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KRIEG/1614: Kriegsgebiet Syrien - Von den Grenzen des Völkerrechts (SB)




Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk [1] legt der Völkerrechtler Thilo Marauhn von der Justus-Liebig-Universität in Gießen dar, warum ein Militärschlag der westlichen Mächte in Syrien keine völkerrechtliche Legitimation hätte. Wie er ausführt, beinhalte die Charta der Vereinten Nationen in ihrem Artikel 2 ein zwingendes Gewaltverbot, von dem nur aus zwei Gründen abgewichen werden kann: wenn ein Staat angegriffen wird, oder wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Militärintervention autorisiert. Da das nicht der Fall ist, könne in Syrien nicht rechtmäßig interveniert werden, solange der Sicherheitsrat keine entsprechende Autorisierung beschließt. Die immer wieder ins Feld geführte Schutzverantwortung zur humanitären Intervention sei völkerrechtlich nicht nur umstritten, sie würde auch in diesem Fall nur sehr eingeschränkt greifen, zumal aus ihr keineswegs eine Pflicht zum Eingreifen resultiere.

Selbst wenn seitens der syrischen Regierung Chemiewaffen eingesetzt worden wären - was derzeit lediglich behauptet wird, doch in keiner Weise belegt ist - sei eine unmittelbar daraus abgeleitete Begründung einer Intervention völkerrechtlich nicht abgedeckt. Die Chemiewaffenkonvention von 1993 beinhalte ein Einsatzverbot solcher Waffen, doch sei Syrien selbst nicht an diese Konvention gebunden, da es sie neben sechs anderen Staaten nicht ratifiziert hat. Zudem sieht die Konvention als Sanktionsmöglichkeiten ohnehin nur ein Überwachungssystem, verschiedene vertragsinterne Sanktionsmöglichkeiten und letztlich eine Überweisung an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vor.

Daß der Sicherheitsrat, wie von westlicher Seite immer wieder moniert wird, angesichts des Vetorechts seiner Mitglieder ein zahnloser Tiger sei, kann Marauhn nicht nachvollziehen. Schließlich sei diese Konstruktion aus guten Gründen etabliert worden, damit nicht in jedem Konflikt mit militärischen Mitteln reagiert werden kann. Einer Kanonenbootpolitik auf höherem Niveau in Gestalt einer Koalition der Willigen, die wie im Falle Kosovos und Iraks ohne UN-Mandat angreift, attestiert der Völkerrechtler eine zweifelhafte Legitimität, die als Schwächung der Vereinten Nationen prinzipiell abzulehnen sei.

An die Adresse der Bundesregierung gerichtet, bezeichnet es Marauhn als wünschenswert, deutlich zu artikulieren, daß sie eine Beteiligung an einem Militärschlag ohne Autorisierung durch den Sicherheitsrat für völkerrechtswidrig hält. Auf einen wie auch immer gearteten Begriff des gerechten Kriegs zur Vermeidung größeren Unrechts oder zur Eindämmung und Beseitigung einer größeren Gefahr könne sich seit der Gründung der Vereinten Nationen und dem von ihnen verankerten zwingenden Gewaltverbot niemand stützen.

Auch die vielfach geforderten Waffenlieferungen an die Aufständischen seien in einer Bürgerkriegssituation rechtlich beschränkt. Grundsätzlich gelte, daß der Opposition keine Waffen geliefert werden dürfen. Gegebenenfalls dürften der Regierung Waffen geliefert werden, wobei in diesem Fall darauf zu achten sei, daß man sich damit nicht etwa einer Beihilfe zu Völkerrechtsverletzungen wie beispielsweise Menschenrechtsverletzungen schuldig macht. Grundsätzlich gelte also, daß man der syrischen Opposition keine Waffen liefern dürfe, da dies völkerrechtlich nicht gedeckt sei.

Diese im Rahmen völkerrechtlicher Grundsätze erfreulich prinzipientreue Einlassung Marauhns ist jedoch weder mit einer grundsätzlichen Positionierung gegen den Krieg zu verwechseln, noch trägt sie fundierteren Erwägungen Rechnung, welche Interessen in diesem Konflikt zum Tragen kommen. Sollte der Sicherheitsrat einen Angriff mandatieren, wären die Einwände des Gießener Völkerrechtlers obsolet. Daß Rußland und China des öfteren gegen die Vorhaben der restlichen Sicherheitsratsmitglieder opponieren, weshalb man sie einer Blockadehaltung bezichtigt, geschieht aus nachvollziehbaren Gründen. Sie wollen nicht tatenlos zusehen, wie die NATO den Kordon der Einkreisung durch eine Welle unablässiger Kriege immer enger zieht.

Fällt Syrien, rückt der Iran unwiderruflich ins Visier westlichen Hegemonialstrebens. Und sollte der Iran fallen, steht im Keil zwischen Rußland und China kein funktionsfähiges und potentiell eigenständiges Staatswesen mehr zwischen den NATO-Mächten und deren letztendlichen Angriffszielen. Aus Perspektive Moskaus stellt sich längst die strategische Frage, mit welchen Mitteln und zu welchem Zeitpunkt diesem unablässig wachsenden Druck Einhalt geboten werden könnte. So wäre Syrien ohne den Rückhalt Rußlands und Chinas längst wie der Irak oder Libyen von einem Angriffskrieg verwüstet, zersplittert und über den nicht zuletzt aufgrund äußerer Interessen entbrannten Bürgerkrieg hinaus in einen Zustand weitreichender Verelendung und fortdauernder Fraktionskriege ohne absehbares Ende gestürzt worden.

Ihrer eigenen Expansionslogik der kreativen Zerstörung folgend, haben die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten keinen Entwurf, was auf ihren Angriffskrieg folgen soll. Wie sich ihre Kriegsvorwände ein ums andere Mal als Propagandakonstrukte erweisen, sind auch die vorgehaltenen Ziele ihrer Militärschläge Fiktion. Es genügt vollauf, Afghanistan, den Irak oder Libyen in ihrem heutigen Zustand zu sehen, um sich entschieden dagegen zu wenden, daß in Syrien dasselbe mit noch verheerenden Folgen für den gesamten Nahen und Mittleren Osten geschieht.


Fußnote:

[1] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2232285/

29. August 2013