Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1623: Sterben für das Unternehmen Deutschland (SB)




Wie familienfreundlich können Streitkräfte sein? Das kommt ganz darauf an, wen man fragt. So empfänden die in Jugoslawien, Afghanistan und Libyen von den Auswirkungen NATO-mandatierter Feuerkraft Betroffenen eine solche Frage vermutlich als zynischen Versuch, sie ein weiteres Mal zu demütigen. Doch auch der von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen geplante Umbau der Bundeswehr zu einem familienfreundlichen Unternehmen könnte in Anbetracht des Berufsrisikos, kriegsversehrt oder im Leichensack aus dem Einsatzgebiet zur heimischen Familie zurückzukehren, auf ganz andere Weise wahr werden als angeblich beabsichtigt.

Von der Leyen zeichnet mit ihrem Plan, die Bundeswehr "zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland zu machen", das Bild einer Firma, die wie andere auch vor allem unternehmerischen Zielen verpflichtet sei. Deutschen Hegemonial- und Kapitalinteressen in aller Welt mit Waffengewalt den Weg zu ebnen, kann durchaus als wirtschaftliches Projekt beworben werden, wie das Geschäft international aktiver und privatwirtschaftlich organisierter Gewaltdienstleister belegt. Doch warum dann nicht gleich den Schritt zur Privatisierung der ohnehin angesichts des Outsourcings vieler Aufgaben teilprivatisierten Armee gehen? Warum nicht die Staatsaufgabe einer militärischen Verteidigung, die das Bild des seine Familie gegen fremde Aggressoren verteidigenden Soldaten auf gegenteilige Weise revidiert hat, denjenigen überantworten, deren Interessen damit in allererster Linie gedient ist?

Die Standardantwort auf diese Frage besteht im Verweis auf die demokratische Kontrolle des Streitkräfteeinsatzes und auf die politische Mandatierung einer hoheitlichen Aufgabe, die niemand anders als der Staat wahrnehmen dürfe. Da sich die langwierige parlamentarische Willensbildung bei Auslandseinsätzen längst zu einem Negativfaktor im Unternehmensprofil des staatlichen Gewaltakteurs ausgewachsen hat und es eine starke Neigung gibt, mit Vorratsbeschlüssen und verkleinerten Entscheidungsgremien Abhilfe zu schaffen, rennt von der Leyen mit ihrer Initiative auch beim sogenannten Kernbestand hoheitlicher Souveränität offene Türen ein. Der Jargon betriebswirtschaftlicher Effizienzsteigerung und korporatistischer Governance hat im Konzept zivilmilitärischer Zusammenarbeit Einzug gehalten und wird auch operativ umgesetzt. Der neoliberale Staat formt sich so sehr den Produktivitätszielen seiner wichtigsten Klientel nach, als diese in ihm einen Verbündeten findet, der keinesfalls dem politischen Einfluß des nominellen Souveräns überlassen werden darf, so lange dieser ganz andere Interessen artikulieren könnte als den unbedingten Erfolg des Nationalstaates im globalen Wettbewerb.

Die öffentliche Wahrnehmung wird immer noch von der Verkennung bestimmt, daß Staat und Kapital nicht nur institutionell, sondern auch inhaltlich streng voneinander geschiedene Sphären der Willensbildung seien. Da der Staat die Stabilität des Geldwerts letztinstanzlich garantiert und die Rentabilität des Unternehmens Deutschland seine Existenz legitimiert, könnte die PR-Offensive der frischgebackenen Verteidigungsministerin nicht irreführender sein. So ist im Vorschlag der weiteren Professionalisierung des Soldatentums allen Teilzeit- und Mutterschaftsregelungen zum Trotz profunde Familienunfreundlichkeit angelegt. Schon durchschnittliche Berufskarrieren verlangen den Angestellten in Anbetracht ihrer Austauschbarkeit überdurchschnittliches Engagement ab. Im Zeittakt der 24/7-Verfügbarkeit rotieren Lohnempfängerinnen und -empfänger um das Fantasma einer Work-Life-Balance, der das Leben abhanden gekommen ist, weil es außerhalb von Produktion und Reproduktion keinen Begriff mehr dafür gibt. All das wäre bei der Bundeswehr spätestens dann der Fall, wenn die Zahl der Bewerbungen den Bedarf überstiege.

Warum sollte der Druck, die Ware Arbeitskraft nach Marktbedingungen feilzubieten und zu verwerten, in diesem Unternehmen weniger stark sein als in einem DAX-Konzern? Die von der CDU-Politikerin propagierte Attraktivität militärischer Arbeitsplätze steht und fällt mit den verfügbaren Alternativen. Jugendoffiziere in die Schulen zu schicken, um Kinder und Jugendliche mit dem angeblich besseren Militarismus dieses Deutschlands zu indoktrinieren, bedient sich ebenso sozialer Not wie die Praxis, an den Arbeitsagenturen die Aussichtslosigkeit von Hartz-IV-Betroffenen für den Erhalt neuen Kanonenfutters auszubeuten. Schlägt die Krise verstärkt auf die Bundesrepublik zurück, dann werden sich auch in der Rekrutierungspraxis der Bundeswehr Verhältnisse wie in den USA etablieren, wo ein weit überproportionaler Anteil der besonders schlecht bezahlten unteren Dienstgrade aus sozial benachteiligten ethnischen Minoritäten und den Armutszonen im Süden des Landes stammt.

Daß die Soldatinnen und Soldaten ihren Beruf liebten, wie die CDU-Ministerin zu wissen glaubt, und eigentlich nur das Problem scheiternder Ehen und vernachlässigter Kinder hätten, trifft bestenfall auf diejenigen Zeiten zu, in denen der von ihnen erwirtschaftete Nutzen nicht tödliche Risiken mit sich bringt. "Wer geht in Zukunft noch zur Bundeswehr, wie kriegen wir dort auch junge Menschen hin, die bereit sind, wirklich für Deutschland später vielleicht sogar im Krieg sterben zu müssen?" fragt die Grünen-Familienpolitikerin Franziska Brantner im Interview mit dem Deutschlandfunk [1] und lobt die Ministerin dafür, diese "sehr wichtige Aufgabe" angegangen zu sein. Je mehr der Zwang, Geld zu verdienen, im Nationalpathos von der Not- und Schicksalsgemeinschaft mit dem Erfolg des Wirtschaftsstandortes verkoppelt wird, desto eindeutiger fällt die Antwort auf diese Frage aus. Es werden junge Menschen sein, denen nationaler Erfolg als sinnstiftende Antwort auf ihr vermeintliches Versagen in Beruf und Karriere präsentiert wird.

Auf der Suche nach Schuldigen für die persönliche Misere soll kein Gedanke an fremdbestimmte Arbeit und kapitalistische Vergesellschaftung, an den Zusammenhang von staatsbürgerlicher Identität und imperialistischer Kriegführung verschwendet werden. Statt dessen dürfen die Jugendlichen an der Verklärung deutscher Gerechtigkeit in humanitär begründeten Feldzügen teilhaben, sie erhalten die Lizenz, straffrei Menschen umzubringen und können in der Offizierslaufbahn in die höheren Weihen strategischer Planung zur Sicherung handels- und ressourcenpolitischer Vorteile eingeführt werden. Im Kriegsfall, wenn auch das eigene Blut fließt, wird ihr Beruf zu einem ethisch hochwertigen Dienst an der Nation verklärt und in der massenmedialen Heldenmaschine als Opfergang glorifiziert. Wer in die Lobpreisungen auf die neue Ministerin einfällt, tut dies aus keinem anderen Grund, als das Unternehmen Deutschland auch mit kriegerischen Mitteln so lange wie möglich in der Gewinn- und Komfortzone zu halten.


Fußnoten:

[1] http://www.deutschlandfunk.de/gruene-familienpolitikerin-deutschland-hat-noch-einen.694.de.html?dram:article_id=274523

14. Januar 2014