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KRIEG/1690: Absturz in Mali - deutscher Kriegseinsatz eskaliert (SB)



Was macht die Bundeswehr in Afrika? Der Absturz eines deutschen Kampfhubschraubers vom Typ Tiger rund 70 Kilometer nordöstlich der Stadt Gao in Mali, bei dem zwei Soldaten starben, hat diese Frage auf die aktuelle Tagesordnung von Politik und Medien gesetzt. Man kann davon ausgehen, daß die Antworten sehr unterschiedlich ausfallen und das Thema zum allergrößten Teil verfehlen werden. Die Stiefel deutscher Soldaten hinterließen schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts tiefe Abdrücke auf dem schwarzen Kontinent, als die Kolonialherren im damaligen Deutsch-Südwestafrika zwischen 1904 und 1908 Schätzungen zufolge 75.000 Angehörige der Volksgruppen Herero und Nama töteten. Die Bundesregierung will sich angeblich für den Genozid deutscher Truppen bei Namibia entschuldigen, hat es damit aber nicht eilig. Aus der Verwendung des Begriffs "Völkermord" folgen ihrer Auffassung nach politisch-moralische Verpflichtungen, die Wunden zu heilen, nicht jedoch eine Rechtspflicht nach Reparationen, wie der Sonderbeauftragte für den Dialog mit Namibia, Ruprecht Polenz, unterstrich. [1]

Die Bundesregierung will sich nicht von der Vergangenheit einholen lassen. Ebensowenig will sie im Rennen um die künftige Aufteilung und Kontrolle der Welt den kürzeren ziehen. In Osteuropa, auf dem Balkan, in Afghanistan, im Irak und in jüngerer Zeit insbesondere in Afrika werden wirtschaftliche Interessen zur Sicherung des Standorts Deutschland geltend gemacht und mit Waffengewalt unterfüttert - innerhalb der NATO, im Rahmen der Europäischen Union, im Verbund mit einzelnen europäischen Mächten oder in Eigenregie. Im Januar 2014 erklärten Bundespräsident Gauck und die schwarz-rote Koalition auf der Münchner Sicherheitskonferenz die außenpolitische Zurückhaltung für beendet. Drei Monate später verabschiedete das Kabinett die "Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung". Darin ist von Potentialen Afrikas wie einem Zukunftsmarkt mit hohem Wachstum, reichen Ressourcen, landwirtschaftlicher Produktion und Ernährungssicherung die Rede, die für die deutsche Wirtschaft zunehmend interessanter würden. Aus diesen Gründen gelte es, das politische, sicherheitspolitische und entwicklungspolitische Engagement Deutschlands in Afrika gezielt zu stärken sowie entschieden und substantiell zu handeln, wozu auch militärische Interventionen gehörten. [2]

Im Jahr 2017 steht Afrika mehr denn je im Fokus deutscher Außenpolitik. So wird dem Kontinent im Rahmen der G-20-Präsidentschaft Priorität eingeräumt, und worauf das hinausläuft, zeigte ein Eckpunktepapier der Bundesregierung für den G20-Gipfel in Hamburg, sofern man es realpolitisch übersetzt: Kein Geld für Afrika, das nicht deutschen Interessen dient und als Druckmittel zur Öffnung für ausländische Privatinvestoren und vorgelagerten Flüchtlingsabwehr verwendet werden kann. Dazu gesellt sich eine verstärkte Truppenpräsenz, um diesen Interessen Nachdruck zu verleihen. Auf dem afrikanischen Kontinent ist die Bundeswehr derzeit am Horn von Afrika, im Senegal, in Zentralafrika, in der Westsahara, im Sudan, im Südsudan und in Somalia präsent.

Mit Blick auf Mali beschloß der Bundestag Anfang 2013, die dortige französische Militärintervention zu unterstützen und die Bundeswehr in dem westafrikanischen Land zu stationieren. Sie ist vor allem mit der Aufklärung rund um die nordmalische Stadt Gao befaßt und soll damit zur Überwachung des fragilen Waffenstillstands zwischen ehemaligen Separatisten und Regierung durch die UN-Truppe beitragen. Die Bundeswehr nutzt Drohnen, hat zwei Transall-Maschinen zum Lufttransport in Niamey stationiert und unterstützt auch französische Kampftruppen im Sahel. Vier deutsche Kampfhubschrauber des Typs Tiger und vier Transporthelikopter des Typs NH90 sollen bis Mitte 2018 vor Ort bleiben, um eine Rettungskette zu gewährleisten. Deutsche Offiziere sind im Hauptquartier der MINUSMA in Bamako, im Joint Force Air Component Command (JFACC) in Lyon und beim Ausbildungseinsatz der EU für Malis Streitkräfte (EUTM Mali) präsent. [3]

Ende Januar 2017 beschloß der Bundestag mit großer Mehrheit, den Einsatz der Bundeswehr in Mali um ein Jahr zu verlängern und massiv auszuweiten. Die Höchstzahl der im Rahmen der UN-Mission MINUSMA einzusetzenden deutschen Soldaten wurde um 350 auf 1000 erhöht, wobei derzeit 875 Soldaten im Land stationiert sind. Wenngleich gegenwärtig noch der Einsatz in Afghanistan mit rund 890 Bundeswehrsoldaten der größte ist, könnte er künftig von dem in Mali übertroffen werden, was dessen Bedeutung aus Sicht der Bundesregierung unterstreicht. Diese arbeitet dort mit einem autoritären Regime zusammen, um Flüchtlinge schon in Afrika von Europa fernzuhalten sowie seine wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen auf dem bevölkerungs- und rohstoffreichen Kontinent durchzusetzen.

Wie in Afghanistan verstrickt sich Bundeswehr auch in Mali in einen eskalierenden Krieg ohne absehbares Ende. Die Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen gilt als der gefährlichste UN-Einsatz weltweit, bei dem bereits eine große Anzahl von Soldaten und UN-Mitarbeitern getötet wurde. Die derzeit 15.000 Frauen und Männer der Mission MINUSMA haben es mit einer höchst explosiven Gemengelage von Milizen, Dschihadisten, Drogen- und Menschenhändlern zu tun, die vor allem im Norden des Landes aktiv sind. Mit ihrem Auftrag, durch Informationsbeschaffung zur Verbesserung der Sicherheitslage beizutragen und das brüchige Friedensabkommen durchzusetzen, ist die Bundeswehr in den Augen verschiedener Milizen ganz eindeutig der Feind.

Frankreich und Deutschland haben es in Mali mit einem vielschichtigen Konflikt zu tun, den letztlich europäische Mächte mit dem Angriffskrieg auf Libyen verursacht haben. Nach dessen Zusammenbruch versorgten sich zahlreiche Gruppierungen mit Waffen aus dortigen Arsenalen, darunter auch die Tuareg. Sie eroberten vor fünf Jahren blitzartig den gesamten Norden Malis, um der Zentralregierung einen eigenen Staat abzuringen. Die malische Armee kompensierte ihre Niederlage mit einem Putsch und stürzte im März 2012 die Regierung von Präsident Amadou Toumani Touré. Danach eskalierten die Konflikte, denn während sich in Bamako eine zivile Übergangsregierung formierte, traten im Norden neben den Tuareg verschiedene islamistische Milizen auf den Plan, die von der Vernichtung des libyschen Nationalstaats und der Schwäche der malischen Regierung profitierten. Seither hat sich die Region zu einem der gefährlichsten Krisengebiete Afrikas entwickelt.

Die Intervention in Mali ist aus Perspektive deutscher Regierungspolitik nicht zuletzt deshalb so bedeutsam, weil Flüchtlinge das Land angesichts des weitgehenden staatlichen Kontrollverlusts als eine der Hauptfluchtrouten aus Westafrika ans Mittelmeer und weiter nach Europa nutzen. Wenn es in deutschen Regierungskreisen heißt, man wolle die strukturellen Ursachen von Flucht und Vertreibung beseitigen, ist damit nicht etwa der wirtschaftliche Aufbau des Landes und die Verbesserung der Lebensverhältnisse, sondern eine vorgelagerte Flüchtlingsabwehr gemeint. Finanzielle Erpressung soll das Regime dazu bewegen, die bislang herrschende Bewegungsfreiheit der Flüchtlinge zu unterbinden. Zudem destabilisieren Dschihadisten, die sich im Sahel festgesetzt haben, auch Nordafrika. Zugleich unterstützt die Bundeswehr den Kriegseinsatz Frankreichs in Westafrika in einem militärischen Schulterschluß, der fließend in einen Wechsel der neokolonial anmutenden Vorherrschaft in dieser Region überzugehen scheint.

Im Januar hatte die Linkspartei als einzige Fraktion im Bundestag geschlossen gegen die Ausweitung des Einsatzes gestimmt und erklärt, man verstricke sich dort "kopf- und planlos in den nächsten langwierigen Krieg". Dem widersprachen die Grünen empört, da man eine Friedensmission der Vereinten Nationen keinesfalls als Krieg bezeichnen könne, worauf sie der Ausweitung mehrheitlich zustimmten. Nach dem Hubschrauberabsturz und dem Tod der beiden Soldaten hat nun der Linken-Verteidigungspolitiker Neu ein Ende des Einsatzes in Mali gefordert. Dieser hätte in dieser Form gar nicht stattfinden dürfen, da Deutschland in Mali keine Sicherheitsinteressen habe. Stattdessen werde mit der Mission nur die deutsch-französische Partnerschaft bedient. Bundesverteidigungsministerin von der Leyen trage die politische Verantwortung für das Unglück. Wenn sie die Bundeswehr weltweit an Konfliktplätzen einsetzen wolle, müsse sie für eine angemessene personelle und technische Ausstattung sorgen. [4]

Hätte es Neu bei einer Ablehnung des Kriegseinsatzes der Bundeswehr belassen, wäre dies allerdings konsequenter gewesen. Der Verteidigungsministerin zugleich vorzuwerfen, sie habe nicht für eine angemessene Ausstattung gesorgt, bricht mit einer entschiedenen Kriegsgegnerschaft, die sich doch nicht allen Ernstes eine noch besser gerüstete Bundeswehr wünschen kann. So mündet die Kritik bedauerlicherweise in die ohnehin auf allen Kanälen geführte kriegsaffirmative Debatte über die ersten beiden toten Soldaten in der Amtszeit von der Leyens, die Qualität des Kampfhubschraubers Tiger und andere pseudokritische Einlassungen [5], die in der Konsequenz eine noch effektivere deutsche Kriegführung einfordern, deren unmittelbare oder mittelbare Opfer allein die Gegenseite zu beklagen hat.


Fußnoten:

[1] http://www.dw.com/de/2017-das-deutsche-afrika-jahr/a-36897945

[2] https://www.wsws.org/de/articles/2017/01/27/mali-j27.html

[3] https://www.jungewelt.de/2017/01-27/001.php

[4] http://www.deutschlandfunk.de/absturz-linken-politiker-neu-fordert-ende-des-mali-einsatzes.1939.de.html

[5] http://www.deutschlandfunk.de/bundeswehr-einsatz-in-mali-gefaehrliche-mission.1773.de.html

27. Juli 2017


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