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STANDPUNKT/228: "Rettet Syrien"-Konferenz in Damaskus (AIK)


Antiimperialistische Koordination - 27. September 2012

"Rettet Syrien"-Konferenz in Damaskus

Aufruf zu einem Waffenstillstand als erstem Schritt zu einer politischen Lösung

von Wilhelm Langthaler, 27.09.2012



Am 23. September fand in Syrien ein außergewöhnliches Ereignis statt. Die heimische Opposition um den "National Co-ordination Body for Democratic Change" (NBC) hielt eine Konferenz zur Beendigung der Gewalt und zur Einleitung einer politischen Lösung des Konflikts ab.


Es handelte sich um das erste öffentliche Treffen von Oppositionellen seit über einem Jahr, nach der berühmten Samiramis-Konferenz im Juni 2011. Seitens der Behörden wurde das Treffen nicht nur geduldet, sie trafen auch großangelegte Sicherheitsmaßnahmen. Doch die Signale von Seiten der Regierung waren durchaus mehrdeutig. Nur drei Tage zuvor waren drei Mitglieder des NCB, davon zwei hochrangige Exponenten, gekidnappt worden. Der NCB machte dafür den Luftwaffengeheimdienst verantwortlich, während die Regierung jede Beteiligung von sich wies und "terroristische Gruppen" beschuldigte. Das kann das ein Doppelspiel im Sinne des good und bad guy oder auch als Meinungsverschiedenheit innerhalb des Apparats gedeutet werden.

Das große Interesse Russlands, Irans und China an dem Ereignis, die allesamt hochrangige Teilnehmer schickten, stellt sicher einen Faktor für die Duldung der Konferenz dar.

Denn die politische Linie konnte dem Regime nicht schmecken. In der Prinzipienerklärung steht zu lesen: "Der gewaltfreie Widerstand ist unsere Strategie zur Erreichung der Ziele der Revolution. Wir stellen fest, dass die Militarisierung der Revolution (Zivilisten zu bewaffnen) eine Gefahr für die Revolution und die Gesellschaft darstellen. In diesem Zusammenhang sehen wir die "Free Syrian Army" als ein objektives Phänomen das sich aus der Weigerung von syrischen Soldaten ergab Landsleute zu töten die friedlich demonstrierten. In dieser Perspektive betrachten wir die FSA als einen Bestandteil der Revolution. Als solcher hat die FSA die Pflicht die friedvolle Strategie der Revolution zu unterstützen, zu stärken und zu verteidigen."

Das ist eine sehr starke und mutige Aussage die belegt, dass der NCB keine falsche Opposition ist. Es bestätigt damit die Legitimität der Revolte einschließlich mit bewaffneten Mitteln. Gleichzeitig fordert er die bewaffneten Kräfte sich den Primat der Politik unterzuordnen, der Massenbewegung Priorität einzuräumen und sich einer politischen Lösung nicht mehr länger zu verschließen.

Das ist das Herzstück der politischen Operation des NCB. Die Konferenz bezeugt vor dem syrischen Volk und seinen verschiedenen politischen Repräsentanzen dass eine solche Position möglich ist. Sie bietet sich als Startschuss für einen politischen Prozess an. Das ist keine kleine Errungenschaft.

Darüber hinaus bestätigte die Konferenz die Positionen des NCB. Sie rief zum Sturz des Regimes und zum demokratischen Übergang mit friedlichen Mitteln auf. Sie verurteilte den Konfessionalismus. Sie unterstrich die Rechte des kurdischen Volkes während sie die Einheit Syriens verteidigte. Und sie rief zur Unterstützung der Palästinenser auf und wiederholte den syrischen Anspruch auf die Golanhöhen.

Als konkrete Sofortmaßnahmen der Gewalt Einhalt zu gebieten wurde ein sofortiger Waffenstillstand gefordert, zu dem beide Seiten beitragen müssten. Vom Regime wurde die Zulassung humanitärer Hilfe, die Freilassung der politischen Gefangenen, sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung und Demonstration gefordert.

Die Konferenz forderte den UN-Sondergesandten Lakhdar Bahimi auf eine internationale Konferenz zu organisieren, die den Weg zu einer politischen Lösung ebnen könne.

Man bildete ein ständiges Komitee, das damit beauftragt wurde den begonnen Prozess weiterzutreiben und Konferenz zur gegebenen Zeit wieder zusammenzurufen.

Auf telefonische Rückfrage hin bezeichnete der internationale Sprecher des NCD, Haytham Manna, die Konferenz als positiven Schritt: "Es gab zahlreiche freundliche Reaktionen aus Syrien und selbst uns feindliche gesinnte Kräfte fühlten sich gezwungen das Ereignis anzuerkennen."


Schlüssel Ägypten

Offensichtlich sind die entscheidenden Beteiligten auf beiden Seiten für eine politische Lösung noch nicht bereit. Gleichzeitig wird aber immer klarer, dass keine Seite dazu in der Lage sein wird den Konflikt militärisch für sich zu entscheiden. So zieht er sich in die Länge und sein konfessionelles Moment vertieft sich.

Nicht nur für die Volksbewegung wären ein Waffenstillstand und eine Deeskalation von Vorteil. Auch Russland und Iran, die wissen, dass Assad nicht gewinnen kann, müssen daran interessiert sein.

Der Schlüssel liegt nun in Ägypten. Präsident Mursi signalisierte die Bereitschaft des Landes für regionale Verhandlungen unter Einschluss des Iran - eine entscheidende Vorbedingung, die der traditionelle Politik des alten Regimes, Teheran im Sinne der USA zu isolieren, zuwiderläuft. Das neue Regime verfügt über entscheidenden Einfluss auf die internationale Muslimbrüderschaft und könnte sie an den Verhandlungstisch zwingen. Ein Ausgleich zwischen Kairo und Teheran ist notwendig. Teheran müsste dafür Assad zu signifikanten Zugeständnissen zwingen. Im Austausch dafür würde Ägypten wieder seine alte Rolle als Regionalmacht zurückerhalten, zuungunsten Saudi-Arabiens und der USA. Eine solch wichtige geopolitische Verschiebung und weiterer Schritt weg von der monopolaren Weltordnung liegt zunehmend im Bereich des Möglichen, aber wird eventuell noch mehr Zeit und Druck auf die Moslembrüder bedürfen. Schmerzlos ist dieses Revirement indes nicht zu haben, denn die USA werden nicht tatenlos zusehen wie ihnen die Felle davonschwimmen.

In der Zwischenzeit muss der Pol für eine politische Lösung innerhalb Syriens wachsen und die hervorragende Initiative des NCB verdient unsere tatkräftige Unterstützung. Sie ist die einzig mögliche antiimperialistische Lösung.

URL des Beitrags: http://www.antiimperialista.org/de/node/7868

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Quelle:
Antiimperialistische Koordination
Kontakt: Wilhelm Langthaler
Telefon: +43-(0)650-4134677
E-Mail: aik@antiimperialista.org
Internet: www.antiimperialista.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2012