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KRIEG/1545: Mehr Krieg für weniger Geld - Neue US-Doktrin mit Sparzwängen gekreuzt (SB)



Im Rahmen der beiden langfristigen geostrategischen Ziele der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten - der Einkreisung und letztendlichen Niederwerfung Rußlands und Chinas - findet gegenwärtig eine Umschichtung der Prioritäten statt. Nachdem sich die Stoßrichtung der Angriffskriege bislang auf den Nahen und Mittleren Osten und Zentralasien konzentriert hatte, rückt künftig der asiatisch-pazifische Raum ins Zentrum hegemonialer Aggressionspläne. Die Hoffnung, Washington werde sich über kurz oder lang militärisch und ökonomisch derart überstrecken, daß die Tage der USA als imperiale Supermacht gezählt seien, ist nicht unbegründet, gibt aber keinerlei Anlaß, die Morgendämmerung einer friedlicheren Welt anbrechen zu sehen. Die auf überlegener Waffengewalt gegründete Stärke der USA ist der alleinige Garant auf die Führungsposition im krisengeschüttelten Ausbeutungssystem kapitalistischer Verwertung, weshalb sie auch und gerade an der Grenze drohenden Zusammenbruchs mit Zähnen und Klauen verteidigt wird. Um das weltweit höchste Niveau des Verbrauchs aufrechtzuerhalten, bedarf es unablässiger Umlastung von Verlust und Zerstörung auf die Peripherie, die zu dominieren, auszubeuten und als Konkurrenz auszuschalten aus Sicht der westlichen Eliten den Charakter absoluter Notwendigkeit annimmt, wollen sie die Sicherung ihrer künftigen Herrschaft nicht preisgeben.

Diese Prognose ist mehr als nur ein Wermutstropfen im Becher der auf den ersten Blick erfreulich anmutenden Nachricht, daß die US-Regierung nach zwei Jahren schwerer Wirtschaftskrise und außerordentlich kostspieligen Kriegen im Irak und in Afghanistan sparen und dabei auch Abstriche beim Militärhaushalt machen muß. Abgesehen davon, daß die Armutsfolgen für weite Teile der Bevölkerung dramatische Ausmaße annehmen, läßt ein Wehretat, der in den kommenden zehn Jahren um mindestens eine halbe Billion Dollar sinken soll, nicht weniger Kriege erwarten, sondern im Gegenteil gesteigerte Kriegsgefahr befürchten, je mehr die zunehmend fragile Vorherrschaft der Vereinigten Staaten auf Messers Schneide steht.

Verteidigungsminister Leon Panetta stellt heute einen Rahmenplan zur Disposition, wie die vorgesehenen Sparmaßnahmen umgesetzt werden sollen, und legt dabei eine modifizierte Militärdoktrin vor. Künftig werden die USA demnach nicht mehr in der Lage sein, zwei Kriege gleichzeitig zu führen und zu gewinnen. Man werde angesichts reduzierter Mittel fortan nur noch einen größeren Konflikt siegreich zu Ende bringen und gleichzeitig die Vorhaben eines zweiten Gegners in einer anderen Weltregion empfindlich stören können. Zusätzlich könne man eine Reihe weiterer kleiner Operationen wie etwa die Durchsetzung einer Flugverbotszone bewältigen. Obgleich wesentliche Einzelheiten der neuen Doktrin vorerst geheim sind, geht man davon aus, daß die USA weiterhin uneingeschränkt im gesamten Pazifik operieren wollen und danach trachten, durch eine verbesserte Verknüpfung von Luftwaffe, Marine und Landstreitkräften selbst angesichts eines zahlenmäßig überlegenen Gegners die Oberhand zu behalten.

Präsident Obama hatte bei einem Besuch in Australien im November betont, daß Kürzungen im Militäretat keinesfalls auf Kosten der pazifischen Region erfolgen werden. Ausgenommen von den Sparmaßnahmen sind grundsätzlich die digitale Kriegsführung, Spezialeinsatzkräfte, Flugzeugträger sowie Aufklärung und Überwachung. Ganz auf den potentiellen Kriegsgegner China zugeschnitten geht das Pentagon mit Sicherheit nicht nur von asymmetrischen Konflikten aus, die auszutragen das vorhandene Waffenarsenal allemal ausreichte. Die technologische Vorherrschaft zu wahren gilt angesichts der zügigen Modernisierung der chinesischen Streitkräfte als unabdingbar. Insbesondere fürchten die US-Strategen, durch sogenannte Anti-Access/Area Denial-Maßnahmen (A2/AD) etwa mittels einer Stationierung hochwertiger Anti-Schiffsraketen an den Küsten am Eindringen in bestimmte Seegebiete wie beispielsweise die Straße von Taiwan gehindert zu werden, da die riesigen Flugzeugträger verwundbar würden. [1]

Seit 2006 hat China Dutzende Zerstörer, Fregatten und U-Boote in Dienst gestellt und einen ehemals sowjetischen Flugzeugträger modernisiert. Vor einem Jahr stellte Peking einen eigenen Stealth-Kampfjet vor und hat zudem mit einer Rakete Aufsehen erregt, die in der Lage sein soll, große Schiffe zu versenken, ohne daß Gegenwehr möglich wäre. Da die Chinesen inzwischen ein Satellitensystem im All stationiert haben, das Flugkörper ebenso präzise ins Ziel lenken soll wie das US-amerikanische GPS, ist die vorgehaltene Furcht vor einer technologischen Aufholjagd trotz nach wie vor bestehender Überlegenheit der USA nicht völlig aus der Luft gegriffen.

Dem steht die Klage von US-Militärs gegenüber, man fliege schon jetzt die älteste Luftwaffe, die man jemals gehabt habe. Im Juli 2011 wurde im US-Kongreß eine Statistik vorgestellt, der zufolge 22 Prozent der amerikanischen Kriegsschiffe und von den Flugzeugen der Marine sogar mehr als die Hälfte nicht voll einsatzfähig sein sollen. Überdies will die Air Force einen neuen Langstreckenbomber entwickeln und produzieren lassen, der als zentraler Bestandteil der neuen "AirSea Battle"-Doktrin vorgesehen ist.

Sollte der US-Kongreß zusätzlich zu den aktuell im Raum stehenden 450 Milliarden Dollar für die nächsten zehn Jahre weitere Einsparungen in Höhe von 500 Milliarden Dollar beschließen, müßte das Pentagon mit einem 17 Prozent geringeren Etat auskommen. Um das zu verhindern, warnen Panetta und andere Politiker vor einer katastrophalen Verschlechterung der nationalen Sicherheit. Dem halten manche Experten entgegen, daß die amerikanischen Streitkräfte nach dem Ende des Korea-, Vietnam- und Kalten Kriegs weit größere Budgetkürzungen verkraften mußten, ohne daß dies die militärische Dominanz der USA gebrochen habe.

Im Gefolge des 11. September 2001 explodierten die US-Militärausgaben von rund 400 Milliarden auf derzeit mehr als 700 Milliarden Dollar pro Jahr. Auch angesichts der absehbaren Kürzungen läge der Wehretat 2013 mit rund 470 Milliarden Dollar etwa auf dem Niveau von 2007. Die USA verfügen über rund ein Viertel aller Militärflugzeuge weltweit, gefolgt von Rußland, China, Japan und Indien, die jedoch zusammengenommen lediglich auf drei Viertel des US-Bestandes kommen. Auch liegen die US-Streitkräfte bei Bestellungen von Kampfflugzeugen so weit in Front, daß sich an dem Vorsprung auch auf lange Sicht nichts ändern wird.

Was gegenwärtig zur Debatte steht, ist daher nicht der drohende Verlust militärischer Übermacht, sondern das Ausmaß des Aufwands, den sich die USA zur Aufrechterhaltung ihrer Dominanz nicht zuletzt angesichts der verheerenden sozialen Verwerfungen im eigenen Land leisten können und wollen. Dabei stellt die ins Feld geführte Bedrohung durch angebliche Expansionsgelüste Chinas die Verhältnisse auf den Kopf, sind es doch US-amerikanische Flottenverbände, die unmittelbar vor der chinesischen Küste operieren und in regionalen Gewässern gemeinsame Manöver mit der südkoreanischen oder japanischen Marine abhalten, um die Einkreisung zu komplettieren. Die neue asiatisch-pazifische Militärdoktrin schreibt die ohnehin herrschenden Verhältnisse nicht nur fort, sondern spitzt sie zu, wobei die aktuell diskutierten Sparmaßnahmen die Gefahr militärischer Auseinandersetzungen keineswegs vermindern. Mehr Krieg für weniger Geld, lautet die Faustformel der Obama-Administration, auf die sich die Doktrin hinsichtlich ihrer geplanten Umsetzung zusammenfassen läßt.

Fußnote:

[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,807366-2,00.html

5. Januar 2012