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STANDPUNKT/523: Im Spannungsfeld zwischen Politik und Militär, zwischen Frieden und Krieg (Jürgen Heiducoff)


Im Spannungsfeld zwischen Politik und Militär,
zwischen Frieden und Krieg

Eine persönliche Betrachtung zum Thema

von Jürgen Heiducoff, 11. Dezember 2015


1. Struktureller und inhaltlicher Rahmen des Verhältnisses von Politik und Militär in der Bundesrepublik Deutschland

Der Zusammenhang zwischen Politik und Krieg wurde durch den preußischen Militärtheoretiker Clausewitz treffend beschrieben: "Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln." Damit wurde der Auffassung, Kriege würden "ausbrechen" wie ein Vulkan, wie eine Naturkatastrophe unwiderruflich über die Menschen kommen, entschieden widersprochen.
Das Militär ist das Instrument der Politik, Kriege führen zu können.
Heute ist das Verhältnis zwischen Politik und Militär für unser Land im Grundgesetz (GG) geregelt.
Der Politik wird gegenüber dem Militär ein Primat eingeräumt.
Die militärische Führung hat politischen Vorgaben zu folgen.
Streitkräfte und Staat stehen in einem besonderen Treueverhältnis.
Die Befehls- und Kommandogewalt obliegt im Frieden dem Bundesminister der Verteidigung und im Verteidigungsfall dem Bundeskanzler (Art. 115b GG).
Die Streitkräfte selbst, also der militärische Teil der Bundeswehr werden durch den Generalinspekteur der Bundeswehr geführt. Dieser untersteht dem Bundeskanzler, dem Bundesminister der Verteidigung und den Staatssekretären des Bundesministeriums der Verteidigung. Neben den Streitkräften gibt es nach Art. 87b GG eine eigenständige zivile Wehrverwaltung. Diese ist zuständig für Personal, Ausrüstung, Informationstechnologie sowie Nutzung und Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen. Die Wehrverwaltung hat ebenfalls uneingeschränkt dem politischen Mandat zu folgen.
Damit soll das Primat der Politik strukturell durchgesetzt werden.

Der strategische Rahmen für den Auftrag der Streitkräfte der Bundesrepublik wird durch die Politik mit dem Weißbuch und den Verteidigungspolitischen Richtlinien vorgegeben. Den wesentlichen Inhalt der Sicherheitspolitik bestimmt das Auswärtige Amt.
Auslandseinsätze der Bundeswehr setzen die Zustimmung des Deutschen Bundestages voraus. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee, was bei den NATO - Partnern nicht die Regel ist. Dieser Parlamentsvorbehalt dient auch der Durchsetzung des Primates der Politik über das Militär. Es gibt aber Politiker, die dieses politische Instrument im Interesse eines flexibleren Einsatzes der Streitkräfte schwächen oder gar abschaffen wollen.
Die parlamentarische Kontrolle des Militärs ist in Art. 45 GG geregelt. Sie erfolgt über den Verteidigungsausschuss und den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages.
Politische strategische Vorgaben und Kontrolle des Militärs dürfen aber auch nicht das Feedback in Form von Erfahrungsberichten und Empfehlungen verantwortlicher Kommandeure an die Politik ausschließen. Beide Beziehungen gehören zum Primat der Politik gegenüber dem Militär.
Ergo: theoretisch ist im Grundgesetz das Primat der Politik über das Militär hinreichend geregelt.
Primat der Politik - das wäre gut, wenn die Politik vernünftig, auf einen stabilen Frieden gerichtet wäre und dem Friedensgebot des Grundgesetzes entspräche.
Wenn aber eine Regierung internationale Krisen und Konflikte ausschließlich mit militärischer Gewalt zu lösen sucht, dann macht sie sich überflüssig. Wenn Politik ungeachtet des Willens der Mehrheit des Volkes Kriege generiert, dann kann die politische Ebene, wie in einer Militärdiktatur, durch Militärs besetzt werden.


2. Politik und Militär im multinationalen Umfeld und im Einsatz

Wie stellt sich der Einfluss der Politik auf Militär, Einsätze, Gefechte und Krieg in der Praxis dar? Viele der im folgenden aufgeführten Erkenntnisse und Erfahrungen sind durch eigenes Erleben unterlegt. Die Reibungen und Brüche zwischen Politik und Militär waren für mich während meines Dienstes im Stab der Kabul Multinational Brigade ISAF und in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Afghanistan erlebbar.

Bewaffnete Einsätze und Kampfeinsätze der Bundeswehr werden vor ihrem Beginn durch die Bundesregierung beschlossen und durch das Parlament mandatiert. Dann werden das Einsatzkontingent und die entsprechenden Kampf- und Logistikverbände in das Einsatzgebiet entsandt.

Die Bundeswehr ist eine Koalitionsarmee. Einsätze finden im multinationalen Rahmen statt. Im Einsatzgebiet werden die deutschen Verbände Kommandeuren anderer Nationen unterstellt. Für die gelten weder unser Grundgesetz, noch die Regeln deutscher Politik. Die Militärs, die Kommandeure und Soldaten sind fortan weit ab von der Berliner Politik und auf sich allein gestellt. Gelegentlich reisen Abordnungen der Bundesregierung und des Bundestages ins Einsatzgebiet, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Erfahrungsgemäß wird diesen durch die verantwortlichen Militärs im Einsatzgebiet ein geschönten Lagebild vorgestellt. Es ist natürlich für die Chefs und Kommandeure karrierefördernd, den eigenen Verantwortungsbereich positiv darzustellen. Misserfolge werden verschwiegen, die Politiker faktisch belogen. Viele von denen wollen dies aber auch, denn sie haben den Auftrag, mit Erfolgsmeldungen heim zu kehren. So kann es dazu kommen, dass sich der militärische Alltag für die Soldaten im Einsatzgebiet anders darstellt als das Lagebild der Politiker und Parlamentarier. Auch unterscheidet sich die reale Lage im Einsatz vor Ort oft von der dem Entsendebeschluss des Bundestages zugrunde gelegten. Doch ist der Soldat einmal mit einem gewaltigen logistischen Aufwand im Einsatz- und Kriegsgebiet stationiert, gibt es kein schnelles Zurück. Die Politik setzt die Soldaten in Marsch, aber begleitet sie nicht permanent. Auch der Wehrbeauftragte des Bundestages reagiert nicht auf erste Lageänderungen und Zwischenfälle, sondern erst nach Ablauf bestimmter Zeitabschnitte.

Die Vertreter verschiedener Ressorts (Wirtschaft, Entwicklungszusammenarbeit, Inneres, Äußeres, Verteidigung, diverse Dienste) in den Auslandsvertretungen melden eigene Berichte an die Mutterhäuser, aus denen sich selten ein Gesamtbild zusammenfügt. In Jahresfrist wurde dem Fortschrittsbericht Afghanistan zugearbeitet. Der Titel gab bereits vor, dass da nur Erfolgsgeschichten zuzuarbeiten waren. Nach dem Jahre 2007 entfernte sich die militärische Praxis immer mehr von den politischen Vorgaben. Einerseits sollte in Afghanistan eine funktionierende Zivilgesellschaft entstehen, andererseits stiegen die Zahlen der zivilen Opfer durch unangemessene militärische Gewalt stetig. Die nächtlichen Hausdurchsuchungen und die Luftangriffe generierten einen tiefen Hass der Menschen gegen die Besatzer. In dieser Situation war es Zeit, Klartext an die zuständigen Politiker zu richten. Ich war zutiefst davon überzeugt, dass es der Übermittlung eines realen Lagebildes bedurfte, um die erstarrte Politik gegenüber dem Militär zu mobilisieren. So entstand mein "Brandbrief aus Kabul", den ich an Außenminister Steinmeier sandte. Auszüge aus diesem:

"Ich beobachte eine wachsende Dissonanz zwischen den politischen Zielen unserer Afghanistan - Politik und der militärischen Praxis. In den letzten Monaten nahm ich an nahezu allen militärischen Briefings und Unterrichtungen teil, die deutschen und internationalen Delegationen von Politikern und Parlamentariern in Kabul und auch in den Kampfgebieten erteilt wurden. Ich stelle dabei zunehmend fest, dass die militärische Lage unzulässig geschönt dargestellt wird. Auch deutsche Generale beschönigen oder verschweigen eigene Probleme. Die ständigen Forderungen nach Truppenverstärkung, die steigenden Kosten des militärischen Engagements, das Anwachsen eigener Verluste und die wachsende Zahl ziviler Opfer verdeutlichen die Ungeeignetheit und Ausweglosigkeit der militärischen Gewalt als Lösung der inneren und äußeren gesellschaftlichen Probleme Afghanistans. Es ist unerträglich, dass unsere Koalitionstruppen und ISAF inzwischen bewusst Teile der Zivilbevölkerung und damit erhoffte Keime einer Zivilgesellschaft bekämpfen. Die Paschtunen müssen dies als Terror empfinden! Westliche Jagdbomber und Kampfhubschrauber verbreiten Angst und Schrecken unter den Menschen in den Kampfgebieten. Aus den verschiedensten Motiven wenden sie sich den Aufständischen zu. Wir sind dabei, durch die unverhältnismäßige militärische Gewalt das Vertrauen ... der Afghanen zu verlieren. Es gibt keine Entschuldigung für das durch unsere westlichen Militärs erzeugte Leid unter den unbeteiligten und unschuldigen Menschen. ... Wenn immer mehr zivile Opfer und unsägliches Leid durch die eigenen Militärs unter der afghanischen Zivilbevölkerung produziert werden, dann eignet sich das Mittel der militärischen Gewalt nicht, um die Probleme in diesem Land zu lösen. Sorgen Sie bitte mit Ihren politischen Verbindungen dafür, die Militärs in die Schranken zu weisen! Das Militär droht sich zu verselbständigen und von den politischen und völkerrechtliche Vorgaben zu lösen. Tragen Sie bitte dazu bei, die weitere Eskalation der militärischen Gewalt in Afghanistan zu stoppen. Vielleicht ist es noch nicht zu spät.
Anderenfalls sehe ich die Ergebnisse des Petersberg-Prozesses in Gefahr. Die investierten Steuermillionen drohen in falsche Hände zu geraten. Die Demokratisierung der afghanischen Gesellschaft würde unwiderruflich beendet sein. Damit würden zugleich die Hoffnungen der Menschen in Afghanistan nach Frieden und Stabilität begraben werden."

Was bewirkte diese Initiative? In der Sache faktisch nichts außer ein paar unbedeutende Reaktionen in den Medien. Letztlich bin ich vom Dienstposten abgelöst und in die Heimat zurück versetzt worden.

Es ist also in der Praxis so eine Sache mit dem Primat der Politik.

In den letzten Monaten erfüllt ein Teil der deutschen Streitkräfte sogenannte Ausbildungs- und Beratermissionen an verschiedenen Brennpunkten des Nahen Ostens, Asiens und Afrikas. Dort agieren deutsche Offiziere und Unteroffiziere gegenüber Soldaten anderer Nationen und bilden diese in Bewaffnung, Technik und Taktik aus. Gleichzeitig findet natürlich ein Gedanken- und Kulturtransfer statt. Und wenn die deutschen militärischen Ausbilder auch nur beiläufig über Deutschlands Vorzüge sprechen - es ist schon eine politische Einflussnahme. So bestimmen dann Militärs die politische Bildung im Gastland. Ein Verstoß gegen das Grundgesetz?
Noch deutlicher wird dies bei Beratereinsätzen z.B. in den Verteidigungsministerien und Stäben anderer Staaten. Dort üben deutsche Stabsoffiziere politischen Einfluss auf Schlüsselpersonal von Militär und Politik anderer Staaten aus.
Politischer Einfluss auf die Eliten anderer Länder - ein Auftrag für die deutsche Politik? Für deutsche Ausbilder und Berater in Uniform sicher nicht.
Und überhaupt: Einsätze der Bundeswehr sollen der Stabilität, der Sicherheit und dem Frieden dienen. Aber das wird doch niemals erreicht, weil sehr oft immer nur eine der Konfliktparteien unterstützt wird.
Der Ruf des Bundespräsidenten nach der Übernahme von mehr Verantwortung in der Welt nimmt allmählich konkrete Formen an. Die deutsche Politik strebt nach einem Kampfeinsatz deutscher Soldaten im Norden Malis. Die Beteiligung am Krieg in Syrien ist politisch ebenfalls gewollt und beschlossen. Da stellt sich die Frage nach der Lernfähigkeit der Politik aus der Afghanistan - Lektion.


3. Generierung neuer Kriege durch die Politik, deren Entartung und Lähmung der Politik

Gegenwärtige militärische Operationen und Kriege sind zunehmend komplex, widersprüchlich und vielschichtig, mehrstufig, mehrseitig und vom Willen unversöhnlicher Kontrahenten bestimmt. Trotz der Fähigkeiten computergestützter Simulation von Gefechten ist es nicht möglich, diese so zu modellieren, dass Ausgang, Dauer oder Intensität prognostiziert werden können.
Die Politik bestimmt den Beginn und die Stärke der Kontingente der Bundeswehr in Krisen- und Kriegsgebieten - nicht jedoch das Ende. Selbst die Ziele eines militärischen Engagements bleiben weitgehend verwaschen. Begriffe wie Stabilität und Sicherheit sind nicht messbar. Eine Verlegung militärischer Verbände in ein Krisengebiet führt immer zur Veränderung der Kräfteverhältnisses in der Region und birgt die Gefahr der Anwendung massiver Gewalt und des Ausbruchs von Kriegen in sich. Das Beispiel von Syrien führt uns vor Augen, wie schnell ein Bürgerkrieg zu einem regionalen Krieg zwischen weiteren beteiligten Ländern eskalieren kann.
Diese Art von Kriegen werden immer komplexer: der Luftkampf kann in komplexe Operationen münden. Diese wiederum können ergänzt werden durch Mittel der hybriden Kriegsführung, durch den Krieg aus dem Kosmos und durch Cyberoperationen.

Seit einigen Monaten ist unabhängig davon ein Informations- und Propagandakrieg zwischen West und Ost im Gange wie wir ihn seit dem Kalten Krieg nicht mehr erlebt haben.
Der andauernde Krieg im Nahen Osten ist so komplex, dass er nicht mehr zwischen Kombattanten und Nicht - Kombattanten unterscheidet. Immer mehr Zivilisten werden zu unmittelbaren Kriegsopfern. Sie werden ihrer Lebensgrundlagen beraubt. Ganze Landstriche bleiben für Jahre unbewohnbar. Und nun sollen sich auch noch deutsche Tornado - Aufklärungsflugzeuge sowie Tankflugzeuge an den Luftoperationen beteiligen. Dabei hielt sich bereits in Afghanistan der Bedarf der Aufklärungsergebnisse der Tornados in Grenzen.
Eines wird allerdings erreicht: der Hass auch auf unser Land wird sich steigern, neue Terroristen werden hervor gebracht und die Zahl der Flüchtlinge und Vertriebenen erhöht. Sie kanalisieren sich auch weiterhin in Richtung der reichen Staaten, die selbst mittelbar und unmittelbar am Krieg in ihrer Heimat beteiligt sind. Dabei vermögen sich die reichen arabischen Diktaturen, besonders Saudi-Arabien, Katar und die VAE besser vor Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten abzuschotten als europäische Länder.

Es ist schon paradox: Unsere Soldaten in Afghanistan, im Irak, in Mali, im Südsudan, in Somalia, Deutschland bald Kriegspartei in Syrien und Zehntausende von Flüchtlingen aus diesen Ländern bei uns. Der Flüchtlingsstrom wird nicht abebben. Die von Krieg und Terror verfolgten Menschen finden neue Wege ins gelobte Land. Da sind sie ebenso erfinderisch wie die deutschen Waffenexporteure, die dazu beitragen, neue Konflikte vorzubereiten und bestehende anzuheizen. Die Waffenexporte in den Nahen Osten und die deutsche Politik der Unterstützung dortiger autoritärer Staaten führen unausweichlich zu neuen bewaffneten Konflikten. Die Entsendung deutscher Kampfflugzeuge und einer Fregatte in diese Region wird die Konflikte weiter verschärfen. Es wird immer eine Unterstützung nur einer oder einiger der Konfliktparteien sein. Unsere Soldaten werden dort nichts erreichen außer ihrer eigenen Gefährdung. Sie können in nicht vorhersehbare Situationen geraten. Dauern diese an, wird es schnell zur Verrohung kommen. Traumatisierung und Verrohung werden gleichzeitig auftreten. Der Soldat kann darauf nicht vorbereitet werden. Anerzogene moralisch-ethische Vorsätze und Regeln werden in den Hintergrund treten. Es wird wie bei den Gefechten um Kundus ums blanke Überleben gehen. Tierische Überlebensinstinkte werden dominieren. In solchen Lagen entarten und verrohen Soldaten. Das erfolgt unabhängig von ihrer Erziehung und Bildung. Und die die Soldaten entsendenden Politiker werden davon wenig mitbekommen. Weil sie es nicht wissen wollen.

Kommandeure haben die Pflicht, sich um ihre hochgradig gefährdeten Soldaten zu sorgen, sie zu schützen. Oft wird jedoch der Punkt erreicht werden, ab dem der Soldat Eigenschutz durch offensiven Waffeneinsatz gewährleistet. Und das auch, wenn dies nicht mehr dem von der Politik vorgegebenen Mandat entspricht. Die Militärs werden sich erneut verselbständigen und nicht den Vorgaben der Politik folgen. Dies ist vorgezeichnet, wenn in Berlin nicht die politische Einsicht und Vernunft einkehrt und der Gedanke der Übernahme der militärischen Verantwortung im Nahen Osten und in Afrika verworfen wird. Aber das scheint weder die Regierungskoalition, noch die meisten "Volksvertreter" im Bundestag zu interessieren. Sie entfernen sich immer mehr von den Interessen der Mehrheit der Deutschen. Der Bundestag verkommt zu einem Abnick-Apparat der politischen Elite.

Politiker, die Soldaten in den Krieg schicken, können nicht die Entwicklung eines Krieges voraussagen. Aber sie müssen reagieren können bei komplexen Lageänderungen. Da muss statt der Lähmung der Politik die Bereitschaft zur Veränderung des Mandates zu erkennen sein.

Eine komplexe militärwissenschaftliche Beschreibung und das Verständnis moderner Kriege ist Sache der Militärs. Sie sind die Fachleute auf diesem Gebiet. Ihre Expertise, ihre Einwände und Bedenken sollten von den Politikern und Parlamentariern ernst genommen werden. Eine solche Rückwirkung von Empfehlungen erfahrener Militärs auf die Politik ist kein Verstoß gegen das Primat der Politik.

Leider gelangen Erkenntnisse und Stellungnahmen von Militärs über die Gefahren eines Krieges zu selten an die Politiker oder an die Öffentlichkeit. Dafür gibt es viele Gründe. Da ist die Einstufung / Geheimhaltung militärischer Erkenntnisse und da ist auch die Angst der Militärs vor eigenem Karriereschaden im Falle von Veröffentlichungen von Warnungen vor Rüstung und Krieg. Doch niemand kann eben diese Gefahren besser beurteilen als die Fachleute von Waffen, Gefechten und Krieg - die Militärs selbst.

Lobenswert ist jeder qualifizierte Aufruf, jede öffentliche Warnung vor den Tücken eines Krieges. Da gibt es den Aufruf "Soldaten für den Frieden" ehemaliger hochrangiger deutscher Militärs. Immer wieder folgen Militärs, zumeist pensionierte, ihrem Gewissen und warnen öffentlich vor den Gefahren eines Krieges. Zum Beispiel der italienische Generalleutnant Fabio Mini, ehemals Generalstabschef des Südkommandos der NATO und Kommandeur KFOR in Kosovo, gab gegenüber der Webseite "Critica Scientifica" die klare Warnung ab, dass der gegenwärtige "Weltkrieg" dabei sei, bis zu einer nuklearen Konfrontation zu eskalieren. Er warnte, dass heute begrenzte Kriege nicht einmal mehr theoretisch möglich seien und dass alle Konflikte - vom Kalten Krieg der baltischen Staaten gegen Russland über die Ukraine bis hin zu Syrien und Jemen, einschließlich aller sogenannten "Kleinkriege" - darauf hinwiesen, dass wir nicht erst mit einem neuen totalen Konflikt rechnen müssten, sondern dass wir bereits bis zu unserem Hals darin stecken.

Ein anderes Beispiel: der ehemalige Chef des amerikanischen Militärgeheimdienstes (DIA), Michael Flynn, im "Head to Head"-Programm des Fernsehsenders Al Jazeera. Dort bestätigte Flynn gegenüber seinem Interviewer Mehdi Hasan, er habe nicht nur ein Memorandum des DIA von 2012 studiert, wonach der Westen die Schaffung eines Islamischen Staates in Syrien unterstützt habe; die Unterstützung des Weißen Hauses für radikale Dschihadisten, die sich dann als ISIS und Al-Nusra entpuppten, sei keine Fehleinschätzung, sondern es sei eine bewusste Entscheidung gewesen, diese Karte zu spielen. Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, General a.D. Kujat erhebt regelmäßig seine Stimme, um vor den Gefahren militärischer Eskalation zu warnen. So auch aktuell in Bezug auf eine militärische "Lösung" in Syrien.

Beschäftigt man sich gegenwärtig mit dem Verhältnis von Politik und Militär, so kann dies, wenn man nur auf Deutschland blickt, zu Fehleinschätzungen führen. Eine Bewertung dieses Verhältnisses kann man nicht auf die Bundesrepublik beschränken. Die deutsche Sicherheitspolitik ist nur im Kontext mit der US-amerikanischen bewertbar. Denn leider ist es so, dass die Berliner Sicherheitspolitik weitgehend der Washingtoner folgt.
Mancher möge denken, dass die USA in den letzten Jahren unter einer Serie von militärischen Niederlagen litten, denn die Kriege in Afghanistan, Irak, Libyen seien doch verloren gegangen.
Weit gefehlt: die Ziele all dieser Kriege und militärischen Operationen sind erfüllt worden, denn sie bestanden darin, in den Ländern und Regionen Chaos und Anarchie zu schaffen und nebenher noch eigene Waffensysteme zu erproben und in den US-Arsenalen Platz für neue Waffen zu schaffen.
In diesem Zusammenhang dürfte klar werden, welcher Art von Politik die Bundesregierung folgt.
Und entsprechend unseres Grundgesetzes hat das Militär eben dieser Politik zu folgen.

Die Kriegsvorbereitung durch unsere Politiker beginnt nicht erst mit der Genehmigung von Waffenexporten oder mit der Annahme von Mandaten zur Entsendung militärischer Kontingente in Krisen- und Kriegsgebiete. Sie beginnt bereits mit der Planung des Haushaltes.
Deutschland gibt pro Jahr fast 35 Milliarden Euro für militärische Zwecke aus. Das ist fast das Tausendfache der Ausgaben für den Zivilen Friedensdienst. So fehlen enorme Summe zur Verwirklichung von Projekten ziviler Konfliktbearbeitung sowie zur Bekämpfung weltweiter humanitärer Probleme wie Hunger oder mangelnder Bildung. Die politische Realität allerdings ist die politische Entscheidung, weitere acht Milliarden Euro bis 2019 zusätzlich dem Kriegsetat (Verteidigungshaushalt) zur Verfügung zu stellen.

Dies ist eine Politik, die die Vorbereitung weiterer Konflikte und Kriege begünstigt. Soldaten werden langfristig ausgebildet, abgerichtet, um im Kampf den Sieg über jeglichen Feind zu erlangen. Töten gehört zu ihrem Handwerk. Getötet werden ist ihr Risiko. Der Einsatz moderner HighTech-Waffen führt nicht zu weniger Brutalität. Ich teile auch die Auffassung nicht, dass Kriege durch eine Automatisierung und durch den Einsatz von autonomen Waffensystemen und Kampfrobotern weniger brutal seien, weil menschliche Gefühle, auch Hass, kaum noch eine Rolle spielten.
Kriege sind immer brutal, sie widersprechen der Vernunft des Menschen.
Um all diese Entartungen, die ein Krieg mit sich bringt, zu verhindern, muss der Krieg selbst geächtet werden.
Leider ist die derzeitige Bundesregierung nicht bereit, dazu beizutragen. Und das deutsche Berufs- und Zeitsoldatentum wird blind den politischen Forderungen folgen - ganz im Sinne des Grundgesetzes.

Selbst die Interessenvertretung der Soldaten, der Deutsche Bundeswehrverband, stellt Forderungen, die diese verheerende politische Entwicklung generell unterstützen. Da wird die Erhöhung des Verteidigungshaushaltes, die Verstärkung, Ausweitung oder Verlängerung von Mandaten für Auslandseinsätze gefordert statt der Abzug deutscher Soldaten aus Krisen- und Kriegsgebieten. Auch gegen den geplanten Waffengang in Syrien ist keine konsequente Ablehnung spürbar, sondern nur eine plausiblere Erklärung gefordert.

Neben einer Lähmung und Erstarrung der Politik ist leider festzustellen, dass sowohl die parlamentarische und außerparlamentarische Opposition in unserem Land, als auch die Friedensbewegung zersplittert und geschwächt sind.

Diese Situation wird es den rechten und offen faschistischen Kräften in unserer Gesellschaft leichter machen, an Bedeutung zu gewinnen. Im schlimmsten Fall erlangen sie mehr Einfluss auf die Bundespolitik. Und auch einer solchen Politik wird das Militär folgen müssen - ganz im Sinne des Grundgesetzes.

Verheerend. Vorsorglich wird das Deutsche Heer schon mal auf alle denkbaren Kampfformen vorbereitet - auf das klassische Gefecht der verbundenen Waffen, auf den Kampf gegen Aufständische einschließlich des Häuserkampfes. So soll auch das Heer flexibel einsetzbar sein. Einige dieser Fähigkeiten sind auch bei Einsätzen im Inneren hilfreich.


Der Autor Jürgen Heiducoff, Oberstleutnant a.D., war fast 40 Jahre im Dienst deutscher Streitkräfte, zumeist auf dem Gebiet der Abrüstung, Rüstungskontrolle und Vertrauens- und Sicherheitsbildung tätig.

Zur Vita von Jürgen Heiducoff siehe auch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jürgen_Heiducoff

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Quelle:
© 2015 by Jürgen Heiducoff
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Dezember 2015

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