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STANDPUNKT/360: Flaggenänderung (Uri Avnery)


Flaggenänderung

von Uri Avnery, 29. März 2014



NEUSEELAND HAT sich entschieden, seine Flagge zu verändern. Dies wurde nur kurz in den Medien erwähnt. Aber es ist ein wichtiges Beispiel für uns.

Der alten Flagge liegt die britische, der Union Jack, zugrunde, der die Vereinigung von England, Schottland und Irland versinnbildlicht. Die drei verschiedenen Kreuze sind zu einem verschachtelten Muster zusammengefügt.

Doch, was bedeutet diese Flagge für die heutigen Neuseeländer? Sehr wenig. Sicherlich stehen sie dem Vereinigten Königreich und der angelsächsischen Zivilisation noch nahe, aber sie sind eine neue Nation, eine Nation für sich mit einer getrennten Geschichte, einer anderen geopolitischen Orientierung und einem eigenen nationalen Charakter.

Eine Nationalflagge sollte alle Bürger eines Landes vereinigen, ihre Loyalität wecken und ihren Patriotismus stärken. Gewiss sollte sie einen bedeutenden Teil der Bevölkerung nicht außen vor lassen.

Deshalb hat die Regierung des südlichen Insellandes entschieden, die Flagge auszurangieren, die nur Bedeutung für einen Teil der Bevölkerung hat, und eine neue anzunehmen, die für alle Bedeutung hat. Die Fertigstellung für ein neues Design ist auf dem Weg.

Dies folgt verspätet dem Beispiel von Kanada, einem anderen früheren britischen "Dominion", das eine ähnliche Flagge ausrangiert und eine neue angenommen hat. Man hat sich weise darum bemüht, ein Symbol zu schaffen, das den englisch- und französisch sprechenden Kanadiern als auch den Inuit und anderen Ureinwohnern zusagt.


DAS PROBLEM mit unserer Flagge ist ziemlich dasselbe. Angenommen wurde sie beim ersten Zionistenkongress; sie gründet sich auf den jüdischen Gebetsschal und den alten Davidschild. Sie wurde für eine weltweite politische Bewegung geschaffen, deren Ziel es war, eine sichere Heimat für das jüdische Volk zu schaffen. Mit der Errichtung des Staates Israel wurde sie zu seiner Nationalflagge.

Sie dient heute als Flagge des Staates, als Flagge der internationalen zionistischen Bewegung und nach Meinung einiger als Flagge aller Juden.

Sie ist jedoch nicht die Flagge aller Bürger Israels. Für die arabischen Bürger bedeutet sie nichts außer Diskriminierung und Ausschluss. Sie erinnert sie überall und zu allen Zeiten daran, dass sie gegenwärtig bestenfalls Bürger zweiter Klasse sind, also nicht ganz dazu gehören.

Vom ersten Tag des Staates an habe ich mich für die Annahme einer neuen Flagge ausgesprochen, die alle Bürger mit einschließt. Wie die heutigen Neuseeländer fühlte ich, dass wir Israelis - mit allem Respekt für unseren Ursprung, für unsere Geschichte und den kulturellen Hintergrund -, in einer anderen Realität leben. Eine große Anzahl unserer Mitbürger ist nicht jüdisch, und die Symbole unseres Staates sollten dies berücksichtigen.

Offen gesagt, denke ich auch, dass dies keine sehr gute Flagge ist. Flaggen sollten auch aus der Entfernung gesehen werden. Ursprünglich wurden Flaggen dazu verwendet, um während der Schlacht den Platz des Königs zu markieren, so dass jeder Soldat wusste, wo ihr Kommandeur war. Sie sollte herausragen.

Die Farben unserer Flagge - weiß und hellblau - sind ästhetisch, aber nicht wirksam. Gegen den blauen Himmel und die weißen Wolken als Hintergrund verschwindet sie fast. Hisse ein Dutzend weiß-blaue Flaggen und eine einzige rote - dann werden deine Augen von der roten angezogen.


ABER DAS Hauptargument gegen die Flagge ist weniger ästhetischer Natur, als politischer.

Lange bevor Benjamin Netanjahu mit dem Trick kam, dass die Palästinenser Israel als den "Nationalstaat des jüdischen Volkes" anerkennen sollten, hat unsere Flagge schon diesen Anspruch wiedergespiegelt.

Sie ist mehr als eine Flagge eines gewöhnlichen Staates. Sie verkörpert den Anspruch des Staates, alle Juden rund um die Welt zu vertreten.

Sind die Juden in aller Welt gefragt worden, ob sie von der Regierung Israels vertreten sein wollen?

Seltsam genug: diese Frage wird nie gestellt. Weder von den Palästinensern noch von den Amerikanern - nicht einmal von den Israelis selbst.

Bevor unsere Regierung verlangt, dass die palästinensische Führung Israel als den Nationalstaat etc. anerkennt, sollten da nicht die Juden in Los Angeles, Moskau und Johannesburg gefragt werden?

Ohne ein weltweites Referendum in der jüdischen Diaspora und der bestätigenden Antwort einer großen Mehrheit ist Israels Anspruch grundlos. Tatsächlich ist das eine Form von Imperialismus, ein Versuch, mit Gewalt eine Art Souveränität über ein unterworfenes Volk auszuüben.

Bevor solch ein Referendum stattfinden kann, müssten verschiedene Fragen beantwortet werden: Wer ist ein Jude? Ein Sohn oder eine Tochter einer jüdischen Mutter? Wie ist es mit einem jüdischen Vater? Und wie mit Leuten, die zur jüdischen Religion konvertiert sind? Durch wen? Nur durch einen orthodoxen Rabbiner? Wie ist es mit Konvertiten, die von "reformierten" oder "konservativen" Rabbinern akzeptiert wurden? Wie ist es mit Atheisten, können sie Juden werden, die von Israel vertreten werden?

Über all diese Fragen können selbst die Israelis untereinander keine Einigung erzielen. Welche Bedeutung hat also die Forderung nach Anerkennung, außer dass es ein Trick ist, um die Friedensverhandlungen zu sabotieren?


DIE FRAGE nach einem Referendum, die auch in dieser Woche gestellt wurde, steht in einem anderen Kontext.

Der Außenminister Avigdor Lieberman ist wieder ruhelos. Sein ganzes Ministerium streikt. Das Hauptbüro und alle israelischen Botschaften in der Welt sind geschlossen, aber Lieberman ruht nicht.

In dieser Woche verkündete er, er habe dem Rechtsberater des Ministeriums befohlen, ein Rechtsgutachten einzureichen, und zwar über seinen Vorschlag eines territorialen Austauschs. Nach seinem Plan sollte anstelle eines palästinensischen Gebietes, das jetzt von Siedlern bewohnt ist, ein großes Gebiet, das unter israelischer Herrschaft steht, aber von arabischen Bürgern bewohnt wird, mit seiner Bevölkerung dem zukünftigen palästinensischen Staat zugeschlagen werden.

Der unverhüllte Zweck: der Landtausch sollte die Zahl der arabischen Bürger Israels reduzieren und den jüdischen Staat noch jüdischer machen.

Oberflächlich betrachtet mag dies als fairer Vorschlag angesehen werden.

Zunächst bedeutet es, dass Lieberman für die Errichtung eines palästinensischen Staates neben Israel ist. Für einen extremen Rechten ist dies bemerkenswert.

Alle israelischen Ultra-Nationalisten stehen einem Dilemma gegenüber: was ist wichtiger, die Geographie oder die Demographie? Das Jüdisch-Sein des ganzen Landes, das uns von Gott verheißen wurde, oder das Jüdisch-Sein der Bevölkerung des jüdischen Staates?

Der größte Teil des rechten Flügels zieht das Land dem Volk vor. Sie wollen das ganze Land "vom Meer bis zum Fluss", selbst wenn das bedeutet, dass die Palästinenser eine Mehrheit der Bevölkerung sein wird. Für sie würde eine ewige Besatzung eine gute Lösung sein, ein Apartheidstaat ist auch annehmbar.

Ein anderer Flügel des rechten Lagers glaubt, dass es wichtiger sei, einen Staat zu haben, in dem die Zahl der Nichtjuden zu vernachlässigen sei, aber garantieren würde, dass der jüdische Staat auf immer jüdisch bleiben würde. Die Lösung Liebermans ist so gestaltet, dass sie das erreicht.

Für diesen Zweck ist Lieberman bereit, die Geographie Israels in einer Weise zu verändern, dass die schmalste Stelle sogar noch schmaler wird. Zwischen Netanya am Meer und dem palästinensischen Tulkarem ist der Staat jetzt nur 14 km breit. Lieberman würde dies sogar noch schmaler machen. Da die Enge des Staates oft als Grund angegeben wurde, die Westbank zu annektieren, ist dies sehr bemerkenswert.


DER RECHSBERATER nahm seinen Job sehr ernst und stellte einen langen und vernünftigen Bericht zusammen. Er beschäftigte sich hauptsächlich mit der Frage, ob solch eine Lösung mit dem Völkerrecht übereinstimmt. Es überrascht nicht, dass angesichts seiner Situation seine Antwort Ja war.

Keine Bevölkerung würde vertrieben. Kein Besitz enteignet. Die Palästinenser, die dort wohnen, wären in der Lage, ihre israelische Staatsbürgeschaft zu behalten, wenn sie es wünschten. Auch ihre israelischen Sozialversicherungen. Sie wären nur keine Bewohner des Staates Israel mehr, sondern sie würden zu Bewohnern des Staates Palästina.

Das wäre eine faire, ja sogar eine wohlwollende Lösung. Mit Ausnahme eines kleinen Punktes: Die Palästinenser wären nicht gefragt worden.

Nach einem gründlichen Studium von Präzedenzfällen beschloss der Rechtsberater, dass das Völkerrecht keinen Volksentscheid verlangt. Und tatsächlich lehnt Lieberman eine solche Befragung strikt ab.

Warum? Weil die betroffenen Menschen schon vollkommen klar gemacht haben, dass sie solch einen Transfer verweigern würden.

Das ist ein großes Kompliment für Israel. Trotz aller Diskriminierung, trotz aller gerechtfertigten Klagen wünschen die arabischen Bürger, ein Teil des Staates zu bleiben, statt ein Teil des zukünftigen palästinensischen Staates zu werden.

Ihr Status als Bürger zweiter Klasse ist offensichtlich. Die Nachrichten erinnern uns fast täglich daran. Was weniger offensichtlich ist, aber nicht weniger real, ist, dass die arabische Bevölkerung tief in der israelischen Gesellschaft verwurzelt ist, wirtschaftlich und politisch.

Die andere Seite der Medaille ist, dass Israel aus dieser Bevölkerung großen Nutzen zieht. Sie arbeitet in der israelischen Wirtschaft. Sie zahlt Steuern, das Argument, sie würden keine Steuern zahlen, ist ein Mythos - niemand kann in Israel leben, ohne sowohl direkte als auch indirekte Steuern zu zahlen (es sei denn, man ist sehr reich).


VIELE LÄNDER haben aus der Geschichte gelernt, dass die Vertreibung einer Bevölkerung äußerst schmerzlich für die Wirtschaft ist. Als Frankreich die protestantischen Hugenotten vertrieb, wurde es ein ärmeres Land. Preußen, das sie einlud, wurde reich und mächtig. Dies trifft sogar noch mehr auf die Vertreibung der Juden und Muslime aus Spanien und Portugal zu. In beiden Ländern verschlechterte sich die Lage, während das Osmanische Reich, das die Juden mit Freude aufnahm, profitierte.

Die arabischen Bürger in Israel sind ein großer Aktivposten für den Staat. Statt sie los zu werden, sollten wir alles Mögliche tun, dass sie sich hier wie zu Hause fühlen.

Die Flagge zu ändern, wäre ein symbolischer Teil dieser Bemühung.



Copyright 2014 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

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Quelle:
Uri Avnery, 29.03.2014
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2014