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KRIEG/1617: Warum Francois Hollande die Waffen sprechen lassen will (SB)




In einer Grundsatzrede des französischen Präsidenten anläßlich der Eröffnung der 21. Botschafterkonferenz am 27. August im Élysée-Palast in Paris führte Francois Hollande aus, warum er "in Syrien die Waffen sprechen lassen will". Seine Begründung ist apodiktisch, in sich widersprüchlich, sachlich falsch und deshalb wohl auch nur zwei Sätze lang:

Alles deutet darauf hin, dass diese niederträchtige Tat dem Regime zuzuschreiben ist. Damit ist das Urteil der Welt endgültig über das Regime gefällt.[1]

Die Behauptung, es sei so gut wie sicher, daß die syrische Regierung Chemiewaffen eingesetzt hat, wird von mehreren NATO-Staaten und deren Verbündeten erhoben, ist aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bewiesen. Folglich kann nach bislang anerkanntem Rechtsverständnis daraus keine Handlungskonsequenz abgeleitet werden. Genau das tut Hollande jedoch, wenn er von einem Urteil der Welt spricht, das damit endgültig gefällt sei.

Wenngleich der französische Präsident die Auffassung mit zahlreichen anderen westlichen Regierungen zu teilen scheint, daß man im Falle Syriens das Urteil vor der Beweisaufnahme sprechen könne und der Urteilsspruch unwiderruflich sei, wird doch deutlich, daß von Rechtmäßigkeit in diesem Zusammenhang nicht die Rede sein kann. Ganz offensichtlich werden aus dem Recht entlehnte Begriffe unsachgemäß und willkürlich verwendet, um das eigene Vorhaben reinzuwaschen und ihm den Anschein von Legalität zu verleihen. Da Hollande natürlich kein Gericht nennen kann, das das von ihm zitierte Urteil gefällt hat, spricht er ebenso nebulös wie anmaßend von der Welt, die er offenbar mit einer Handvoll westlicher Mächte gleichsetzt. Selbst Rußland und China, die im UN-Sicherheitsrat vertreten sind, gehören nach Auffassung des französischen Sozialisten offenbar nicht der Welt an, zumindest nicht jener, die er für die einzig relevante erklärt.

Mit diesen beiden kurzen Sätzen hat Hollande im Grunde genommen bereits alles Wesentliche gesagt: Von Bedeutung ist ausschließlich die Forderung, Syrien müsse besser heute als morgen mit einem Angriffskrieg überzogen werden, da die Regierung in Damaskus allein verantwortlich für sämtliche Leiden der Bevölkerung sei. Auf Grundlage dieser Bezichtigung rechnet er alles Folgende dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad gleichsam als persönlich aufgehäufte Schuld zu. Hollande spricht von 100.000 Toten, der Ausweitung des Konflikts auf die ganze Region, Anschlägen im Libanon, einem Zustrom an Flüchtlingen in Jordanien und in der Türkei wie auch der Entfesselung tödlicher Gewalt im Irak. Dieser Bürgerkrieg gefährde heute den Frieden in der Welt, zieht der französische Staatschef eine sattsam bekannte Bilanz.

Was aber folgt daraus? Daß man unter dem Vorwand, nur eine militärische Intervention könne das Blutvergießen beenden, den ohnehin westlicherseits geschürten Krieg endgültig zu einem Flächenbrand anfacht? Daß man zahllose Menschen mit Marschflugkörpern, Raketen und Bomben tötet und die Opferzahl noch einmal massiv in die Höhe treibt? Daß man die Infrastruktur des Landes zerbombt und ein Chaos wie jenes im Irak oder in Libyen anrichtet?

Daß Frankreich längst in den Syrienkrieg verwickelt ist, heftet sich Hollande unverblümt als Verdienst ans Revers. Man habe schon vor einem Jahr die Konferenz der Freunde des syrischen Volks ins Leben gerufen, die im Juli 2012 in Paris stattfand. Man habe im vergangenen September als erstes Land die Nationale Koalition als legitime Vertreterin des syrischen Volks anerkannt. Und man habe der Opposition sehr schnell humanitäre und materielle Hilfe zukommen lassen, damit sie ihren Kampf führen kann. Rechnet man noch all jene geheimdienstlichen, operativen und finanziellen Leistungen zur Unterstützung des Aufstands hinzu, die der französische Präsident aus naheliegenden Gründen nicht erwähnt, kommt man zu dem Schluß, daß die von Hollande mit Krokodilstränen beklagten Leiden der syrischen Bevölkerung natürlich auch von jenen Mächten verursacht werden, die den Regimewechsel in Damaskus herbeiführen möchten.

Des weiteren führt Hollande die Verantwortung und Außenpolitik Frankreichs, wie er sie seit seiner Wahl zusammen mit Laurent Fabius betreibe, auf drei Grundsätze zurück:

Unabhängigkeit: Sie gestattet uns jederzeit in voller Souveränität zu handeln und dabei treu zu unseren Bündnissen, zur europäischen Solidarität und zu unseren bilateralen Vereinbarungen zu stehen. Aufgrund dieser Freiheit ist Frankreich nützlich für die Welt und für den Frieden.[1]

Das scheint eine Mehrheit der französischen Bevölkerung derzeit ganz anders zu sehen, haben sich doch in jüngsten Umfragen 64 Prozent gegen eine Militäraktion ausgesprochen. Sieht man einmal von der Regierungsspitze ab, machen selbst die Befürworter einer solchen Intervention quer durch die großen Parteien einen zögerlichen Eindruck und würden die Entscheidung ähnlich wie Obama am liebsten auf ein Parlamentsvotum abschieben. Selten hat man die Franzosen derart skeptisch gegenüber einem Militäreinsatz erlebt. Kritiker sehen darin einen leichtfertigen Versuch, an den Erfolg der französischen Blitzkampagne gegen die Dschihadisten-Verbände in Mali am Anfang des Jahres anzuknüpfen und damit von den gravierenden wirtschaftlichen Problemen Frankreichs abzulenken wie auch das angeschlagene Ansehen der Regierung aufzubessern.[2]

Zudem wirkt Hollande nach dem Scheitern David Camerons im britischen Parlament und dem Ausweichmanöver Obamas plötzlich isoliert und hilflos, da allem Kriegsgeschrei zum Trotz ein militärischer Alleingang ausgeschlossen wird. Die Abhängigkeit von Washington könnte deutlicher nicht sein, und daß sie der Präsident mit diesem Vorpreschen seinen Landsleuten so krass vor Augen führt, spricht der von ihm reklamierten Unabhängigkeit und Souveränität Hohn, was gerade in seinem Land besonders schlecht ankommt.

Als zweiten Grundsatz seiner Außenpolitik nennt Hollande das Völkerrecht:

Einhaltung des Völkerrechts: Das ist die beste Garantie, die Grenzen zu achten, Streitigkeiten zu schlichten und die kollektive Sicherheit zu gewährleisten. Doch das Völkerrecht muss sich mit seiner Zeit entwickeln. Es kann nicht als Ausrede dafür herhalten, dass Massenmassaker verübt werden. Deshalb erkenne ich den Grundsatz der "Schutzverantwortung" gegenüber der Zivilbevölkerung an, der 2005 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde.[1]

Hollande redet also nicht wie behauptet der Einhaltung des Völkerrechts das Wort, sondern fordert dessen Modifikation, sprich tendentielle Abschaffung zugunsten eines Primats der "Schutzverantwortung". Grundsätzlich gilt, daß nur jene Mächte das Völkerrecht wirksam geltend machen können, die über die militärischen Zwangsmittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen verfügen. Die "Schutzverantwortung" spitzt diese Ermächtigung insofern zu, als sie regelmäßig als Druckmittel ins Feld geführt wird, Beschlüsse des Sicherheitsrats zu erzwingen oder diesen andernfalls durch eine Koalition der Willigen zu umgehen. Auch der dritte Grundsatz Hollandes erweist sich als Propagandakonstrukt:

Und schließlich die Forderung nach Dialog: Denn Frankreich will Brücken zwischen den Kontinenten schlagen und das vermeiden, was manch einer den Kampf der Kulturen genannt hat. Frankreich versteht sich als "Orientierungsmacht", also eine Nation, die sich über ihre Eigeninteressen hinaus äußert.[1]

Die einzige Brücke, die der französische Präsident derzeit schlägt, ist jene der Kriegsbeteiligung in Syrien. Was das mit Dialog oder einer Vermeidung des Kampfs der Kulturen zu tun haben soll, bleibt schleierhaft, doch gibt Hollande mit der Definition Frankreichs als "Orientierungsmacht" ja ohnehin deutlich zu verstehen, daß sein Wort überall dort den Ton angeben soll, wo man das in Paris für erforderlich hält.

"Um wirkungsvoll zu sein, müssen sich diese drei Grundsätze auf entsprechende Handlungsinstrumente stützen", rundet Hollande seine Ausführungen ab. Natürlich erwähnt er kurz die Diplomatie, um dann aber gleich zu "militärischen Fähigkeiten" überzugehen, "die Frankreich eine besondere Rolle verleihen, die durch seinen Status als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat noch verstärkt wird." Damit endet die Erklärung, warum Präsident Francois Hollande "in Syrien die Waffen sprechen lassen will", mit dem zu erwartenden Zirkelschluß: Weil sein Land über die Macht verfügt, die Sprache der Waffen als allein- und letztgültige durchzusetzen.

Fußnoten:

[1] http://www.focus.de/politik/ausland/krise-in-der-arabischen-welt/syrien/gastkommentar-von-frankreichs-praesident-und-armeechef-francois-hollande-warum-ich-in-syrien-die-waffen-sprechen-lassen-will_aid_1088480.html

[2] http://kurier.at/politik/ausland/anti-kriegs-stimmung-in-frankreich-praesident-hollande-isoliert/25.204.147

4. September 2013