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KRIEG/1651: Nach Olympia die Militärmaschine stoppen (SB)



Weit über zehn Jahre könne der Krieg dauern, in den die Bundeswehr demnächst zieht, schätzt der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner. Wieso so lange, könnten die Bürger fragen, geht es doch erklärtermaßen lediglich darum, den mörderischen Jihadisten des Islamischen Staates das Handwerk zu legen. Der EU-Hegemon und Krisengewinnler BRD will ganz ohne Not auf dem Schlachtfeld seine Schlag- und Leistungskraft unter Beweis stellen, als genüge es nicht, über mehr EU-administrativen und weltweiten ordnungspolitischen Einfluß zu verfügen als jemals zuvor in der Nachkriegsgeschichte.

Noch während die bereits 14 Jahre lange kriegerische Besetzung Afghanistans andauert, wird der nächste Kriegsschauplatz eröffnet, und auch dieses Mal wird der Bevölkerung bestenfalls die halbe Wahrheit mitgeteilt. So gehört die Bekämpfung des sogenannten schiitischen Halbmonds, der sich vom Iran über den Irak bis nach Syrien und zur Hisbollah im Libanon erstreckt, seit jeher zu den zentralen strategischen Zielen der NATO in der Region. Die Absicht, die durch die Zerschlagung des Regimes Saddam Husseins bekräftigten Hegemonialansprüche des Irans einzudämmen, um auch in Zukunft gute Geschäfte mit den arabischen Golfstaaten zu machen, deren Militärmacht als verlängerten Arm westlicher Vormachtansprüche zu nutzen und nicht zuletzt potentielle Verbündete Rußlands kurzzuhalten, bestimmt die US-amerikanische wie EU-europäische Politik dort mindestens seit der Eroberung des Iraks 2003. Dies gilt um so mehr, seit sich mit dem arabischen Frühling gezeigt hat, daß die Menschen des Nahen und Mittleren Ostens sehr wohl in der Lage sind, ihre Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen und gegen die postkolonialen Ansprüche des Westens in Stellung zu bringen.

Die erfolgreiche Niederschlagung des massenhaften Aufbegehrens der arabischen Bevölkerungen hat Libyen in einen Trümmerhaufen verwandelt, Ägypten eine nur vordergründig demokratisch larvierte Militärdiktatur beschert und Syrien in einen blutigen Krieg versinken lassen. Auch letzteres erfolgte, weil die NATO-Staaten keine Gelegenheit auslassen, die Bruchlinien in den Gesellschaften der arabischen Mittelmeeranrainer für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. In diesen Ländern eine selbstbestimmte demokratische Revolution durchzuführen ist unmöglich, wenn dadurch die strategischen Interessen westlicher Staaten bedroht werden. Machen sich die Menschen dann massenhaft auf, den auf humanitär interventionistische Weise über sie hereingebrochenen Werteuniversalismus an seinen Herkunftsorten aufzusuchen, ist das ein Kriegsgrund mehr.

Die neue militärische Präsenz Rußlands in der Region erfüllt all dies mit einer Brisanz, die die mit dem geostrategischen Konflikt um die Ukraine entstandene Brandgefahr auf explosive Weise verschärft. Mit einem Mal ist die geostrategische Konstellation des Kalten Krieges zurückgekehrt, als die Sowjetunion mit wechselnden Partnern bemüht war, der NATO auch auf diesem Terrain Paroli zu bieten. Auch wenn die Russische Föderation keine erklärte Gegnerin der westlichen Militärallianz ist, so unternimmt diese viel, um ihrerseits klarzustellen, daß ein souveränes Rußland in die Schranken ihrer Interessenpolitik gewiesen werden muß.

Das verkompliziert die Sache ebenso wie die schon in den neunziger Jahren erklärte Absicht US-amerikanischer Eliten, den Irak, Syrien, Libyen und andere unsichere Kantonisten einer Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens unter dem Sternenbanner zu unterziehen. Anzunehmen, die Bundeswehr folge dem von Frankreichs Presse zum Chef de guerre ernannten Präsident Hollande in den Krieg, weil man von den Anschlägen in Paris so erschüttert sei, ist so abwegig wie die widerlegte Behauptung, die USA hätten den Irak angegriffen, weil Saddam Hussein mit den Attentätern des 11. September 2001 gemeinsame Sache gemacht habe. Aufgrund diverser sich kreuzender Interessen staatlicher wie nichtstaatlicher Akteure in der Region hat der nominell gegen den IS geführte Krieg das Potential, nicht nur mehr als eine Dekade zu dauern, sondern den in den Augen deutscher Großmachtphantasten überfälligen Eintritt der Bundesrepublik in den Kreis der führenden imperialistischen Militärmächte unter erheblichem Verlust von Leib und Leben Wirklichkeit werden zu lassen.

Die nach 9/11 aus Washington zu vernehmende Prognose, die Dauer des aus diesen Anschlägen resultierenden Feldzuges werde mehrere Generationen überspannen, soll nun auf eine Weise bestätigt werden, die einfach alles verschlimmert, was ohnehin im Argen liegt. Die Weltwirtschaftskrise wird dadurch nicht überwunden, sondern auf gewaltsame Weise beherrschbarer gemacht. Der Zerstörung der lebensspendenden Atmosphäre und natürlichen Ressourcen wird uneingeschränkt voranschreiten, Hunger und Not werden alltägliche Begleiter auch in den westlichen Metropolengesellschaften sein, die Massenmigration der Kriegsopfer wird auf noch aggressiveren Rassenhaß treffen, und die sogenannte Heimatfront wird zum Bollwerk der Repression gegen alle Formen herrschaftskritischer und klassenkämpferischer Opposition aufgerüstet. All dies wird nicht sofort eintreten, sich aber über die lange Frist des nun beginnenden Waffenganges immer schmerzhafter in die alltägliche Realität eingraben.

In Hamburg hat die Bevölkerung dem millionenschweren Propagandaapparat der Eventmanager widerstanden und gegen Olympia votiert. Die unerwartete und massenhafte Einsicht in die Funktionsweise gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse, deren schöner Schein die soziale Wirklichkeit stets aufs Neue auf den Kopf stellt, wäre auch an dieser Stelle vonnöten. Der schwache und arme Menschen weiter ausgrenzende, die Unterwerfung unter die kapitalistische Arbeitsgesellschaft propagierende Leistungwahn des Megaevents Olympia kann nun nicht mehr als populistische Legitimation der Funktionseliten in Staat und Wirtschaft eingesetzt werden. So herablassend nun über die angebliche Verblendung der Hamburger Olympiagegner räsoniert wird, diese goldene Chance für das Stadtmarketing Hamburgs vertan zu haben, so selbstverständlich ist der Ausschluß der Bevölkerung von allen wesentlichen Entscheidungen, insbesondere derjenigen über Krieg und Frieden. Gerade deshalb sollten die Menschen uneingeladen die Straßen überfluten, um Parlament und Regierung mit ihrem Nein zum Krieg zu konfrontieren.

3. Dezember 2015


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