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KRIEG/1793: NATO - Spiel mit den Kriegspotenzen ... (SB)



Der Aufstieg Chinas verändert fundamental die globale Machtbalance.(...) China kommt immer näher vor die Haustür Europas. Das Land ist präsent in der Arktis, in Afrika und im Mittelmeer. Peking investiert massiv in kritische Infrastruktur in Europa und ist eine feste Größe im Cyberraum.
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg [1]

Die westlichen Mächte forcieren ihren ideologischen, ökonomischen und militärischen Druck auf China. Im Trommelfeuer der Propaganda, unter Verhängung von Sanktionen, mittels Handelskrieg und waffenstarrenden Provokationen in der unmittelbaren Peripherie soll die aufstrebende östliche Weltmacht totgerüstet und in die Knie gezwungen werden, ehe sie den Vereinigten Staaten über den Kopf gewachsen ist und sie als Hegemon abgelöst hat. Deutschland und die EU würden das Feld gerne offenhalten, um transatlantisch zu marschieren, aber zugleich wirtschaftlich mit der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaft und deren riesigem Binnenmarkt zusammenzuarbeiten. Doch die US-Regierung ist sich im klaren darüber, daß die Uhr für sie tickt, und will nicht zulassen, daß die Europäer eigenständig erstarken, bis sie womöglich die Seiten wechseln. Deshalb drängt die Trump-Administration die Verbündeten mit brachialen Mitteln, Farbe zu bekennen und sich unverzüglich dem Feldzug anzuschließen. Volle Dominanz der USA oder Untergang lautet die Ratio Washingtons, eine Koexistenz ist nicht vorgesehen.

Deutschland übernimmt zum 1. Juli für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft. Kanzlerin Angela Merkel hat sich in einer Regierungserklärung im Bundestag für eine stärkere Rolle der EU in der internationalen Politik ausgesprochen und China einen "strategischen Partner" genannt. Der abgesagte EU-China-Gipfel in Leipzig müsse nachgeholt werden. [2] Diese Aussage unterstreicht die Entschlossenheit, ungeachtet der "größten Krise ihrer Geschichte", in der sich die EU angesichts der Coronapandemie befinde, die Tür zu einer eigenständigen Positionierung der führenden Mächte Europas offenzuhalten. Je stärker das Vertrauen in die Kooperation mit den USA erschüttert wird, um so wichtiger ist ein ökonomischer Zuwachs im Windschatten Chinas, ohne den die ambitionierten Entwürfe einer EU als globales Machtzentrum auf Augenhöhe unerreichbar scheinen.

Zugleich wächst jedoch die Feindseligkeit gegenüber China, nicht zuletzt um durchaus vorhandenen Sympathien für das chinesische Entwicklungsmodell oder zuletzt den Umgang mit der Coronakrise in der hiesigen Bevölkerung den Boden zu entziehen. Was gestern noch als chinesisches Angebot einer Zusammenarbeit zum beiderseitigen Nutzen gewürdigt wurde, wird heute als Desinformation oder gar Strategie der Unterwanderung bezichtigt. Ein bezeichnendes Beispiel für diese Trendwende liefert die ARD-Dokumentation "Wuhan - Chronik eines Ausbruchs", die kurz vor der Erstausstrahlung zurückgezogen wurde, weil sie zu chinafreundlich war. In der SWR-Auftragsproduktion sollten neben den deutschen Experten Lothar Wieler (RKI), Hendrik Streeck (Uni Bonn) und Christian Drosten (Charité) insbesondere Epidemiologen aus China zu Wort kommen und die Maßnahmen der Volksrepublik gegen die Covid-19-Pandemie erläutern. In einem Akt der Selbstzensur der Öffentlich-Rechtlichen wurde dem bei anderer Gelegenheit gern beschworenen mündigen Bürger die Gelegenheit verwehrt, sich selbst eine Meinung zu bilden. [3]

Unterdessen bereitet die EU-Kommission neue Maßnahmen zur Abwehr chinesischer Investoren vor. Das "Weißbuch für faire Wettbewerbsbedingungen in bezug auf ausländische Subventionen" zielt darauf ab, Übernahmen europäischer Firmen durch Konzerne aus Drittstaaten, womit offensichtlich China gemeint ist, zu erschweren. Künftig sollen Übernahmen ab 35 Prozent der Anteile von Firmen in der EU in Brüssel penibel daraufhin überprüft werden, ob der übernahmewillige Konzern zu Hause Subventionen von der Regierung erhalten hat, die ihm einen Vorteil bei der Übernahme verschaffen. Maßgebliche Kräfte in der Union drängen schon geraume Zeit auf eine strikte Kontrolle chinesischer Übernahmen. Zuletzt forderten Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sowie seine Amtskollegen aus Frankreich, Italien und Polen in einem gemeinsamen Schreiben die zuständige Kommissarin Vestager Anfang Februar auf, dazu geeignete wettbewerbspolitische Instrumente zu schaffen. [4]

Die strategische Ausrichtung der NATO müsse auch China explizit ins Visier nehmen, das "immer näher vor die Haustür Europas" komme, legt Generalsekretär Jens Stoltenberg Konfrontationskurs an. Der Aufstieg Chinas verändere fundamental die globale Machtbalance und biete einige neue Chancen vor allem wirtschaftlicher Art, aber auch neue Herausforderungen. Peking habe nach den USA den zweitgrößten Verteidigungsetat der Welt und rüste immer stärker auf. China investiere stark in Nuklearwaffen und Langstreckenraketen, die Europa erreichen könnten, weshalb sich die NATO-Verbündeten gemeinsam dieser Herausforderung stellen müßten. Ziel der chinesischen Aufrüstung sei es, die USA nicht nur aus der indopazifischen Region herauszudrängen, sondern möglichst auch die Macht über die Meere zu erlangen, um wichtige Handelswege kontrollieren zu können. Nach Stoltenbergs Worten ist zwar kein Land unmittelbar bedroht, doch seien ernsthafte Entwicklungen im Südchinesischen Meer festzustellen, da China versuche, die Bewegungsfreiheit für Schiffe in internationalen Gewässern zu behindern. Es gebe jedoch keinen Grund, Truppen dorthin zu schicken, zumal die USA, aber auch wichtige Partnerstaaten wie Australien und Neuseeland militärisch vor Ort vertreten seien.

In einem weiteren Akt, den Druck auf China zu erhöhen, hat US-Präsident Donald Trump ein neues Sanktionsgesetz unterzeichnet. Unter dem Vorwand, den Uiguren beizustehen, werden Sanktionen gegen chinesische Politiker verhängt, darunter mit Chen Quanguo, dem Parteisekretär von Xinjiang, zum ersten Mal gegen ein Mitglied des Politbüros. Hinzu kommen Sanktionen, die Trump vor kurzem in Reaktion auf das neue Sicherheitsgesetz für Hongkong angekündigt hat. Wie Chinas Nachrichtenagentur Xinhua berichtete, habe man sich bei einem Treffen zwischen US-Außenminister Michael Pompeo und Chinas Spitzendiplomat Yang Jiechi geeinigt, den Konsens zu wahren, den Trump und Xi zuletzt erreicht hatten. Die Volksrepublik hat diese im Januar getroffene Vereinbarung im Kern eingehalten, soweit nicht die Covid-19-Pandemie und US-Zwangsmaßnahmen einen Teil davon hinfällig werden ließen. [5]

In einer Kombination ökonomischer und militärischer Erwägungen planen die USA, unbemannte Fluggeräte wie den MQ-9 Reaper als Flugzeug zu deklarieren, um China vom Drohnenmarkt zu verdrängen. Nach dem Ausstieg aus dem INF-Vertrag und dem Open Skies-Abkommen will sich die Trump-Regierung nun den Beschränkungen des Missile Technology Control Regime (MTCR) entziehen. Durch dieses Manöver soll es amerikanischen Rüstungsherstellern ermöglicht werden, Kampfdrohnen uneingeschränkt an alle Staaten verkaufen zu können, um so die Verbreitung chinesischer Drohnen auf dem Markt zu torpedieren. Das 1987 geschlossene Abkommen, dem mittlerweile 34 Staaten beigetreten sind, regelt den Export bestimmter Langstrecken-Marschflugkörper und -Drohnen mit dem Ziel, die Verbreitung von ballistischen Raketen für nukleare, biologische und chemische Waffen zu verhindern. Unter diese Richtlinien fallen Kampfdrohnen. Um das zu ändern, erklärt die Trump-Regierung bereits seit 2017, technisch gesehen seien UAVs Flugzeuge und keine Raketen.

China, das nicht Mitglied des MTCR ist, nutze diese Situation, um seinen Einfluß auszuweiten, sich einen nachrichtendienstlichen Vorteil zu verschaffen und die Sicherheitsbündnisse der USA zu gefährden, so der Vorwurf. Derzeit sei es für die USA einfacher, an seine Bündnispartner Kampfflugzeuge zu verkaufen als unbemannte Kampfdrohnen. Das führe dazu, daß sich diese Staaten mit ihrer Nachfrage nach Kampfdrohnen an China wendeten. Da die weltweite Anschaffung von Überwachungs- und Kampfdrohnen in den kommenden Jahren rasant wachsen dürfte und diese Systeme als die Zukunft moderner Luftwaffen gelten, wollen die USA ihren schärfsten Rivalen vom Markt verdrängen. [6]

Unmittelbarster Ausdruck der Einkesselung Chinas bleibt die massiv ausgeweitete militärische Präsenz der US-Streitkräfte im Westpazifik. Dorthin hat die Navy drei Flugzeugträgerkampfgruppen entsandt, die in den strategisch brisanten Gewässern vor dem chinesischen Festland eine Machtdemonstration exerzieren. Die USS Theodore Roosevelt operiert in den Gewässern vor Guam, die Kampfgruppe der USS Nimitz ist von der US-Westküste aufgebrochen, und die USS Ronald Reagan hat mit ihrer Kampfgruppe ihre Basis in Japan verlassen und operiert gegenwärtig im Philippinischen Meer. Der Leiter der Operationen des US Indo-Pacific Command, Konteradmiral Stephen Koehler, bezeichnete China ausdrücklich als oberstes Ziel des Manövers. Er warf Peking vor, es errichte militärische Außenposten im Südchinesischen Meer und installiere auf den dortigen Inseln Raketensysteme und Systeme zur elektronischen Kriegsführung.

Unter dem Vorwand, die Freiheit der Schifffahrt zu sichern, dringen US-Kriegsschiffe immer wieder in von China beanspruchte Territorialgewässer ein. Ende April führte die Navy innerhalb von zwei Tagen zwei Operationen im Südchinesischen Meer durch, eine weitere am 7. Mai. Am 28. Mai drang der Lenkraketenzerstörer USS Mustin in die Zwölfmeilenzone um Woody Island in der Paracel-Gruppe ein, eine Insel, die China seit Jahrzehnten für sich beansprucht. Das Südchinesische Meer spielt im Kriegsfall eine zentrale Rolle in den Plänen des Pentagon, massive Marine- und Luftangriffe auf chinesische Militärbasen durchzuführen, die entscheidend für den Schutz der chinesischen Atom-U-Boote sind.

Zudem durchquert die US Navy häufiger die Formosastraße zwischen dem chinesischen Festland und Taiwan, in diesem Jahr bereits siebenmal. Wenngleich Trump die "Ein-China-Politik" nicht offiziell außer Kraft gesetzt hat, heizt er diesen Konflikt durch den Ausbau diplomatischer und strategischer Beziehungen zu Taipeh gezielt an. So unterstützt er Staatspräsidentin Tsai Ing-wen, deren Demokratische Progressive Partei für eine unabhängigere Rolle Taiwans gegenüber China eintritt. Kürzlich hat das taiwanesische Verteidigungsministerium einem Frachtflugzeug der US Navy auf dem Weg von Okinawa nach Thailand erstmals den Flug durch taiwanesischen Luftraum erlaubt, was Beijing ebenso wie die Durchfahrten der US-Kriegsschiffe umgehend als provokative Aktion verurteilte. [7]

Unterdessen wurde bekannt, daß die US Air Force vier strategische Bomber vom Typ B1 und 200 Luftwaffensoldaten auf die Andersen Air Base auf Guam verlegt wie auch Spionagedrohnen vom Typ Global Hawk von der Yokota Air Base in Japan ins Südchinesische Meer fliegen läßt, die eine kontinuierliche Überwachung von Schiffen entlang der chinesischen Küste ermöglichen. Die B-1B ist ein strategischer schwerer Bomber, der mit Überschallgeschwindigkeit fliegen und eine breite Palette von Waffen tragen kann, darunter Lenkraketen und ferngesteuerte Bomben sowie thermonukleare Bomben der Typen B61 und B83. [8]

Die aggressiven Bemühungen, China zu schwächen und die Vorbereitungen eines Krieges voranzutreiben, hatten bereits mit Barack Obamas "Pivot to Asia" begonnen. Damals nahm das Pentagon eine Verlagerung seines weltweiten militärischen Schwerpunkts auf den Indopazifik in Angriff, um bis 2020 insgesamt 60 Prozent der US-Marineeinheiten und Kampfflugzeuge dorthin zu verlegen. Im Rahmen dieser Strategie hat Washington seine großen Stützpunkte in Japan, Südkorea und Guam umstrukturiert, Stationierungsabkommen mit mehreren Staaten der Region (Australien, Singapur, Indien und Sri Lanka) abgeschlossen und Militärbündnisse sowie strategische Partnerschaften gestärkt. Trump sattelt auf und spitzt die Konfrontation auf die Gefahr hin zu, eine militärische Auseinandersetzung bis hin zum alles verschlingenden Atomkrieg zu provozieren.


Fußnoten:

[1] www.welt.de/politik/ausland/article209473417/Nato-Chef-Jens-Stoltenberg-China-kommt-immer-naeher-vor-die-Haustuer-Europas.html

[2] www.jungewelt.de/artikel/380494.brd-ratspräsidentschaft-kanzlerin-erläutert-eu-strategie.html

[3] www.heise.de/tp/features/Droht-nach-der-Corona-Panik-die-Fake-News-Paranoia-4784776.html

[4] www.jungewelt.de/artikel/380325.abschottung-eu-geeint-gegen-china.html

[5] www.jungewelt.de/artikel/380493.china-usa-washingtons-zeigefinger.html

[6] www.heise.de/tp/features/Drohnen-Rakete-oder-Flugzeug-4782692.html

[7] www.wsws.org/de/articles/2020/06/15/usch-j15.html

[8] www.wsws.org/de/articles/2020/06/13/nucl-j13.html

19. Juni 2020


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