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KRIEG/1634: "Ultima Ratio" - Staatsräson scharfgemacht (SB)




Der Bundespräsident spricht aus, was namhafte Kommentatoren der Konzernmedien schon lange fordern. Insbesondere nach dem von der NATO herbeigebombten Regimewechsel in Libyen wurde die mangelnde Kriegsbereitschaft Deutschlands lautstark beklagt. Wann immer sich eine Chance auftut, das teure Kriegsgerät auch einmal einzusetzen, schwillt der Chor der Schreibtischkrieger zum Bocksgesang von unbefriedigter Geltungssucht trunkener Männer an. Daß deren Tragödie, so die altgriechische Herkunft des "Gesanges um den Bockspreis", darin besteht, immer die anderen für die eigene Blutrunst verantwortlich zu machen, entzieht sich ihrer Wahrnehmung eben deshalb - die eigene Beteiligung an der Feindseligkeit ist ihnen fremd und soll es auch bleiben.

Deutschland muß Verantwortung übernehmen, auch und gerade dort, wo die ultima ratio den Einsatz militärischer Gewalt gebietet. Was Joachim Gauck als "letztes Mittel" einsetzen will und ihm daher als strikte Begrenzung der von ihm erhobenen Forderung, "den Einsatz militärischer Mittel nicht von vornherein zu verwerfen" [1], zugute gehalten wird, entspringt als Ausdruck souveräner Entscheidungsgewalt der Machtbefugnis des Herrschers, über Leben und Tod zu befinden, ohne sich einer höheren Instanz gegenüber rechtfertigen zu müssen. "Ultima ratio regum" lautete das in Kanonen gegossene Signum absolutistischer Letztbegründung, und es war damit nicht das letzte Mittel, sondern die unantastbare Suprematie königlicher Entscheidungsgewalt gemeint.

Für die aufgeklärte Moderne hat der NS-Kronjurist Carl Schmitt mit dem berühmten Diktum "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet" den Kehrwert jedes demokratischen und rechtsstaatlichen Anspruchs auf Partizipation und Legalität definiert. Die damit beschworene Zuständigkeit eines Herrschers oder Diktators, sich im Ausnahmezustand über alle Regeln hinwegzusetzen und so schwebende Machtfragen im Bürgerkrieg oder Katastrophenfall zugunsten der Aufrechterhaltung staatlicher Ordnung zu beantworten, ist auch der Angelpunkt des Versuches, gesellschaftliche Gewaltverhältnisse mit dazu verfaßten Regeln einzuhegen. In der Konsequenz der darin angelegten Konkurrenzkämpfe drängt alles zur Deutungsmacht derjenigen Fraktion, die über die stärksten Mittel verfügt, sich durchzusetzen.

Nicht der Krieg als solcher läuft Gefahr, jeden Rahmen zu sprengen, sondern der Anspruch des Aggressors, seine Deutungsmacht durch archaische Gewaltanwendung obsiegen zu lassen. Die angeblich aus den Katastrophen der Weltkriege des 20. Jahrhunderts gelernte Lektion, einer solchen Eskalation durch die Begrenzung des Krieges auf die unmittelbare Verteidigung des eigenen Territoriums und die Anrufung des Weltsicherheitsrates, der im Ratschluß seiner Mitgliedstaaten über alles weitere entscheidet, vorzubeugen, ist spätestens seit dem Überfall der NATO auf Jugoslawien Geschichte. Wenn sich Rußland und China als ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates jener Vernunft gegenüber als immun erweisen, die die führenden Regierungen der NATO-Staaten gepachtet zu haben meinen, dann wird unter expliziter Aufkündigung der Zuständigkeit dieses Gremiums - natürlich nur für diesen Ausnahmefall - dennoch zu den Waffen gegriffen. "Der UN-Sicherheitsrat ist seiner Verantwortung nicht gerecht geworden, deshalb werden wir der unseren gerecht", dekretierte der damalige US-Präsident George W. Bush kurz vor dem Überfall auf den Irak, dessen Nachwehen derzeit neue Schrecken über die leidgeprüfte irakische Bevölkerung bringen.

Mit dem wiederholten Versuch, den interventionistischen Krieg auf die Agenda staatlichen Handelns zu setzen, eifert Gauck nichts geringerem nach als der Exekutivgewalt eines Bush, der als Commander-in-Chief Ankläger, Richter und Henker in Personalunion war. Die wertegestützte Legitimität eines Deutschland, daß als "solide und verläßliche Demokratie" wie als "Rechtsstaat ... an der Seite der Unterdrückten" stehe und "für Menschenrechte" [1] kämpfe, entspricht der Dichotomie des US-amerikanischen Terrorkriegs, autoritäre Regierungen im Namen von Freiheit und Demokratie zu stürzen und dabei Trümmerfelder zu hinterlassen, in denen Mindeststandards menschlichen Schutzes und materieller Versorgung aufgehoben sind. Jugoslawien, Irak, Libyen, Syrien - die Spur der Verwüstung durchzieht Länder, deren staatskapitalistische Konstitution dafür sorgte, daß der Zugriff der Administrativgewalt und Kapitalinteressen anderer Staaten auf die eigenen Ressourcen und Arbeitskräfte in einem Rahmen blieben, den zu sprengen durch die "kreative Zerstörung" des neoliberalen Strukturwandels und Investitionsschutzes zentrales Anliegen der Aggressoren war und ist.

Ob deutsche Fußballstars mit den Soldaten der brasilianischen Aufstandsbekämpfung posieren oder deutsche Polizisten die Schergen arabischer Despoten ausbilden, ob deutsche Unternehmen in Katar von mörderischer Lohnsklaverei oder deutsche Ladenketten von der brutalen Ausbeutung in den Textilfabriken Bangladeschs profitieren, ob mit deutschen Kreditbürgschaften und deutschen Bauunternehmen Staudämme und Kernkraftwerke in den Ländern des Südens errichtet werden, auch wenn die einheimische Bevölkerung dadurch vertrieben oder geschädigt wird, immer geht es darum, auch bei der ärgsten Menschenschinderei bella figura zu machen.

Wo dies einmal nicht gelingt, weil, wie im Falle der Zusammenarbeit der Bundesrepublik mit nahöstlichen Regierungen, die bekannt dafür sind, islamistische Milizen zu finanzieren, allzu offensichtlich wird, daß am deutschen Imperialismus auch dann Blut klebt, wenn noch gar kein Schuß abgefeuert wurde, dann wird schlicht auf die Illegitimität der Ursachenforschung abgestellt. Wo Grünenchef Cem Özdemir das Wegschauen damit begründet, als Politiker nur für Lösungen zuständig zu sein [2], da erklärt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, der CDU-Politiker Norbert Röttgen, daß die Frage des DLF-Moderators Dirk Müller nach der Finanzierung des Terrorismus nur dazu führe, daß "wir jedenfalls so lange diskutieren, bis Isis vor Bagdad steht" [3]. Bloß nicht daran rühren, daß die Bundesrepublik den Aufstand in Syrien, in dem diese islamistische Organisation ihre Kampfkraft entwickelte, politisch und geheimdienstlich massiv unterstützt hat, während die US-Regierung den bislang ausgebliebenen Sturz Präsident Assads darüber hinaus großzügig bemittelte.

Trotz des angeblichen Handlungsnotstands, mit dem sich Röttgen jegliches Nachdenken über die Entwicklung im Irak verbietet, will er nicht darauf verzichten, Rußland und den Iran zu bezichtigen, maßgeblich für die "Ur-Ursache" des ganzen Dilemmas, den Syrien-Krieg, verantwortlich zu sein. Soviel Zeit muß sein, schließlich ist die Front gegen Rußland nicht nur im Nahen und Mittleren Osten, sondern auch in der Ukraine eröffnet. Ansonsten aber ist zügiges Handeln das Gebot der Stunde, nicht etwa, weil im Irak, wie an vielen anderen Orten der Welt, die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, sondern weil "in der Aktualität der Bedrohung eine Chance für Besserung" liegt. Man darf gespannt darauf sein, was Röttgen meint, wenn er erklärt, daß es jetzt darum gehe, "den Machtanspruch und den Terror von Isis politisch zu nutzen, um zu einem (...) Minimalkonsens zu kommen, solchen Terror und solchen Machtanspruch gemeinsam zurückzudrängen. Das, meine ich, ist die politische Aufgabe und sogar die kleine Chance, die in dieser erneuten andersartigen Eskalation in der Region liegt" [3].

Wenn der Nutzen der Staatsräson so hintergrundslos aufgerufen wird, dann ist der Ernstfall nicht mehr weit entfernt. Darin sind sich Politik und Medien weitgehend einig, berufen sie sich doch auf eine Vernunft, deren Gültigkeit allein deshalb außer Frage steht, weil die angebliche Irrrationalität des Feindes keine Antwort schuldig bleibt. "Mit rationalen Mitteln ist den islamistischen Fanatikern jedenfalls nicht beizukommen. Ähnlich ist es ja auch bei der Boko Haram, bei der Hamas, bei der Al Quaida oder bei den Shahab-Milizen, um nur einige zu nennen", meint DLF-Moderator Jürgen Liminski in Ankündigung eines Beitrages zur "Terrororganisation ISIS" [4]. Hier wird alles wahr, weil nicht falsch sein kann, was in Bausch und Bogen auf den größten gemeinsamen Nenner journalistischer Urteilssicherheit gebracht wird. Die palästinensische Hamas mit Halsabschneidern und Händeabhackern gleichzusetzen, ohne zu erwähnen, daß die Ratio des Antikommunismus der Karriere Al Qaidas zum Weltbösen den Weg geebnet hat, ist Ausdruck einer Schwarz-Weiß-Malerei, ohne die zweckdienliche Feindbilder nicht aufzubauen sind.

Daß der im Irak niemals richtig aufgehörte und nun wieder vollends entbrannte Krieg zwischen zwei Konfessionen ausgetragen wird, ist ebenso Produkt der westlichen Kolonial- und Hegemonialpolitik im Nahen und Mittleren Osten wie der Aufstieg eines fundamentalistischen Islam, der als typisches Zerfallsprodukt der kapitalistischen Moderne alle traditionelle Religiosität missen läßt. Als Opus Dei-Mitglied weiß Liminski mindestens so viel über die destruktive Wirkung derartiger Behauptungen wie der theologisch bewanderte Bundespräsident, der die Doktrin des Gerechten Krieges für die deutsche Staatsräson wiederentdeckt.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/aussenpolitik-gauck-auch-zu-waffen-greifen.694.de.html?dram:article_id=289120

[2] KRIEG/1633: Nachdenken über Konfliktursachen kein Thema für Menschenrechtskrieger (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1633.html

[3] http://www.deutschlandfunk.de/terror-im-irak-roettgen-deutschland-muss-mehr-gegen-die.694.de.html?dram:article_id=289321

[4] "Das war der Tag", Deutschlandfunk am 16. Juni 2014

[5] http://de.wikipedia.org/wiki/Jürgen_Liminski

17. Juni 2014