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KRIEG/1612: Vorwände und Konsequenzen - NATO-Staaten mobilisieren gegen Syrien (SB)




Die aus allen Rohren feuernden PR-Agenturen der NATO-Staaten haben die Definitionsmacht auf ihrer Seite. Der verlangte Sturm auf Syrien entzündet sich an Videos der Rebellen, die einen Giftgaseinsatz der syrischen Regierung dokumentieren sollen. Damit sei nun endlich jene rote Linie überschritten, hinter der laut US-Präsident Barack Obama die offene Einmischung der NATO in diesen Krieg unumkehrbar sein soll. Daß vor allem die Türkei längst in die blutigen Kämpfe verwickelt ist, indem sie den Rebellen logistische und militärische Hilfe zukommen läßt, versteht sich von selbst und darf als legitimer Grund der syrischen Regierung, sich gegen äußere Aggressoren zur Wehr zu setzen, keine Gültigkeit haben. Die unerklärte Kriegführung der NATO-Staaten ist dort so sakrosankt wie bei der Ermordung von Menschen durch bewaffnete Drohnen in Pakistan oder dem Jemen.

Das Entsetzen, das Fürsprecher einer solchen Intervention angesichts dieser Videoaufnahmen kundtun, kommt gut an, ist aber nicht minder geheuchelt. Wie entsetzt waren sie über die Aushungerung des Irak, die Hunderttausenden von Kindern und Jugendlichen einen frühzeitigen Mangeltod bescherte, wie betroffen waren sie von der Zerstörung der zivilen Infrastruktur des Landes in mehreren Kriegen, die der Bevölkerung zusätzlich zur Vorenthaltung von Nahrungsmittelimporten das Leben schwer machte? Die Liste der menschenfeindlichen Akte, die NATO-Politiker und -Generäle zu verantworten haben, ohne daß der dagegen gerichtete Zorn in den Konzern- und Staatsmedien Stimme und Gesicht erhielt, ist so lang, wie die Erinnerung an sie kurz ist.

Den Kriegseinsatz zu fordern, obwohl keineswegs erwiesen ist, daß die Aufnahmen des angeblichen Giftgasangriffs der Regierung Assad auch das zeigen, was sie behaupten zu tun, läßt den strategischen Nutzen des Markierens eines Kriegsverbrechens zum Zwecke der Eskalation erkennen. Während ein solcher Angriff der syrischen Streitkräfte aus dem naheliegenden Grund, sich damit angesichts nämlicher roter Linie in eine haltlose politische Defensive zu bringen, wenig plausibel erscheint, zumal UN-Waffeninspekteure im Land sind und der Angriff in einem Gebiet erfolgt sein soll, in dem die militärische Opposition ohnehin unterlegen war, macht das Simulieren oder Provozieren einer solchen Grausamkeit für die Rebellen allemal Sinn. Sie wissen schließlich, welche Gründe sie für einen Kriegseintritt der NATO produzieren müssen, um den dafür eintretenden Politikern argumentative Druckmittel an die Hand zu geben.

Obwohl die Sachlage alles andere als geklärt ist, blasen NATO-Politiker wie Laurent Fabius, John McCain und Wolfgang Ischinger im Chor mit NATO-Zeitungen wie der taz und der Welt zum Sturm. Entsprechende Szenarien im Vorfeld der Kriege gegen Jugoslawien, Afghanistan, Irak und Libyen haben den Tod zahlreicher Menschen und die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen bewirkt, doch in keinem dieser Fälle etwas anderes hervorgebracht als anhaltende soziale Katastrophen. Die Zerstörung zweifellos verbesserungswürdiger, undemokratischer und autoritär regierter Staaten ist ein Standardverfahren der NATO, das stets dort endet, wo es darum geht, die versprochene, am status quo ante zu bemessende Verbesserung der Lebenslage der Menschen auch einzulösen.

Der Krieg in Syrien wäre ohne die massive Unterstützung der militärisch vorgehenden Opposition, die nur sehr bedingt noch mit der originären, gegen Assad gerichteten Demokratiebewegung identisch ist, durch die NATO gar nicht erst in ein Stadium geraten, wo es anscheinend nur noch schlimmere Optionen gibt. Er ist vielmehr ein Ergebnis der seit den 1990er Jahren angestrebten Reorganisation des Nahen und Mittleren Ostens im Sinne der von den USA und der EU angestrebten Hegemonialordnung. Diese betrifft nicht nur das Einsetzen willfähriger Regierungen und die Öffnung der jeweiligen Märkte für Investitionen in Niedriglohnarbeit und Exportgüterabsatz, sondern auch massive Ressourcenkämpfe um Energie, Wasser und Nahrung. Die Krise des kapitalistischen Weltsystems vollzieht den Griff auf die materiellen Voraussetzungen der Wertschöpfung mit einer Dringlichkeit, die immer dann offenkundig wird, wenn eine soziale Revolution in die Reichweite von Bevölkerungen gerät, deren Anspruch darauf, als politisches Subjekt in eigener Sache in Erscheinung zu treten, gerade auch von den NATO-Staaten negiert wird. Wie man einen solchen Aufbruch wieder ins Gleisbett etablierter Verfügungsgewalt bekommt, kann derzeit am Beispiel Ägypten studiert werden.

Von daher ist die Instrumentalisierung der syrischen Opposition und ihre Durchdringung mit islamistischen Kämpfern die folgerichtige Antwort auf einen Kontrollverlust, der die Hegemonie der NATO-Staaten über die Region grundsätzlich in Frage stellte. Wo immer das Interesse der Bevölkerungen an einem angemessenen materiellen Auskommen und demokratischer Selbstbestimmung Konturen annimmt, wird mit der ganzen Gewalt des Teilens und Herrschens gegengehalten. Dies erfolgt weit im Vorfeld entsprechender Aufbrüche und kann zu stark schwankenden Bündnisverhältnissen führen, wie die frühere Zusammenarbeit der USA und der EU mit Saddam Hussein, Muamar Al-Gadhafi oder Baschir al-Assad belegt. Die diesen Staatschefs später angelastete Repression fand lange Zeit ganz im Sinne derjenigen statt, die ihnen einen Strick daraus drehen sollten. Dementsprechend sind die Drangsalierung der Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten, die flächendeckende Bombardierung des Libanon durch die israelischen Streitkräfte, die Verfolgung der Kurden durch die türkische Regierung, die gegen die iranische Bevölkerung gerichtete Isolation des Landes wie das Trauma des endlosen Krieges im Irak Bestandteile eines Krisenmanagements, das sogenannte Kollateralschäden nicht nur in Kauf nimmt, sondern für die Maximierung seiner strategischen Absichten zu nutzen versteht.

Wenn also nun die immer gleichen Akteure zu den Waffen rufen und dabei aus humanitären Gründen einen alternativlos erscheinenden Handlungsbedarf reklamieren, dann sollten sie gefragt werden, wie viel sie bisher dafür getan haben, Not und Mangel im Nahen und Mittleren Osten zu beseitigen? Wer aus der Distanz eines klimatisierten Büros in materieller Sorglosigkeit so tut, als ginge es ihm um das Schicksal der Menschen in Syrien oder anderswo, lenkt vor allem davon ab, daß ihm die seine Privilegien absichernde Klassenherrschaft über alles geht. Die Nebelwerfer, die nun anhand der Behauptung aufgestellt werden, daß die Schuld der syrischen Regierung doch klar auf der Hand liege, verstellen die Sicht darauf, daß keine noch so humanitär ummantelte Intervention die soziale Konfrontation in den Metropolengesellschaften, von denen sie ausgeht, entschärfen kann. Ganz im Gegenteil, mit neuen Kriegen wird eine Militarisierung der der kapitalistischen Vergesellschaftung inhärenten Verwertungsprozesse und Lebensweisen vorangetrieben, die die herrschaftliche Antwort auf den Klassenantagonismus so gründlich vorwegnimmt, daß nicht einmal mehr die Frage nach diesem zentralen Konflikt gestellt werden kann.

23. August 2013