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KRIEG/1637: Todeszone Gaza - Die Ohnmacht auf die Spitze der Unerträglichkeit treiben ... (SB)




"Israel befindet sich im Belagerungszustand" [1], so US-Außenminister John Kerry, der sich ganz der Lesart der israelischen Regierung anschließt, die Verantwortung für das Blutbad in Gaza der Hamas anzulasten. Man dürfe ihren Terrorismus nicht mit Vorbedingungen für den Abschluß eines Waffenstillstands honorieren, sondern erst in der Folge einer Feuerpause über die Gründe des Konflikts sprechen, so Kerry in Entgegnung auf die Erklärung der Regierung des Gazastreifens, keinen Waffenstillstand um jeden Preis zu akzeptieren. "Wir sind keine Tiere. Was bedeutet ein Waffenstillstand ohne offene Grenzübergänge? Ohne Löhne? Ohne Arbeitsplätze?" [2], begründete der Wohnungsbauminister der Hamas, Moufeed al-Hasainah, die Nichtakzeptanz des über Ägypten vermittelten Waffenstillstandsangebots.

So viel zur Diplomatie, von der auch die US-Regierung stets behauptet, sie sei der bessere Weg zur Lösung mit tödlicher Gewalt aufgeladener Konflikte. Indem die Verhältnisse auf den Kopf gestellt werden und der seit Jahren belagerte Gazastreifen zum Aggressor hochstilisiert wird, gibt Kerry zu erkennen, daß er die Kriegführung der israelischen Regierung jenseits der ohnehin wachsweichen Frage nach ihrer Verhältnismäßigkeit für legitim und akzeptabel hält. Mit Kampfbombern, Artillerie und Schiffsgeschützen ein Gebiet zu beschießen, das zu den dichtbesiedelsten nichturbanen Zonen der Welt gehört und für die meisten dort lebenden Menschen de facto ein großes Freiluftgefängnis darstellt, läßt keinen Zweifel an der Absicht, der ganz normalen Bevölkerung einen erheblichen Blutzoll abzuverlangen. Die an sie gerichteten Aufforderungen der israelischen Streitkräfte, die für den Beschuß vorgesehenen Gebiete zu verlassen, sind angesichts der nichtvorhandenen Ausweichmöglichkeiten Augenwischerei.

Ein Gebiet mit einer Fläche von 360 Quadratkilometern, das etwas größer ist als die Stadt München, aber fast die gleiche Bevölkerungsdichte von über 4000 Einwohnern je Quadratkilometer hat, im Unterschied zur bayerischen Landeshauptstadt aber nicht verlassen werden kann und auch über keine Bunker verfügt, mit großen Kalibern und schweren Bomben zu attackieren, wäre, wenn es nicht von Israel vollzogen würde, nach Maßgabe der Schutzverantwortung des humanitären Interventionismus ein zwingender Grund zum militärischen Eingreifen. Wie Berichte aus Gaza erkennen lassen, soll die Intensität der Angriffe noch verheerender sein als bei der Operation Gegossenes Blei Anfang 2009. Hier wird also in aller Öffentlichkeit ein Massaker an einer Zivilbevölkerung vollzogen, die ihr Dasein schon seit vielen Jahren aufgrund der Abschottung des Territoriums unter härtesten materiellen Überlebensbedingungen fristet und dementsprechend schlecht auf eine solche Katastrophe vorbereitet ist. So gibt es bereits ein erhebliches Trinkwasserproblem [3], der Strom ist teilweise ausgefallen, dementsprechend schwierig bis unmöglich wird die Versorgung der Verwundeten, unter denen sich viele Kinder befinden.

All das hat seine eigene Vernunft, ansonsten würde ein erfahrener Außenpolitiker wie Kerry, der hier nur ein Beispiel von vielen ist, nicht solch offenkundigen Unsinn behaupten. Hier wird nicht etwa mit gezinkten Karten gespielt, hier wird Politik nach Maßgabe machiavellistischer Machbarkeit betrieben. So ist es keine Kunst, die Hamas als Ausbund des Bösen darzustellen, genießt sie doch so gut wie keine Unterstützung mehr durch ehemalige Bundesgenossen. Dies hat sie zum Teil selbst verursacht, indem sie in Syrien auf die Karte der Rebellen gesetzt und den dortigen Rückzugsort mit der Übersiedlung ihrer Exilführung nach Katar aufgegeben hat. Das Bündnis mit derjenigen arabischen Regierung, die - im Falle Syriens durchaus mit westlichem Einverständnis - islamistische Milizen aufrüstet und zu den Förderern der den Irak heimsuchenden IS-Fundamentalisten gehört, erweist sich ebenso als Sackgasse wie das Bündnis mit der ägyptischen Muslimbruderschaft, die vom Militärregime in Kairo ihrerseits als terroristische Vereinigung verfolgt wird. Nicht viel mehr als nichts hat die Hamas vom Iran zu erwarten, der im Irak auf der Seite der schiitischen Akteure steht und im Atomstreit seinerseits aus der Defensive heraus agiert.

Eine diplomatische Lösung des Konflikts bestände darin, der Hamas das längst überfällige Angebot der Beendigung der Blockade des Gazastreifens zu unterbreiten, um sie im Gegenzug in eine dauerhafte Friedenslösung einzubinden. Indem sie gegenüber der eigenen Bevölkerung etwas vorzuweisen hätte, könnte sie Zugeständnisse an die Adresse Israels machen, ohne das Gesicht zu verlieren. Das wiederum stärkte das Projekt der palästinensischen Einheitsregierung, die zu zerschlagen ganz offensichtlich das zentrale Ziel der israelischen Politik gegen die Hamas ist. Eine erfolgreiche politische Einigung der verfeindeten innerpalästinensischen Hauptakteure setzte Israel unter Zugzwang, vielleicht eines Tages doch noch zu liefern, anstatt mit einer durch EU und USA unterstützten Obstruktionspolitik den Eindruck zu erwecken, auf palästinensischer Seite über keinen seriösen und handlungsfähigen Gesprächspartner zu verfügen.

All das ist in Washington, Brüssel und Berlin bekannt. Auch weiß man dort, daß die Verhaftung Hunderter der Hamas zugerechneten Palästinenser im Westjordanland unter dem Vorwand, sie wären für die Ermordung der drei jüdischen Religionsschüler verantwortlich, sowie mehrere tödliche Angriffe des israelischen Militärs auf Hamas-Mitglieder den Raketenbeschuß aus dem Gazastreifen maßgeblich provoziert haben. Um so deutlicher wird angesichts der fast 90 palästinensischen Todesopfer und über 400 Verletzten allein bei den israelischen Angriffen auf Gaza an diesem Sonntag, daß diese sogenannte Terrorismusbekämpfung [4] eine Form des staatlich organisierten Mordes darstellt.

Wenn der US-Außenminister Israel zum Opfer einer palästinensischen Aggression erklärt und die europäischen Regierungen dazu weitgehend schweigen, dann zeigt sich, daß es längst nicht mehr um den Abtausch rationaler und überprüfbarer Argumente geht. Die israelische Regierung genießt fast unbegrenzten Kredit bei den Regierungen und Medien der NATO-Staaten. Die dort zu einer grotesken Karikatur politischen und journalistischen Urteilsvermögens geratene Äquidistanz, mit der der Eindruck erweckt wird, als agierten das hochgerüstete, durch die Garantiemacht USA geschützte Israel und die mit dem Rücken an der Wand stehende Hamas am Verhandlungstisch wie auf dem Schlachtfeld auf Augenhöhe, müßte jeden Menschen beschämen, der es für niederträchtig und feige hält, so gut wie wehrlose Menschen propagandistisch und militärisch niederzumachen.

So wird in der Bundesrepublik der Geist des Widerstandes gegen Hitler am 20. Juli 1944 heute nur mit dem einen Zweck beschworen und zum leuchtenden Vorbild des Eintretens gegen Gewaltherrschaft und Menschenverachtung erklärt, auf der Bahn bewährter Feindbildproduktionen für den deutschen Imperialismus instrumentalisiert zu werden. Wie im Falle der Ukraine, wo die Zeichen auf Sturm gegen Rußland stehen, obwohl für die Urheberschaft des Abschusses der malaysischen Passagiermaschine immer noch mehrere Akteure in Frage kommen, beherrschen geostrategische Interessen das Feld einer Weltpolitik, die sich zusehends in den Händen staatsautoritärer Exekutivpolitik befindet. Zwar konnten die Millionen Menschen, die vor Beginn der Eroberung des Irak 2003 weltweit gegen diesen Aggressionsakt protestiert haben, nicht verhindern, daß das Land, nachdem es bereits dreizehn Jahre ausgehungert worden war, vollends in eine blutende, von aller Menschlichkeit insbesondere der humanitären Interventionisten verlassenen Wunde verwandelt wurde.

Doch heute nicht die Stimme zu erheben, wo an den Palästinensern vorexerziert wird, wie es Menschen ergeht, die sich nicht widerstandslos der ihnen aufoktroyierten Ohnmacht ergeben, wo der Imperialismus der NATO-Staaten in der Ukraine die Voraussetzungen für einen Dritten Weltkrieg geschaffen hat, heißt möglicherweise in Kauf zu nehmen, eines Tages selbst mit Haut und Haaren einem Interesse ausgeliefert zu sein, das den letzten Funken kreatürlichen Zorns, den letzten Rest widerständigen Lebens zum Anlaß der Elimination seiner Subjekte nimmt.


Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-07/militaeroffensive-gaza-kerry

[2] https://www.wsws.org/de/articles/2014/07/19/gaza-j19.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/brenn/p1ga0046.html

[4] PROPAGANDA/1479: Terrorismusbekämpfung als ideologisches Herrschafts- und exekutives Machtinstrument (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/prop1479.html

20. Juli 2014