsichtlich des Aufenthaltsstatus vor deutschen Gerichten zu klagen". Auch abgelehnte Asylbewerber dürften "keinen legalen Aufenthaltsstatus" erhalten; sie hätten deshalb "keine Möglichkeit zur Klage vor deutschen Verwaltungsgerichten".[8] Die komplette Entrechtung von Flüchtlingen will Sarrazin mit beispiellosen Abschiebemaßnahmen verbinden: "Alle illegal Eingewanderten sowie alle Flüchtlinge und Asylbewerber, deren Aufenthaltsbegehren abgelehnt wurde, werden unverzüglich und grundsätzlich abgeschoben." Für den Fall, dass ein Herkunftsland "die Aufnahme" verweigere, verlangt Sarrazin die Durchsetzung der Abschiebung mit Gewalt - "notfalls unter militärischem Schutz".


Radikalisierung

Die in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erhobene Forderung läuft offenkundig darauf hinaus, Bundeswehrsoldaten an Bord von Abschiebefliegern etwa nach Pakistan oder Algerien zu entsenden, um dort mit der Waffe in der Hand die Übernahme tatsächlicher oder auch angeblicher Bürger des jeweiligen Staates zu erzwingen. Derlei ist bislang nicht einmal von der NPD bekannt. Die Forderung leistet einer weiteren rassistischen Radikalisierung Vorschub; sie stärkt damit nicht zuletzt die AfD.


Mehr zum Thema:
Von Analphabeten und Flutungen
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59218
und Saat und Ernte
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59329


Anmerkungen:

[1] Die "Mitte-Studien" werden seit 2002 an der Universität Leipzig erstellt und messen die Zustimmung zu autoritären, rassistischen und extrem rechten Positionen in der deutschen Bevölkerung.

[2], [3] Oliver Decker, Johannes Kiess, Elmar Brähler (Hg.): Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland. Gießen 2016.

[4] Drei von fünf Deutschen für Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft. www.yougov.de 19.08.2016.

[5] Merkel fordert konsequente Abschiebungen und stärkere Polizei. www.zeit.de 03.09.2016.

[6] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/9360, 08.08.2016.

[7] S. dazu Herrschaftsreserve
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57887

und Die neue deutsche Frage (III)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57938

[8] Thilo Sarrazin: Das Einfallstor schließen. Frankfurter Allgemeine Zeitung 22.08.2016.

*

Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
Herausgegeber: German News Informations Services GmbH
c/o Horst Teubert
Hartwichstr. 94, 50733 Köln
Fax: 01212 52 57 08 537
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. September 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang