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KRIEG/1616: Grüne Kriegspolitik in der Tradition Joseph Fischers (SB)




"Ich stehe auf zwei Grundsätzen, nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus. Beides gehört bei mir zusammen". Mit diesen Worten legitimierte der damalige Außenminister Joseph Fischer auf dem Sonderparteitag seiner Partei in Bielefeld 1999 die historisch zu nennende Entscheidung der rot-grünen Bundesregierung, deutsche Bodentruppen mit der Beteiligung am Angriff der NATO auf Jugoslawien erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg in einen Kampfeinsatz zu schicken. Mit seinem ideologischen Kunstgriff erteilte Fischer sowohl dem Grundsatz "nie wieder Krieg" als auch angemessenen Konsequenzen aus Auschwitz eine Absage und stieß das Tor zur deutschen Beteiligung an den Kriegen der NATO weit auf.

Auf dieser Grundlage operieren seither Bundesregierungen jeglicher Couleur. Ab 2001/2002 beteiligte sich die Bundeswehr am Krieg in Afghanistan, doch 2003 weigerte sich die rot-grüne Bundesregierung, den Irakkrieg der USA offen zu unterstützen. Das war kein Widerspruch, ist doch hinlänglich bekannt, daß der BND vor Ort Angriffsziele markierte und Deutschland als NATO-Partner unverzichtbare logistische und andere Hilfe leistete. Mitunter legt das innenpolitische Kalkül eben nahe, sich zurückhaltend zu gebärden und wie seinerzeit Gerhard Schröder entscheidende Stimmen kriegsskeptischer Wähler für sich einzufahren. Davon abgesehen ist Volkes Befindlichkeit zwar nichts, wonach sich die Politik allen Ernstes richten würde, doch Gegenstand unverzichtbarer Manipulation, um fatale Kriegsmüdigkeit oder schlimmere Anwandlungen des Aufbegehrens präventiv aus dem Feld zu schlagen.

Wenngleich nicht auszuschließen ist, daß sich einige Grüne heute mit unterschwelligen Bauchschmerzen an Fischers Schlachtruf erinnern, läßt doch die Parteiführung keinerlei Anzeichen einer glaubwürdigen Positionierung gegen deutsche Kriegsbeteiligung erkennen. Im Gegenteil: Wo immer sich die "Responsibility to protect" als Doktrin willkürlicher Intervention zur Durchsetzung westlicher Interessen vorhalten läßt, sind die Grünen in vorderster Front dabei. Nur legitimiert soll der Krieg schon sein, wie Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt geltend macht: "Es gibt Menschenrechtsverletzungen, die so drastisch sind, dass der Weltgemeinschaft als letztes Mittel nur ein militärisches Eingreifen bleibt." Ein solcher Schritt müsse aber sorgfältig abgewogen werden. Setze jemand Giftgas ein, müsse dies Konsequenzen haben. Scharfe Sanktionen gehörten dazu, in diesem Fall auch der Druck auf Rußland, so Göring-Eckardt, womit die ungeklärte Frage, wer dieser Jemand sei, aus ihrer Sicht schon vorab entschieden ist. [1]

Ganz so schnell schießen will die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth hingegen nicht, die ein militärisches Eingreifen vorerst ablehnt. Sollten Chemiewaffen eingesetzt worden sein, sei das ein abscheuliches Verbrechen, welches einer internationalen Antwort in Gestalt verschärfter Sanktionen bedürfte. "Man könnte Assad vor den Internationalen Gerichtshof stellen", weiß auch Roth mit ihrem untrüglichen Bauchgefühl längst, wer dahintersteckt. Grünen-Fraktionschef und Spitzenkandidat Jürgen Trittin, der sich unablässig auf seine Rolle als künftiger Außenminister in einer rot-grünen oder schwarz-grünen Koalition vorbereitet und daher staatsmännisch indifferent gebärdet, um wortreich seine Absichten und Positionen zu kaschieren, läßt sich im Interview mit dem Deutschlandfunk [2] nicht aufs Glatteis führen.

Jede Beteiligung an einer unilateralen Aktion ohne eine entsprechende Mandatierung durch die Völkergemeinschaft wäre mit der Verfassung nicht zu vereinbaren. Da sei die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes eindeutig und einschlägig, hält sich Trittin vordergründig bedeckt, um einer Legalisierung des Angriffskriegs gegen Syrien das Wort zu reden. Diese Spiegelfechterei nötigt ihm allerdings fadenscheinige Ausflüchte ab, als ihn seine Gesprächspartnerin Christine Heuer darauf festzunageln versucht, wie er es denn mit dem Krieg halte:

Heuer: Dann spielen wir das mal durch. Nehmen wir mal an, der UN-Sicherheitsrat beschließt tatsächlich am Ende einen Militärschlag gegen Syrien. Machen die Deutschen dann mit, sollten sie mitmachen?
Trittin: Das wäre die Grundvoraussetzung, dass Deutschland überhaupt mitmachen könnte, (...) ob sie die technischen Fertigkeiten haben und Ähnliches, da sind noch viele Zweifel angebracht.
Heuer: Wären Sie dafür?
Trittin: Aber zum jetzigen Zeitpunkt, bin ich der Auffassung, ist Deutschland gehindert, sich an jeglicher Operation, daran zu beteiligen. Das wäre auch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Recht illegal und das geht nicht. (...)
Heuer: Aber wenn der UN-Sicherheitsrat das beschließen würde, wären Sie dann dafür, dass die Deutschen mitmachen?
Trittin: Ich würde erst mal diese ganze Situation abwarten. Ich beantworte ungerne Fragen, die spekulativ sind, weil wir nicht wissen zum jetzigen Zeitpunkt, wie dieser Zustand ist. Mir ist allerdings auch bekannt, dass die Bundesrepublik Deutschland über das, was da ist, wenig verfügt, und ich bin sehr nachdrücklich der Auffassung, dass eine militärische Antwort auf die Situation in Syrien wahrscheinlich mehr Schaden anrichtet als Nutzen, und deswegen glaube ich, dass wir gut beraten sind, bei der Zurückhaltung gegenüber militärischer Intervention in diesen Bürgerkrieg zu bleiben.

Eine grundsätzliche Ablehnung des Angriffs auf Syrien - wer hätte auch anderes erwartet - ist Jürgen Trittin nicht zu entlocken. Sein Einwand, eine "militärische Antwort" richte womöglich mehr Schaden an, als daß sie nütze, zeugt von einem hegemonialen Kalkül, in dem die zu erwartenden Opfer des Waffengangs am allerwenigsten von Belang sind. Ob er sich damit nicht ziemlich einig mit Angela Merkel sei und die Kanzlerin seines Erachtens derzeit eine gute Politik mache, will Christine Heuer folglich von Trittin wissen.

Die Bundeskanzlerin hat soeben erklärt, daß ein "Tabubruch wie der Einsatz von Giftgas mit Hunderten von Toten" nicht ohne Folgen bleiben dürfe. Es sei sehr bedauerlich, daß sich "Russland und China seit langer Zeit einer gemeinsamen Haltung im Syrien-Konflikt verweigern, das schwächt die Rolle der UN derzeit erheblich", so Merkel. Eine deutsche Beteiligung an einem möglichen Angriff ohne UN-Mandat schloß die Kanzlerin vorerst aus. "Deutschland kann sich an Militäreinsätzen im übrigen nur mit einem Mandat der Vereinten Nationen, der Nato oder der EU beteiligen - insofern stellt sich die Frage nach einer Beteiligung der Bundeswehr jetzt ohnehin nicht." Die vorgelegten Argumente des US-amerikanischen Außenministers John Kerry wiesen jedoch klar in Richtung des Assad-Regimes. Sie seien plausibel und jeder solle sie ernst nehmen.

Die Nähe seiner eigenen Position zu der Angela Merkels bringt Jürgen Trittin nicht wirklich in Verlegenheit, weiß er doch nur zu gut, wie kompatibel Schwarz und Grün nicht nur in Fragen des Krieges längst geworden sind. Die Kanzlerin habe aus dem Umstand, "dass sie damals mit Bumm ta ta und Tschäng de rassasa in den Irak ziehen wollte und dass dies der CDU geschadet hat, gelernt, und sie hat sich taktisch angepasst", wischt der Fraktionsvorsitzende der Grünen die Frage der Moderatorin vom Tisch, als seien er und seine Partei über taktische Anpassung erhaben: Was die Kanzlerin mache, habe mit Politik wenig zu tun. Man solle doch die Einsicht ins Grundgesetz nicht mit guter Politik verwechseln. "Politik gestaltet", macht Trittin abschließend klar, daß er sich in einem mandatierten Krieg bereits auf dem Feldherrnhügel wähnt.


Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2013-08/syrien-reaktionen-parteien

[2] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2233675/

31. August 2013