Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1575: Von der Ausnahme zur Regel - Ermächtigung zum Einsatz der Bundeswehr im Innern (SB)




Mit seiner Entscheidung zum Einsatz der Bundeswehr im Innern kommt das Bundesverfassungsgericht der seit langem von Sicherheitspolitikern insbesondere der Unionsparteien erhobenen Forderung nach der Militarisierung der Inneren Sicherheit nach. Bereits der ungewöhnliche Rahmen, in dem dieses Urteil zustandekam, dokumentiert den tiefgreifenden verfassungsrechtlichen Wandel, den dieser Schritt bedeutet. Es bedurfte beider Senate des Bundesverfassungsgerichts mit insgesamt 16 Richtern, um über zwei inhaltlich kontroverse Klagen gegen das Luftsicherheitsgesetz zu befinden. Im Ergebnis führte dies zu einem verfassungsrechtlichen Erdbeben, wie deutlich wird, wenn man die jüngere Geschichte des Streits um militärische Einsätze der Streitkräfte im eigenen Land Revue passieren läßt.

Die Bundesrepublik entstand vor 63 Jahren als Staat ohne Streitkräfte, was ganz im Sinne der großen Mehrheit der Bevölkerung nach der Katastrophe des vom NS-Regime begonnenen Zweiten Weltkrieg war. Der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer plante jedoch schon zu diesem Zeitpunkt in Zusammenarbeit mit Wehrmachtsgenerälen die Wiederbewaffnung, die 1955 gegen den Protest von Millionen Bundesbürgern erfolgte. Dies geschah vor dem Hintergrund der Eingliederung der Bundesrepublik in die europäische Front gegen den Machtbereich der Sowjetunion und ging mit dementsprechender Repression gegen Sozialisten und Kommunisten einher, wie das KPD-Verbot von 1956 dokumentiert.

Die Angst der Bevölkerung vor der neuerlichen Militarisierung des Landes resultierte nicht nur aus der damit geschürten Kriegsgefahr, sondern auch aus der Aufhebung des Parlamentarismus schon vor der Machtergreifung der Nazis. Die Etablierung einer auf das Notverordnungsrecht der Weimarer Reichsverfassung gestützten Präsidialdiktatur 1930 bahnte ihnen den Weg zur Macht, die sie mit Hilfe des Ermächtigungsgesetzes und der Aufstellung eines Repressionsapparates ohne jegliche Form der Gewaltenteilung zu zementieren wußten. Die Frage, wer mehr Waffengewalt auf die Straße zu bringen vermochte, wurde nicht zuletzt darüber entschieden, wer an den Schalthebeln der Macht saß und über welche exekutiven Vollmachten verfügte.

Diese Lektion aus der Geschichte der NS-Diktatur war der maßgebliche Grund für den großen Widerstand, mit dem sich die außerparlamentarische Opposition 1968 gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetze 1968 stellte. Die damit möglich gewordene Verhängung des Staatsnotstands sieht den Einsatz der Bundeswehr im Innern auch über die Amtshilfe "bei einer Naturkatastrophe oder in einem besonders schweren Unglücksfall" (Art. 35, Abs. 2 GG) hinaus "im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle" (Art, 87a, Abs. 3 GG) bis hin zur "Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer" (Art, 87a, Abs. 4 GG) vor. Die Aufhebung bürgerlicher Grundrechte durch den Ausnahmezustand war, wie unter anderem die antikommunistische Stoßrichtung der westlichen Alliierten, die die Verabschiedung der Notstandsgesetz zur Bedingung der Erlangung vollständiger Souveränität der Bundesrepublik gemacht hatten, ersichtlich macht, insbesondere als Maßnahme gegen eine gesellschaftliche Entwicklung sozialistischer Art gerichtet.

Das Ausbleiben der "Friedensdividende" nach dem Niedergang der Sowjetunion und dem Ende der DDR sorgte für die Aufrechterhaltung des politischen Drucks, mit dem die Militarisierung der Außen- wie Innenpolitik der Bundesrepublik vorangetrieben wurde. Während sich die Restauration deutscher Großmachtambitionen in der Aufkündigung des Verbots von Auslandseinsätzen der Bundeswehr niederschlug, gaben die Anschläge des 11. September 2001 den Verfechtern starker Sicherheitsstaatlichkeit genügend Argumente an die Hand, um den grundrechtlichen Schutz des Bürgers vor dem Gewaltmonopol des Staates weiter zu schwächen. Dabei versperrt der monolithische Sachzwang der Terrorismusabwehr den Blick auf den strategischen Zusammenhang zwischen äußerer Aggression und innerer Repression, wiewohl die asymmetrische Kriegführung der NATO-Staaten in Ländern des Nahen und Mittleren Ostens gerade mit dem Argument der Bedrohung durch terroristische Anschläge legitimiert wurde.

Dieses wurde allerdings mit der kulturalistischen Unterstellung eines aus Religion und Herkunft resultierenden Hasses "islamistischer Terroristen" auf Freiheit und Demokratie im Westen vom Kopf auf die Füße gestellt. Der bei den jährlichen Debatten im Bundestag um die Verlängerung des Afghanistan-Mandats der Bundeswehr behaupteten Kausalität, die Abwehr terroristischer Bedrohungen habe ursächlich mit der eigenen Kriegführung nichts zu tun, widersprachen lediglich Politiker der PDS respektive der Linksfraktion sowie einige Abgeordnete der Grünen. Die Erkenntnis, daß Maßnahmen gegen mögliche Vergeltungsakte im Kalkül jeglicher expansiver Kriegführung liegen, mag unter Militärstrategen selbstverständlich sein, delegitimierte jedoch eine Kriegspolitik, die sich ethisch aufgeladener Motive vom "Stabilitätsexport" über die "humanitäre Intervention" bis zur "Schutzverantwortung" bedient.

Dabei wurde der weiteren Militarisierung deutscher Regierungspolitik durch die Transformation verfassungsrechtlich begründeter Zuständigkeiten auf die höhere Ebene einer administrativen Verfügungsgewalt Rechnung getragen, als deren Stichwortgeber sich insbesondere die den Terrorkrieg unter Mißachtung zahlreicher bürger- wie völkerrechtlicher Einschränkungen staatlicher Gewaltanwendung führende US-Regierung hervortat. Die nach 9/11 erfolgten Ausweitungen exekutiver Handlungsvollmachten auf nationaler wie europäischer Ebene orientierten sich am Vorbild der Rechtsentwicklung in den USA und erfolgten teilweise in enger Kooperation mit US-amerikanischen Regierungsbehörden. Dies ist insofern bedeutsam, als der imperiale Entwurf US-amerikanischer Globalhegemonie den Übergriff eigener exekutive Handlungsgewalt auf das Territorium souveräner Nationalstaaten unter anderem mit dem Argument einer Weltinnenpolitik begründete, für die die Trennung in innere und äußere Sicherheit gegenstandslos geworden sei.

Die auch von Regierungspolitikerin wie Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem ehemaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble vertretene Ansicht, man habe es heute mit einem nicht mehr durch Landesgrenzen in äußere und innere Sicherheit segmentierten Handlungsbedarf zu tun, sondern sehe sich durch globale, in ihren Prozeßverläufen ineinander übergehende Bedrohungen aller Art herausgefordert, führte zu einem erweiterten Sicherheitsbegriff, der eine engere Zusammenarbeit aller Gewaltorgane auf verschiedensten Handlungsfeldern verlangt. Diese Entuferung des Sicherheitsdispositivs setzt eine dementsprechende Ermächtigung der Exekutive auf nationaler wie supranationaler Ebene voraus, wobei sich letzteres in der Übertragung nationaler Handlungskompetenzen auf neue Sicherheitsstrukturen auf EU-Ebene ausdrückt.

Auch das 2005 in Kraft getretene und 2006 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärte Luftsicherheitsgesetz ist ein Ergebnis dieser Entwicklung. Es sollte den Staat dazu ermächtigen, Anschläge wie die des 11. September 2001 durch den Abschuß dazu eingesetzter Passagiermaschinen zu verhindern. Der dafür erforderliche militärische Einsatz der Bundeswehr innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik wurde insbesondere aufgrund der damit möglich werdenden vorsätzlichen Tötung unschuldiger Passagiere verworfen, was das Karlsruher Gericht in seiner jetzigen Entscheidung aufrechterhielt. Die damals noch bestrittene Zuständigkeit der Legislative zum Erlaß eines Gesetzes, das den militärischen Einsatz der Streitkräfte im Innern erlaubt, ist mit der jetzigen Entscheidung des Karlsruher Gerichts jedoch im Kern gefallen.

Zwar haben die Richter diverse Einschränkungen und Bedingungen an den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im Innern geknüpft. Entscheidend ist jedoch, daß der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe für die Polizeien der Länder nicht mehr prinzipiell auf polizeiähnliche Waffen beschränkt bleibt, sondern daß das ganze Arsenal des Militärs, also Panzer, Raketen, Kanonen, Kampfhubschrauber oder Drohnen, zukünftig auch innerhalb der Bundesrepublik zum Einsatz kommen kann. Was in der Sprachregelung des heutigen Urteils auf eng umgrenzte Ausnahmefälle unter völligem Ausschluß politischer Demonstrationen beschränkt bleiben soll, ist dennoch ein Paradigmenwechsel elementarer Art, wird damit doch das Feld des zentralen gesellschaftlichen Konflikts staatlicherseits für Exekutivorgane eröffnet, die ursprünglich nur zur Landesverteidigung gegen einen äußeren Feind vorgesehen waren.

Da sich diese Gesetzesauslegung insbesondere auf die Möglichkeit terroristischer Bedrohungen bezieht, kommt der Interpretationsbreite bestehender Terrorismusdefinitionen besondere Bedeutung zu. So ist etwa dem Paragraphen 129a "Bildung terroristischer Vereinigungen" unter Absatz 5 zu entnehmen, daß seine sanktionierende Wirkung gegen Vereinigungen gerichtet ist, mit deren Straftaten versucht wird,

"die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen (...)" [1]

Es ist also nicht auszuschließen, daß der militärische Einsatz der Bundeswehr im Innern der Unterdrückung sozialer und politischer Oppositionsbewegungen gewidmet sein könnte. Zudem lassen sich zahlreiche Beispiele dafür anführen, daß die Institutionalisierung einer solchen Kompetenzerweiterung eine administrative und bürokratische Eigendynamik entfaltet, die aus seltenen Ausnahmen die Regel macht. Einer solchen Verschärfung staatlicher Repression in einer Zeit stattzugeben, in der die krisenhafte Entwicklung soziale Konflikte schürt und die neoliberale Austeritätspolitik in den besonders betroffenen Gesellschaften Südeuropas massenhafte Verelendung und eine dementsprechende Bereitschaft zu sozialem Widerstand bewirkt, spricht dafür, daß hier einer Verteidigung der herrschenden Ordnung der Zuschlag gegeben wurde, die notfalls auch mit Gewalt gegen die eigene Bevölkerung durchgesetzt werden soll.

Auch dabei lohnt der Blick in die USA, wurden dort doch mit der Verabschiedung des National Defense Authorization Act (NDAA) zu Jahresbeginn der Bundesregierung in Washington erhebliche Vollmachten an die Hand gegeben. Die in der jährlichen Gesetzgebung zur finanziellen Bemittelung der nationalen Sicherheit enthaltene Homeland Battlefield Bill ermöglicht es der Exekutive, angebliche Unterstützter des Terrorismus unter Aussetzung ihrer Bürgerrechte unbefristet in militärische Administrativhaft zu nehmen [2]. Über den angeblichen Kauf von über einer Milliarde Schuß Munition durch das ohnehin bereits militärisch gerüstete United States Department of Homeland Security wird derzeit in den USA heftig diskutiert.

Erste Maßnahmen zur militärischen Aufstandbekämpfung sind jedoch auch in der Bundesrepublik angelaufen, wie die Aufstellung Regionaler Sicherungs- und Unterstützungskräfte (RSUKr) an mehreren Standorten der Bundeswehr [3] belegt. Was auch hierzulande unter dem Titel des "Heimatschutzes" in Stellung gebracht wird, erfährt durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Einsatz der Bundeswehr im Innern zusätzliche Brisanz. Insgesamt scheinen sich die Befürchtungen zu bewahrheiten, daß der Ausnahmezustand zum Regelfalle eines Krisenmanagements wird, dessen Sachwalter sich nicht mehr darauf beschränken wollen, erst unter offiziell erklärtem Kriegsrecht eine in den materiellen Grundlagen ihrer Existenz herausgeforderte Bevölkerung mit Gewalt dazu zu nötigen, selbst auf legitimen demokratischen Protest zu verzichten. Dieser Tiefschlag unter die Gürtellinie des verfassungsrechtlichen Rechtsbestandes ist nicht nur gegen Linke und Sozialrevolutionäre gerichtet. Er berührt das legitime Interesse jedes Bürgers an der Wahrung seiner demokratischen Rechte unmittelbar.

Fußnoten:

[1] http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__129a.html

[2] http://www.truthdig.com/report/item/criminalizing_dissent_20120813/

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1574.html

17. August 2012