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KRIEG/1558: Propaganda war gestern - Drehbuch für Irankrieg schon geschrieben? (SB)



Die Doktrin permanenter Kriegsführung der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten, welche die Sicherheit und Versorgung der westlichen Mächte in den Rang der allein maßgeblichen Ratio geostrategischer Suprematie erhoben hat, treibt die Bezichtigung das Irans auf ihre irrationale Spitze. Dem Regime in Teheran müsse Einhalt geboten werden, wozu jedes Mittel recht und legitim sei, lautet die längst nicht mehr hinterfragte Vorwurfslage, die sich eines fiktiven Bedrohungsszenarios bedient. Angefangen von der Unterdrückung der eigenen Bevölkerung über expansionistische Gelüste im regionalen Umfeld bis hin zu Anschlägen in europäischen Hauptstädten, Raketenangriffen auf weit entfernte Staaten und insbesondere die Vernichtung Israels reicht die Palette in Stellung gebrachter Schreckensbilder, die den Iran zur größten Gefahr für den sogenannten Weltfrieden hochstilisiert. Wer die skeptische Frage zu stellen wagt, ob die iranische Führung all das tatsächlich will und gegebenenfalls auch umsetzen könnte, gerät ins Kreuzfeuer heftigster Anwürfe, die kritische Einwände auf Grundlage nüchterner Überprüfung als Schwäche verhöhnen, zu Defätismus abqualifizieren und für Kollaboration mit dem Feind erachten. Im günstigsten Fall erntet man achselzuckendes Unverständnis ob einer vermeintlichen Ignoranz, die das jedermann Offenkundige leugne.

Die der Sphäre identifizierbarer Propaganda entrückte Denkkontrolle produziert den ideologischen Verschluß einer neuen Weltordnung, die nach dem erklärten Willen ihrer theoriebildenden Konstrukteure und brachialen Kriegstreiber die letztgültige sein soll. Aus Perspektive omnipotenzgesättigter Herrschaftssicherung mutet die über alle Grenzen der Umkehrbarkeit hinausgetriebene Konsolidierung eigener Macht wie die unabweisliche Ultima ratio eines menschheitsgeschichtlich vollendeten Entwurfs zu eigenen Gunsten festgeschriebener Verhältnisse an. Da diese Tortur für jegliche Restbestände kritischen Geistes und emanzipatorischen Aufbegehrens unverdaulich ist und darüber hinaus die Mehrheitsmeinung ins soziale Abseits getriebener Bevölkerungen an der Heimatfront durchaus in massenhaften Unmut umschlagen kann, muß das Eisen unausgesetzter Beschuldigung heiß geschmiedet werden.

Gerade erst aus Washington zurückgekehrt, wo er einen zweiten Holocaust - diesmal verübt durch den Iran - als symbolträchtiges Menetekel an die Wand gemalt hatte, legte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu unverzüglich nach. Den Dämpfer seitens US-Präsident Barack Obamas, den Angriffskrieg zu verschieben und den Regimewechsel in Teheran vorerst mit massiven Wirtschaftssanktionen weiterzubetreiben, konterte der israelische Regierungschef nicht zuletzt für die Öffentlichkeit seines Landes mit demonstrativer Entschlossenheit, die militärische Option offenzuhalten. Ein Schlag gegen die iranischen Atomanlagen sei "keine Frage von Tagen oder Wochen, aber auch nicht von Jahren", ließ Netanjahu die bellizistische Variante explizit auf dem Tisch. Da er mit seinem unsäglichen Holocaust-Vergleich die Latte fabrizierter Verdammnis höchstmöglich gehängt hatte, mußte er abermals schwerstes Geschütz auffahren, um seinen wertvollsten Trumpf nicht eigenhändig zu entwerten. Wenn im Atomstreit die falsche Entscheidung getroffen werde, "wem sollte ich das erklären? Den Historikern? Den Generationen vor uns? Den Generationen, die (dann) nicht mehr nach uns kämen?", fragte Netanjahu im israelischen Fernsehen. [1]

Ihn lektionierte in krudester Cowboymanier US-Verteidigungsminister Leon Panetta in einem Interview mit dem National Journal: "Wenn sie (die Israelis) sich entscheiden sollten, es zu tun (anzugreifen), dann hätte das ohne Frage Auswirkungen (auf das iranische Atomprogramm), aber ich denke, wenn die USA es tun würden, dann hätten wir eine höllisch größere Wirkung", prahlte Panetta - wohl wissend, daß Israel nur mit Unterstützung seines Landes losschlagen kann. Dies bestätigte der ehemalige Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, Meir Dagan, der in einem Interview mit dem Sender CBS vor einem übereilten Angriff auf die iranischen Atomanlagen warnte. Solange nicht alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft seien, sei dies "nicht der richtige Weg". Er setze Vertrauen in Obama, der versichert habe, er lasse nicht zu, daß sich der Iran zu einer Atommacht entwickelt.

Wie es scheint, hat der US-Präsident bei seinem Vieraugengespräch mit Netanjahu hinter verschlossenen Türen Zeit für sich um den Preis aufgerüsteter israelischer Militärmacht erkauft. Jedenfalls berichteten Medien in Israel, Obama habe Premier Netanjahu bunkerbrechende Waffen und Tankflugzeuge zugesagt, sofern dieser seinerseits verspreche, mit einem Angriff auf den Iran bis mindestens Anfang 2013 zu warten. Wenngleich eine solche Abmachung natürlich in Jerusalem dementiert wurde, bestätigten israelische Regierungskreise immerhin eine entsprechende Anfrage in Washington [2]. Sollte diese Abmachung tatsächlich getroffen worden sein, hätte Obama für das Linsengericht seiner Aussichten, im November für eine zweite Amtszeit gewählt zu werden, das einzig wirksame Mittel preisgegeben, ein unabhängiges Vorpreschen Israels wirksam im Zaum zu halten.

Daß beiderseits schon seit Jahren Angriffspläne gegen den Iran gewälzt werden und geheime Kommandoeinheiten die Lage vor Ort sondieren, steht außer Frage. Mit derselben Sicherheit kann man davon ausgehen, daß die USA, Israel und erklärtermaßen auch die Briten diesen Krieg gemeinsam führen würden. Offen ist jedoch, wer den Anfang macht und die Verbündeten mit hineinzieht, wobei zweifellos auch dieses Szenario in diversen Varianten im Zuge der taktischen Planung durchgespielt wird. Nicht auszuschließen, daß die israelische Führung bei Netanjahus Besuch in Washington ermächtigt worden ist, mit Hilfe der zugesagten militärischen Mittel das Startsignal zu geben. Wer wollte Israel verdenken, die eigene Auslöschung durch massive Präventivschläge zu verhindern? Wer würde dann den Amerikanern nicht Hochachtung zollen, wenn sie ihrem engen Verbündeten bei diesem Waffengang zu Hilfe kommen? Mag auch ein solches Drehbuch allzu platt und durchsichtig anmuten, so ist das Ausmaß systematisch geschundener Denkfähigkeit im Zuge der Kriege gegen Afghanistan, den Irak und Libyen, die unter Verwendung aberwitzigster Lügengebäude vom Zaun gebrochen wurden, keinesfalls zu unterschätzen.

Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/politik/ausland/article13911928/US-Angriff-auf-Iran-haette-hoellisch-groessere-Wirkung.html

[2] http://www.fr-online.de/meinung/kommentar-obamas-kalkuel-mit-bomben-fuer-israel,1472602,11802744.html

9. März 2012