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KRIEG/1663: Europas Chance - Deutsche Sturmtruppen an der ideologischen Front (SB)



Elmar Brok wittert im Syrienkrieg die Chance, Europa auch militärisch auf gleiche Augenhöhe mit den USA und Rußland zu bringen. Wie der CDU-Europaabgeordnete und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament im Gespräch mit dem Deutschlandfunk [1] beklagt, gäben die Europäer in diesem Konflikt ein "furchtbares Bild" ab. Sie müßten sich den Entscheidungen in Washington und Moskau unterordnen, weil sie zu schwach seien und "soft power" machten: "Wir helfen ungeheuer in der Flüchtlingsfrage, wir finanzieren humanitär sehr, sehr viel wie kein anderer, aber wir haben keine politische Kraft." Er hoffe sehr, daß diese Ereignisse vor der eigenen Haustür und deren Auswirkungen dazu führten, daß es endlich vorangehe mit dem Aufstieg in die Liga der Großmächte.

Was ist zu tun? Dazu hat sich Brok so seine Gedanken gemacht. Die Staats- und Regierungschefs seien bei ihrem Treffen Ende der Woche in Bratislava gefordert, gemeinsame Strukturen einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik aufzubauen, "damit wir eine Rolle spielen", wenn es um unsere Interessen und Werte gehe. Man müsse ein sehr viel höheres Maß an politischen Fähigkeiten entwickeln, wofür es schon eine Reihe von Vorschlägen gebe, deutet der Europaparlamentarier an, daß sein Vorstoß natürlich nicht aus dem hohlen Bauch kommt. Schließlich werden unter deutscher Führerschaft seit mindestens fünf Jahren diesbezügliche strategische Entwürfe energisch vorangetrieben.

Wo Brok das "Versagen vieler Mitgliedsstaaten" beklagt, die nicht bereit seien, eine permanente strukturelle Zusammenarbeit herbeizuführen und ein gemeinsames Hauptquartier als zentrale Instanz der Planung einzurichten, sieht er zugleich Licht am Ende des selbstgezimmerten Tunnels. Er habe nämlich in den letzten Wochen das Gefühl, daß endlich Bewegung in die Sache komme, weil manches Schlechte eben auch sein Gutes haben könne. So hätten die Briten ihre Widerstände gegen die gemeinsame Fortentwicklung der Außen- und Sicherheitspolitik weitgehend eingestellt, dem Brexit sei Dank. Wolle man die Bürger zurückgewinnen, müßten aus Bratislava klare Signale kommen, daß man gemeinsam größere Fähigkeiten in Fragen der inneren und äußeren Sicherheit entwickeln wolle, und dazu gehöre auch Syrien, nimmt Brok den Gesamtkomplex von militärischem Muskelspiel und Repression an der Heimatfront ins Visier.

Um zu unterstreichen, daß diese Ambitionen nicht allein auf dem Mist eines deutschen Führungsanspruchs im Chor europäischer Interventionsgelüste gewachsen seien, zitiert er die syrische Opposition, die seines Wissens darauf warte, daß die Europäer endlich mit Macht auf der Bildfläche erschienen. Jongliert man je nach Interessenlage mit der Zuschreibung, wer die legitime syrische Opposition sei, fällt es nicht schwer, einander die Bälle zuzuspielen. So fordert Salim Muslit, Sprecher des Hohen Verhandlungskomitees der Regimegegner (HNC), die europäischen Länder auf, sich politisch stärker in Syrien zu engagieren. Die Europäer seien von den Verhandlungen über die Waffenruhe "ausgeschlossen" gewesen, obgleich jeder Effekt, ob er negativ oder positiv ausfalle, vor allem Europa betreffe. Je früher die Probleme in Syrien gelöst würden, desto früher könnten auch Syrer in ihre Heimat zurückkehren. [2]

Von hiesigen Medien erstaunlicherweise als "wichtigstes Oppositionsbündnis Syriens" kolportiert, handelt es sich beim HNC um ein Ende letzten Jahres in Riad zusammengeschustertes und vor allem mit saudi-arabischen Geldern finanziertes Konglomerat verschiedenster Gruppierungen, das sich den Regimewechsel in Damaskus auf die Fahnen geschrieben hat. Von einer guten PR-Abteilung beraten, fordert das HNC eine Übergangsregierung westlicher Couleur, die angeblich all jene Segnungen herbeiführen soll, wie man sie hierzulande im Kontext der imperialistischen Zerschlagung von Staaten allen gegenteiligen Erfahrungen zum Trotz stets aufs Neue fabuliert.

Daß Rußland und die USA Probleme bekommen könnten, wenn sie mit vereinten Kräften "Terroristen" bombardieren wollen, sieht natürlich auch Elmar Brok. Die in Genf ausgehandelte 48stündige Feuerpause in Syrien soll für alle Kräfte gelten, die von den Vereinten Nationen nicht als "Terroristen" eingestuft werden. Von der Vereinbarung ausgenommen ist insbesondere die Miliz "Islamischer Staat". Hält die Waffenruhe sieben Tage lang, wollen die beiden Großmächte gemäß dem von den Außenministern John Kerry und Sergej Lawrow vorgestellten Plan gemeinsam militärisch gegen "Terrorgruppen" im Land vorgehen. Um das möglich zu machen, sollen sich die syrischen Regierungstruppen rund um Aleppo zurückziehen, wozu sich die Führung in Damaskus bereiterklärt hat. Im Gegenzug müssen die USA die mit ihnen verbündeten Rebellengruppen dazu bringen, nicht mehr mit der islamistischen Fateh-al-Scham-Front zu kooperieren. [3]

Die vordem unter dem Namen Al-Nusra-Front bekannte Gruppierung hat die Waffenruhe scharf kritisiert, da sie ihres Erachtens lediglich die Regierung in Damaskus stärken werde. Die Waffenruhe ignorieren werden auch die türkischen Streitkräfte, die bei ihrer Intervention in Syrien die kurdischen Selbstverteidigumgskräfte unvermindert angreifen wollen, obgleich diese die Feuerpause einzuhalten bereit sind. Die alte Faustregel, daß des einen Bündnispartner des anderen "Terrorist" sei, gilt auf dem syrischen Kriegsschauplatz in beispiellosem Ausmaß, da rund 1500 verschiedene Gruppierungen an diesem Krieg beteiligt sind, von den staatlichen und internationalen Akteuren ganz abgesehen.

Für Brok ist die Sache insofern klar, als er Rußland und Bashar al-Assad einseitig vorwirft, laut deren Definition sei jeder Regierungsgegner ein "Terrorist", den man angreifen dürfe und müsse. Einen nicht minder selektiven Blick auf die Lage steuert Björn Blaschke als Kommentator im Deutschlandfunk [4] bei, wenn er der derzeit so dringend benötigten Fateh-al-Scham-Front überraschende Züge andichtet. Hätten die USA die "Freie Syrische Armee" nicht so halbherzig unterstützt, wären nicht so viele FSA-Kämpfer zu dem anfänglich unbedeutenden Haufen Islamisten der Al-Nusra übergelaufen, die aus "irgendwelchen dunklen Kanälen" echte Unterstützung erhalten habe und gewachsen sei. Heute sei diese Gruppierung die wichtigste Kraft im Kampf um Aleppo. "Die Führung der Ex-Nusra mag der Ideologie von Al Kaida immer noch nahestehen; ihre durchschnittlichen Kämpfer hingegen sind eher durchschnittliche Syrer, die in der durchschnittlichen Bevölkerung verankert sind", bleut Blaschke seinen Rezipienten ein, daß man dem geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen dürfe.

Sollte die Waffenruhe tatsächlich halten, könnten die USA zu Erfüllungsgehilfen des Regimes in Damaskus werden, und "Präsident Baschar al-Assad dürfte sich ins Fäustchen lachen", zieht der Kommentator überdies den bellizistischen Schluß, daß man aus hiesiger Sicht nicht entscheidend vorankomme, solange der Regimewechsel nicht mit Waffengewalt erzwungen werde. Wie man unschwer erkennen kann, drängt es die deutschen Vordenker und Mitläufer militärischer Hegemonie der EU mit Macht an die ideologische Front.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/die-eu-und-der-syrien-konflikt-wir-haben-keine-politische.694.de.html?dr

[2] http://www.rp-online.de/politik/ausland/waffenruhe-in-syrien-wird-weitgehend-eingehalten-aid-1.6254517

[3] http://www.dw.com/de/waffenruhe-in-syrien-in-kraft-getreten/a-19546128

[4] http://www.deutschlandfunk.de/waffenruhe-in-syrien-assad-duerfte-sich-ins-faeustchen.720.de.html?d

14. September 2016


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