Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1540: Washington droht - Iran in akuter Kriegsgefahr (SB)



Die Islamische Republik Iran hat in ihrer Geschichte nie ein anderes Land angegriffen. Mit Krieg überzogen wurde sie 1980 vom Irak, dessen damaliger Präsident Saddam Hussein sich massiven Rückhalts westlicher Mächte erfreute. In den acht folgenden Kriegsjahren versorgten die USA die Führung in Bagdad mit Aufklärungsbildern, die Franzosen lieferten Exocet-Raketen und deutsche Firmen stellten die Mittel zur Herstellung von Chemiewaffen bereit, die bekanntlich auch eingesetzt wurden. Die beiden einflußreichsten Staaten der Golfregion gegeneinander zu hetzen und damit zu schwächen, war ein zentrales Mittel geostrategischer Zugriffsentwicklung der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten, die für die Millionen Opfer und Greuel dieses Waffengangs nicht minder verantwortlich wie Saddam Hussein oder irgend jemand sonst sind. Kein Hahn krähte nach den mit Giftgas ermordeten Kurden, als es auch aus deutscher Sicht opportun war, die irakische Regierung zu unterstützen. Als es dann später darum ging, Saddam Hussein als Führer eines "Schurkenstaats" zu diskreditieren, prangerte man plötzlich die verübten Kriegsverbrechen an, freilich ohne die westliche Beteiligung an die große Glocke zu hängen. Wer allen Ernstes glauben möchte, es gehe Washington und der NATO um Demokratie, Menschenrechte, Frieden und Wohlstand, verschließt die Augen vor dem Offensichtlichen.

Zweifellos hat die Führung in Teheran nicht von der Hand zu weisende Gründe zu befürchten, daß der Iran über kurz oder lang von den westlichen Mächten und Israel angegriffen wird. Die Logik der Kriege gegen Afghanistan, den Irak und Libyen spricht eine ebenso deutliche Sprache wie die massive Aufrüstung Saudi-Arabiens und anderer Golfstaaten mit US-amerikanischen und deutschen Waffen. Sich dieser Bedrohung allein gegenüberzusehen ist keine Paranoia oder Propaganda Teherans, sondern eine denkbar nüchterne und realistische Einschätzung der Lage. Wohl wissend, daß auch relativ gut gerüstete konventionelle Streitkräfte wie jene des Iraks der technologischen Überlegenheit der USA und anderer westlichen Mächte nichts entgegenzusetzen hatten, bliebe der Bau einer Atombombe, sollte ihn die iranische Führung tatsächlich anstreben, der einzige Schutz vor der Vernichtung des iranischen Staatswesens in seiner heute existierenden Form.

Wer wie Saddam Hussein oder Muammar al-Gaddafi über keine Atomwaffen verfügt, dessen Tage sind gezählt. Das kann auch der Nordkoreaner Kim Jong Il bestätigen, dessen Land ohne den mutmaßlichen Besitz der Atombombe wahrscheinlich längst überrollt und der kapitalistischen Verwertungsordnung zwangsangeschlossen worden wäre. Nicht das Streben nach atomarer Bewaffnung solcher "Schurkenstaaten" bringt den Kriegsdiskurs westlicherseits in Stellung gebrachter Strafmaßnahmen in die Welt. Vielmehr ist es die Angreifbarkeit und letztendliche Wehrlosigkeit all jener Staaten, die Washington und Brüssel, Bonn, Paris und London in die Quere kommen könnten, die Massenvernichtungswaffen in den Rang der einzig verbliebenen Hoffnung auf erfolgreiche Verteidigung erheben.

Eine regionale Ausweitung des Einflusses, wie sie Teheran in den vergangenen zehn Jahren recht erfolgreich im Irak, in Afghanistan, im Libanon und im Gaza-Streifen gelungen ist, schafft weder mächtige Verbündete, noch kann sie ihrem Wesen nach als expansionistisch eingestuft werden. Soweit der Iran bestrebt ist, sich ein halbwegs sicheres Umfeld zu schaffen, ist das in erster Linie dem eigenen Schutz geschuldet. Die Zeiten, als Chomeini seine "Revolution" exportieren wollte, gehören seit Ende des Golfkriegs 1988 und dem Tod Chomeinis im Jahr danach der Vergangenheit an. [1]

Alle Versuche, die Führung in Teheran als irrational, fanatisch und kriegslüstern zu diskreditieren, dienen dem einzigen Zweck, den von langer Hand geplanten Angriffskrieg gegen den Iran zu legitimieren und in Stellung zu bringen. Das Sanktionsregime ist inzwischen so eng geschnürt, daß es nahezu einer Kriegserklärung gleichkommt. Diese Zwangsmittel bleiben nach Ansicht von US-Präsident Barack Obama nicht folgenlos: "Der Iran ist heute isoliert, die Welt ist geeint und wendet die härtesten Strafmaßnahmen an, die der Iran je erlebt hat. Sie zeigen im Inneren des Irans Wirkung." Zugleich bekräftigte Obama die Position der USA, daß im Atomstreit mit Teheran "keine Option vom Tisch" sei. Sollte der Iran auf den Bau von Atomwaffen aus sein, "dann habe ich sehr deutlich gemacht, dass dies den Sicherheitsinteressen der USA zuwiderläuft", droht der US-Präsident mit Intervention. [2]

Unterdessen wurde in Teheran die offenbar abgefangene US-amerikanische Tarnkappendrohne im Fernsehen präsentiert und damit weithin sichtbar gezeigt, daß das Land seit geraumer Zeit auf diesem Wege ausspioniert wird. Zugleich hat der Iran nun auch offiziell Protest gegen Spionageflüge eingelegt. Die Schweizer Botschafterin, die auch die Interessen der USA vertritt, wurde ins Außenministerium bestellt, wo man ihr den offiziellen Protest der iranischen Regierung wegen des Überflugs der Drohne übermittelte, den Teheran zu Recht als "verdeckte US-Provokation, die gegen internationale Normen verstößt", verurteilte. Zudem hat der Iran die Vereinten Nationen aufgefordert, Washington wegen des Einsatzes von Spionagedrohnen im iranischen Luftraum zu verurteilen. Einen entsprechenden Brief an Generalsekretär Ban Ki-moon leitete Teheran auch dem Sicherheitsrat und der Vollversammlung zu. [3]

Nicht nur hinsichtlich des Propagandakriegs ist der Verlust der Drohne für den US-Geheimdienst und die Regierung in Washington eine peinliche Panne. Sollte tatsächlich eine geheime Tarnkappendrohne des Typs RQ-170 im Iran niedergegangen sein, "könnte dies einen erheblichen Rückschlag für das US-Militär bedeuten", mutmaßte die Washington Post. Iranische Experten könnten Einblicke in die Schwächen der Technologie und Hinweise gewinnen, wie man die Drohnen entdecken kann. Überdies könnte der Iran die Technologie nach Rußland oder China weiterverkaufen, wo man sie nachahmen würde.

Angesichts der Bedeutung dieses Zwischenfalls, der das offene Geheimnis vermutlich seit Jahren durchgeführter Spionageflüge über dem Iran verifiziert, ist eine Schlacht der Dementis, Abwiegelungen und wilden Spekulationen entbrannt. Dem ursprünglichen Bericht der BBC zufolge wurde die Drohne durch eine Cyberattacke abgefangen. Wie es nun im iranischen Fernsehen hieß, habe eine "Einheit zur elektronischen Kriegsführung" das ferngesteuerte Fluggerät am 4. Dezember zur Landung gezwungen, als es über der Stadt Kashmar, rund 225 Kilometer von der afghanischen Grenze entfernt, unterwegs gewesen sei. Sollte der Iran tatsächlich dazu in der Lage sein, auf elektronischem Weg Einfluß auf die Drohnen zu nehmen, wäre dies allerdings ein schwerer Rückschlag für die bislang uneingeschränkte Lufthoheit solcher Fluggeräte hoch über fremdem Territorium. Der britische Guardian spekulierte, daß die Software zur digitalen Übernahme der Steuerung in Rußland gekauft worden sein könnte. Sollte es der Drohne nicht gelungen sein, ihre gesammelten Daten zu löschen, könnte der Iran diese Informationen auswerten und damit dezidiert nachweisen, daß das Land ausspioniert wird. Eine Neuigkeit wäre das zwar nicht, doch möglicherweise ein Riß in der mühsam geschmiedeten Allianz gegen den Iran. [4]

Nachdem die NATO zunächst den Verlust eingeräumt, aber einen technischen Defekt dafür verantwortlich gemacht hatte, wechseln nun einander widersprechende Aussagen und Mutmaßungen. So erklärte ein hochrangiger Offizieller laut ABC News, es könnte sich um ein Modell handeln. Hingegen hielt ein Luftfahrtexperte die Drohne gegenüber CNN für echt. Da diese eine Flughöhe von 15.000 Kilometern erreichen kann, wäre sie im Falle eines Absturzes vermutlich am Boden zerschellt, was für eine kontrollierte Landung durch iranische Experten spräche. Andererseits könnte das Fluggerät aber auch zu Boden gesegelt und nur an der Unterseite beschädigt worden sein. Andere Experten wollen Eigenschaften der präsentierten Drohne erkannt haben, die nicht mit dem Original übereinstimmen.

Im Für und Wider dieser Spekulationen droht der relevante Sachverhalt nahezu unterzugehen: Nachdrücklicher als je zuvor hat Verteidigungsminister Panetta vor wenigen Tagen erklärt, die Regierung Obama sei "entschlossen, Iran von der Entwicklung von Atomwaffen abzuhalten". Washington will kein Mittel ausschließen, Teheran in die Knie zu zwingen, und hat den Angriffskrieg längst eröffnet.

Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/2011/50/Iran/seite-2

[2] http://www.stern.de/politik/ausland/konflikt-zwischen-iran-und-den-usa-teheran-zeigt-drohne-im-fernsehen-1760704.html

[3] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/vorwurf-der-spionage-iran-fuehrt-amerikas-drohne-vor-11556657.html

[4] http://www.rentner-news.de/content/USA-bestreitet-Echtheit-von-Iran-Drohne-RQ-170-Sentinel

10. Dezember 2011