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STANDPUNKT/572: Der leidige Lümmel (Ingolf Bossenz)


Der leidige Lümmel

Ingolf Bossenz über die Probleme demokratischer Willensbildung nicht nur in der Türkei

9. August 2016


»Wenn das Volk die Todesstrafe will, werden die Parteien seinem Willen folgen.« Da lässt er sich nicht lumpen, der türkische Präsident. Wenn Recep Tayyip Erdogan das Volk hört - in diesem Fall dessen Rufe nach Todesurteilen -, dann hört er auch auf das Volk. Demokratie hat halt ihren Preis und kann schon mal das eine oder andere Leben kosten. Aber sie bleibt eine komplizierte Angelegenheit. Bundespräsident Joachim Gauck hat diese Tatsache erst jüngst auf den Punkt gebracht: »Die Eliten sind gar nicht das Problem, die Bevölkerungen sind im Moment das Problem ...«

In der Tat: Man muss mächtig aufpassen, was er da an den Urnen so anrichtet, der »große Lümmel«, wie Heinrich Heine »das Volk« zärtlich titulierte. Während er hierzulande in erklecklicher Zahl Rattenfängern und geistigen Brandstiftern nachläuft, zerlegt er anderswo die mühsam zusammengezimmerte Europäische Union und schickt sich jenseits des Atlantiks gar an, einem der schlimmsten Albträume ins Reich des Realen zu verhelfen. Karl Jaspers meinte: »Die Demokratie setzt die Vernunft im Volk voraus, die sie erst hervorbringen soll.« Ein guter Rat. Nur, was machen wir bis dahin? Mit der wirklich wahren Wahrheit ist es schwierig. Man könnte eine höhere Instanz fragen. Zum Beispiel: »Was würde Jesus dazu sagen?« Aber den Türken wäre das wohl keine Entscheidungshilfe.

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Quelle:
Ingolf Bossenz, August 2016
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in Neues Deutschland vom 09.08.2016
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1021449.der-leidige-luemmel.html


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2016

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