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KRIEG/1613: Sturmgeschütz Deutschlandfunk - Kriegsgeschrei contra Syrien (SB)




Das journalistische Selbstverständnis, als virtuelle vierte Macht ein Korrektiv der drei Säulen staatlicher Gewaltenteilung zu verkörpern, scheint sich für den Deutschlandfunk im Falle Syriens in der Funktion eines Sturmgeschützes zu erfüllen. Denkbar wäre natürlich das Gegenteil. So könnte man die Aufgabe fundierter Medienarbeit darin verorten, das Trommelfeuer alltäglicher Propaganda, die sich aus Mutmaßungen, Behauptungen und Bezichtigungen speist, zugunsten einer fundierten Recherche, nüchternen Faktensammlung und umfassenden Analyse zu durchbrechen. Dann könnte man womöglich zu dem Schluß kommen, daß folgende Aussage des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad gegenüber der russischen Zeitung Iswestija den Kern des Konflikts trifft: "Wenn jemand davon träumt, aus Syrien eine Marionette des Westens zu machen, dann wird es das nicht geben. Wir sind ein unabhängiger Staat." [1]

Um Roß und Reiter bis zur Unkenntlichkeit auszublenden, hat man westlicherseits die "Responsibility to protect" als selektive Legalisierung des Angriffskriegs erfunden. Ginge es tatsächlich um den Schutz der Menschen vor Ausbeutung, Unterdrückung und Vernichtung, hätten die führenden Mächte kapitalistischer Verwertung und imperialistischer Expansion alle Hände voll zu tun, den eigenen Stall auszumisten. So aber erörtert man mit den fadenscheinigsten Argumenten die Optionen der militärischen Intervention, die ausschließlich eine Brechstange jener Mächte sein kann, die überlegene Waffengewalt und Deutungsmacht vorhalten.

Daß man die syrische Regierung lieber heute als morgen unter Einsatz uneingeschränkter militärischer Zwangsmittel eliminieren möchte, ist ein Konsens, dem sich die wenigsten verweigern. Zögern lassen die Phalanx der Kriegstreiber jedweder Couleur allerdings die unwägbaren Risiken eines offenen Angriffskriegs, so daß zumindest Ansätze einer Diskussion Fuß fassen, ob man damit nicht die Büchse der Pandora im gesamten Nahen und Mittleren Osten öffnet. Solche Zweifel fechten islamistische Fraktionen im Syrienkrieg nicht an, die dem Assad-Regime nach dem in seiner Urheberschaft bislang ungeklärten Giftgasangriff kurzerhand Rache geschworen haben. Anhänger der Al-Nusra-Front erklärten, sie hätten nach dem Prinzip "Auge um Auge, Zahn um Zahn" den alawitischen Geistlichen Scheich Badr Wahib Ghasal getötet, der Anfang August in der Provinz Latakia verschleppt worden war.

Was diese bösen Geister, die man als Handlanger zur Hilfe gerufen hat, nun aber nicht mehr loswird, vorexerzieren, unterscheidet sich bei näherer Betrachtung in der Vorgehensweise nicht im geringsten von der weithin erhobenen Forderung, man müsse schnellstmöglich mit Flotte und Luftwaffe in diesen Krieg eingreifen, da die Regierung in Damaskus "die rote Linie" überschritten habe. Noch sind die UN-Inspekteure nicht am Ort des angeblichen Chemiewaffenangriffs nahe der Hauptstadt eingetroffen, um zu klären, worum es sich dabei tatsächlich gehandelt hat. Und sollten sie zu der Expertise gelangen, daß Giftgas eingesetzt worden ist, bliebe die Frage der Urheberschaft vorerst ungeklärt. Ganz abgesehen davon, daß die Plausibilität ganz und gar gegen ein derart aberwitziges Vorgehen seitens der syrischen Regierung spricht, gilt es im Sinne fundamentalster rechtsstaatlicher Prinzipien zu verhindern, daß ein Urteil exekutiert wird, bevor die Beweisaufnahme begonnen hat.

Christiane Kaess, Moderatorin des Deutschlandfunks, kann solche Erwägungen offenbar nur als halbherziges Zaudern und Feigheit vor dem Feind auslegen. Im Gespräch mit Ruprecht Polenz, dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, bedrängt sie den CDU-Politiker geradezu, sich zur Beteiligung an einem Angriff der westlichen Mächte unter Einschluß der Bundesrepublik zu bekennen. [2] Diesen Gefallen tut ihr Polenz jedoch nicht, der recht besonnen alle provozierenden Fragen mit sachdienlichen Antworten kontert, die den journalistischen Impetus als vorerst nicht opportunes Kriegsgeschrei in die Schranken weist.

Für die USA, Britannien und Frankreich sei klar, daß das Assad-Regime mit Giftgas angegriffen hat. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel scheine sich dieser Einschätzung weitgehend angeschlossen zu haben. Brauche man unter diesen Umständen überhaupt noch eine Bestätigung der UN-Inspektoren vor Ort, so die Eingangsfrage der Moderatorin. Als Polenz die Notwendigkeit einer Klärung darlegt, verweist Kaess auf eine "Koalition der Willigen", die sich längst zum Angriff formiere und bereit sei, auch ohne UN-Mandat militärisch einzugreifen. Nun warnt der CDU-Politiker vor einem drohenden Flächenbrand und gibt zu bedenken, daß man vorerst einen Giftgaseinsatz seitens der Aufständischen nicht ausschließen könne, der das Eingreifen der Westmächte provozieren solle.

Darauf geht Kaess aus naheliegenden Gründen überhaupt nicht ein, sondern legt mit der Frage nach, ob Deutschland wieder einmal seine Partner im Regen stehen lassen wolle und anderen die Verantwortung zuschiebe. Polenz erklärt jedoch Deeskalation zur derzeitigen Maßgabe deutscher Außenpolitik und erinnert daran, daß Verantwortung vieles bedeuten könne und sich nicht im Kriegsruf erschöpfe. Man solle Deutschland, die USA, Britannien und Frankreich nicht "durch ein bestimmtes Medienecho" in "einen Konflikt hineintreiben". Obgleich diese Erwiderung knapp, aber präzise auf den Punkt bringt und zurückweist, was die DLF-Moderatorin einfordert, führt diese als nächstes Geschütz auf, ob denn die "Responsibility to protect" für Deutschland nicht mehr gelte. Wie Kaess weiter argumentiert, bleibe doch nur noch die Intervention, da der Konflikt gerade wegen deren Ausbleibens immer weiter eskaliert sei.

Als Polenz erklärt, daß man nur gemeinsam mit Rußland und dem Iran eine friedliche Lösung des Konflikts herbeiführen könne, fragt ihn die Moderatorin inquisitorisch, ob er es für vertretbar halte, daß Deutschland mit dieser Haltung der Position Moskaus näherstehe als jener seiner westlichen Partner. Das geht dem CDU-Politiker denn doch über die Hutschnur, der sich dagegen verwahrt und sich noch einmal entschieden dagegen ausspricht, Ergebnisse einfach vorwegzunehmen, ehe überhaupt eine Diskussion und Abstimmung im Sicherheitsrat stattgefunden hat.

Daß dieses Interview beileibe kein Ausrutscher war, zeigen ähnlich verlaufende Gespräche derselben Moderatorin mit dem außenpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Rainer Stinner [3], und dem früheren israelischen Botschafter in Berlin, Shimon Stein [4]. Stinners Kernaussage, daß eine militärische Intervention die politische Verantwortung für deren Folgen einschließe, weshalb Zurückhaltung und sorgsame Prüfung das Gebot der Stunde seien, beschießt Christiane Kaess mit dem Arsenal pseudoargumentativer Druckmittel, die auf die Option eines sofortigen Angriffs abzielen. Ob ihr Gesprächspartner denn eindeutig sagen wolle, daß man nicht unmittelbar vor einem Militärschlag stehe, wo doch die Kriegsschiffe näher heranrückten und der Republikaner John McCain erkläre, daß die US Air Force binnen weniger Tage die gesamte syrische Luftwaffe ausschalten könne, wie es die Israelis vorgemacht hätten - was also spreche dagegen?

Auf Stinners Erwiderung, daß McCain am allerwenigsten beantwortet habe, was nach diesem Militärschlag geschehen soll, weicht Kaess auf die von Frankreich angedrohte "Reaktion der Stärke" aus. Als der FDP-Politiker die Existenz dieser Koalition bezweifelt und sie vor einer hinlänglichen Klärung des nachfolgenden politischen Auswegs aus dem Konflikt auch ablehnt, will die Moderatorin wissen, wo Deutschland in einer solchen Koalition stünde. Stinner plädiert daraufhin für Augenmaß der deutschen Außenpolitik, wofür er postwendend zu hören bekommt, warum nicht endlich schärfere Reaktionen wie jene aus London oder Paris zu erwarten seien. Wolle man weiter bei den Massakern untätig zuschauen, fragt die DLF-Moderatorin, als wisse sie zweifelsfrei, wer für den mutmaßlichen Giftgasangriff verantwortlich ist.

Stinner läßt sich von solchen Anwürfen jedoch nicht aus der Spur bringen und warnt abschließend davor, ein Massaker durch andere zu beantworten. Er halte die Haltung Rußlands für den richtigen Weg, das vor allen weiteren Schritten eine Aufklärung des möglichen Chemiewaffenanschlags verlange und diesbezüglich offenbar auch Druck auf die syrische Regierung ausübe, unabhängigen Inspektoren die Untersuchung zu überlassen.

Auch Shimon Stein spricht sich gegen einen "vollmilitärischen Einsatz" des Westens in Syrien aus. Er fordert ein klares Zeichen gegen die Anwendung von Chemiewaffen, das er aber nicht als Angriffssignal verstanden wissen will. Kaess drängt ihn dennoch, auf die Optionen möglicher Militärschläge einzugehen, worauf er die relative Zurückhaltung der Netanjahu-Regierung begrüßt und ein Interesse der syrischen Führung, Israel anzugreifen, derzeit ausschließt. Als habe sie diese Aussage nicht gehört, faßt die DLF-Moderatorin mit der Frage nach, mit welchen Reaktionen des Iran und der Hisbollah im Libanon er rechne. Angesichts solcher Ignoranz bleibt dem ehemaligen Diplomaten nur zu erwidern, er könne schwerlich über Reaktionen auf einen Angriff spekulieren, den er gerade ausgeschlossen habe.

Es waren keine Friedenstauben, die Christiane Kaess zum Gespräch gebeten hat. Wie so viele andere hätten auch diese drei Interviewpartner im Prinzip nichts gegen einen Regimewechsel in Damaskus einzuwenden, wäre er denn leicht zu haben. Sie legen jedoch immerhin soviel Nachdenklichkeit und eine Tendenz zur friedlichen Lösung des Konflikts an den Tag, daß sich der Drang zum Einsatz massivster Waffengewalt mit immensen Opferzahlen und einem drohenden Regionalkrieg daran argumentativ die Zähne auszubeißen scheint - käme es denn in dieser Kontroverse tatsächlich noch auf überzeugende Begründungen an. Wie die Positionierung des Deutschlandfunks im Falle Syriens befürchten läßt, ist die Grenze längst überschritten, hinter der Journalismus noch als Aufklärung und nicht im Gegenteil als alle stichhaltigen Argumente niedertrampelndes Kriegsgeschrei verstanden wird.


Fußnoten:

[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/mutmasslicher-giftgasangriff-fabius-assad-braucht-eine-harte-antwort-12546921.html

[2] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2228768/

[3] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2227459/

[4] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2228859/

26. August 2013