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KRIEG/1606: Entgrenzte Kriegführung auch im deutschen Interesse (SB)




Auf Medienberichte über mutmaßliche Drohnenangriffe in Afrika, die vom Territorium der Bundesrepublik aus gesteuert werden, reagierte der SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann im Deutschlandfunk mit der Stellungnahme, daß die SPD gezielte Tötungen ablehne, weil sie nach deutschem Recht eindeutig illegal seien. Die Bundesregierung müsse aufklären, was auf der US-Militärbasis Ramstein geschehe und er werde sie bitten, "dazu im parlamentarischen Kontrollgremium schnellstmöglich vorzutragen" [1]. Laut Berichten des ARD-Magazins "Panorama" und der Süddeutschen Zeitung stehen vor allem das US-Oberkommando für Afrika (Africom) in Stuttgart und das Air Operations Center (AOC) des US-Luftwaffenstützpunkts in Ramstein unter Verdacht, an der Planung, Vorbereitung und Durchführung derartiger irregulärer Kriegsakte beteiligt zu sein [2].

Wenn einmal daran erinnert wird, daß vom Boden der Bundesrepublik ständig Krieg ausgeht, kann das kaum ein Grund zur Aufregung sein. Die BRD war stets ein Drehkreuz der US-amerikanischen Kriegslogistik, wie nicht zuerst und nicht zuletzt im Irakkrieg 2003 deutlich wurde. Damals hatte SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder den Eindruck erweckt, gegen den Überfall der US-geführten Koalition der Willigen auf den Irak zu sein. Mit der Bewachung US-amerikanischer Kasernen durch Bundeswehrsoldaten wurden für diese Aggression notwendige Truppen bei den US-Streitkräften freigesetzt, Überflugrechte wurden gewährt, ohne die die kriegswichtige Militärbasis Ramstein nicht hätte genutzt werden können, und der BND war in Bagdad kurz vor Beginn der Bombardierung vor Ort. Es ist schlichtweg unglaubwürdig, wenn Politiker, die einer ehemaligen Regierungspartei angehören, glauben machen wollen, man werde etwas gegen in Deutschland erfolgende Kriegsaktionen des NATO-Verbündeten unternehmen.

Zudem belegt gerade die global vernetzte Kriegführung, daß es auf die Topographie ihrer Kommando- und Kontrollfunktionen immer weniger ankommt. Was völkerrechtlich allemal von Bedeutung ist, kann in der Praxis nur noch bedingt von Belang sein, wenn sich Drohneneinsätze letztlich weltweit steuern lassen. Den Eindruck zu erwecken, man habe etwas gegen dieses Mittel der Kriegführung, während alle im Bundestag vertretenen Parteien bis auf Die Linke prinzipiell mit der Anschaffung auch von Kampfdrohnen einverstanden sind, ist bloße Augenwischerei.

Auch wenn sich der virtuelle Anteil der Kriegführung im Cyberspace verflüchtigt, so bedarf die Zerstörungsmaschinerie doch der Hardware der Waffentechnologie und ihrer finanziellen, industriellen und logistischen Voraussetzungen. "Krieg beginnt hier!" ist ein Motto des antimilitaristischen Kampfes, das auf diese Grundlagen der Kriegführung abhebt. Die Bundesrepublik unterstützt mit Hilfe von Rüstungsexporten, die insbesondere im Bereich der Kleinwaffen ertragreich zu Buche schlagen und dementsprechend viele Tote in aller Welt erzeugen, die mörderische Variante des Krieges gegen die Armut; sie ist durch Panzerlieferungen an despotische Regimes an der Niederschlagung von Aufständen jener Arbeiterinnen und Arbeiter beteiligt, die klaglos zu elenden Bedingungen den Interessen deutscher Kapitalinvestoren genügen sollen, und fördert im Rahmen neoliberaler Bildungspolitik, daß an deutschen Universitäten informationstechnische Systeme erforscht werden, die den Einsatz hochentwickelter Waffensysteme optimieren. Zudem profitieren deutsche Kapitaleigner von einer auf essentiellem Mangel beruhenden Wertsteigerung, sei es durch die Kostensenkung der Arbeit in Ländern des Südens, sei es durch spekulative Geschäfte mit Nahrungsmitteln und anderen lebenswichtigen Ressourcen. Auch dadurch werden Krieg und Gewalt angeheizt.

Wenn also Politiker Souveränitätsansprüche geltend machen wollen, die sich längst bei früheren Aggressionshandlungen von NATO-Partnern als gegenstandslos erwiesen haben, um sogenannte extralegale Tötungen zu verhindern, die sie in der alltäglichen Praxis von Besatzungsmächten etwa in Afghanistan oder Palästina akzeptieren, dann zeigt sich vor allem, daß sie keine hohe Meinung von der Intelligenz ihrer Wählerinnen und Wähler haben. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich schon vor Jahren im Rahmen einer Politik des Antiterrorismus, die als künftige Aufstandsbekämpfung unschwer zu dechiffrieren ist, für die Aufhebung der Trennung von innen- und außenpolitischen Sicherheitsfragen ausgesprochen. Wer behauptet, Deutschland in Afghanistan zu verteidigen, um den grundgesetzlichen Verteidigungsauftrag vollends über jede territoriale Bindung hinauszutreiben, der kann kaum das von ihm selbst erteilte Mandat zur Deregulierung und Totalisierung des Krieges gegen einen NATO-Verbündeten wie die USA wenden.

Es liegt im Interesse exekutiver Ermächtigung, überall und jederzeit, ohne Rechtsvorbehalt für oder Kriegserklärung an die Betroffenen mit staatlichen Gewaltmitteln militärisch eingreifen zu können. Die Entgrenzung des Krieges, etwa konzipiert im Ziel der Full Spectrum Dominance und der Doktrin des Prompt Global Strike, ist für die US-Streitkräfte längst operative Realität. Auch die Bundesrepublik meldet den Anspruch an, überall mit von der Partie zu sein, wo über territorial, bevölkerungspolitisch und ressourcentechnisch definierte Formen globaler Verfügungsgewalt befunden wird. Sie wird alles andere tun als diese Möglichkeiten bei einem NATO-Staat einzuschränken, der gleiches mit ihr tun könnte.

Fußnoten:

[1] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2126963/

[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/luftangriffe-in-afrika-us-streitkraefte-steuern-drohnen-von-deutschland-aus-1.1684414

31. Mai 2013