Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1485: Streubomben im Libyenkrieg ... auf dem eigenen Auge blind (SB)



Die libysche Regierung bestreitet den Vorwurf der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), daß ihre Streitkräfte bei den Kämpfen um die Stadt Misrata Streubomben einsetzt. Sie beruft sich darauf, aus moralischen wie rechtlichen Gründen als auch in Anbetracht der vielen internationalen Medienvertretern und Organisationen im Land keinen Grund dazu zu haben, sich diese Blöße zu geben. Ein Vertreter der libyschen Armee behauptete, über keine Streubomben wie Soldaten, die sie einsetzen könnten, zu verfügen. Man sei Opfer einer Medienkampagne, so der Offizier, der vermutete, diese Munition könne nur von den Rebellen selbst eingesetzt worden sein. Er forderte die Entsendung unabhängiger Beobachter, um die Sachlage aufzuklären. [1]

Da auch in Libyen die Kampfhandlungen von einem Informationskrieg begleitet werden, läßt sich zu diesem in der Berichterstattung viel Raum einnehmenden Vorwurf kein definitives Urteil fällen. Auch NATO-Regierungen wurden schon diverser Propagandalügen überführt, und HRW ist lediglich Überbringer von Informationen aus Quellen, über deren Glaubwürdigkeit man nichts weiß. Zudem ist die Menschenrechtsorganisation im Jugoslawienkrieg durch deutliche Parteinahme zugunsten der NATO aufgefallen, die das Land in einem völkerrechtswidrigen Krieg überfallen hatte. Allein die in diesem Krieg von Politikern und Militärs der NATO-Staaten aufgebotenen und widerlegten Behauptungen über angebliche Verbrechen der jugoslawischen Regierung belegen, daß der Informationskrieg in jedem Feldzug der westlichen Wertegemeinschaft die nicht unerhebliche Rolle spielt, den eigenen Bevölkerungen die moralische Integrität des Zerstörungswerkes zu verkaufen.

Daß die NATO-Staaten inzwischen das UN-Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung überschritten haben, indem sie sich das Kriegsziel der Rebellen, den Regimewechsel in Tripolis, zu eigen gemacht haben, diese allem Anschein nach mit kriegswichtigen Gütern beliefern und bereits vor Angriffsbeginn mit Agenten am Boden Libyens aktiv waren, sollte all denjenigen zu denken geben, die den Vorwurf des Streubombeneinsatzes für bare Münze nehmen und damit Gefahr laufen, der NATO einen Vorwand zur Ausweitung der Bombenangriffe zu liefern. Da man offensichtlich Legitimationsprobleme hat, lebt doch der zentrale Vorwurf, die NATO müsse diesen Krieg führen, um ein Massaker an den libyschen Oppositionellen zu verhindern, vor allem von der Stigmatisierung Muammar al-Gaddafis als das fleischgewordene Böse, ist keineswegs auszuschließen, daß seitens der Interventionsmacht nachgebessert wird.

Doch selbst wenn die libysche Armee Clustermunition einsetzte, so erinnert die Angabe, daß diese spanischen Ursprungs sei, daran, daß Despoten und Diktatoren zum selbstverständlichen Umgang europäischer Regierungen gehören, so lange sie ihren Interessen dienen. Auch hat der NATO-Staat USA bislang in jedem seiner Kriege Streubomben eingesetzt, allerdings ohne daß dies auf die gleiche Weise verurteilt worden wäre, als es im Fall des unterstellten Einsatzes dieser Munition durch die libysche Armee der Fall ist. Das von den US-Invasoren im Irak erreichte Verhältnis von einem getöteten irakischen Soldaten zu 30 getöteten irakischen Zivilisten ist unter anderem Ergebnis des Einsatzes der speziell auf maximalen Schaden am Menschen in einem großen Radius des Zielgebiets ausgerichteten Streubomben.

Die Armee Israels feuerte im Sommer 2006 rund 170.000 Granaten in den Südlibanon ab, darunter ein großes Kontingent an Streubomben. Je nach Munitionstyp versagen bei 5 bis 30 Prozent der Bomblets die Zünder, so daß ein solches Bombardement die großflächige Verseuchung des Zielgebiets mit Explosivkörpern, deren Wirkung mit Anti-Personen-Minen vergleichbar ist, zur Folge hat. Laut UN-Nothilfekoordinator Jan Egeland wurden 90 Prozent der Streubomben in den letzten 72 Stunden des Krieges abgeworfen. Die israelischen Streitkräfte verstärkten den Einsatz dieser Waffen zu einem Zeitpunkt, als der Waffenstillstand bereits absehbar war, was die Schlußfolgerung zuläßt, daß die die Verminung des Operationsgebietes der libanesischen Hisbollah das eigentliche Ziel dieses Beschusses war.

In den ersten zwei Wochen nach dem Waffenstillstand am 14. August 2006 waren bereits 13 Menschen durch diese Hinterlassenschaft getötet und 46 verletzt worden. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Vereinten Nationen 390 Orte im Libanon registriert, an denen die israelischen Streitkräfte Streubomben einsetzten. Die US-Regierung hatte die Belieferung Israels während des Kriegs mit Streubomben beschleunigt obwohl diese Munition stets gegen den Grundsatz des humanitären Kriegsvölkerrechts verstößt, Zivilisten von Kriegshandlungen auszunehmen. In diesem 33 Tage währenden Krieg, den die damalige US-Außenministerin Condoleezza Rice mit den Worten, es handle sich um "Geburtswehen eines neuen Nahen Ostens", zu einem notwendigen Schöpfungsakt erhob und der von den europäischen NATO-Staaten wenn nicht explizit gutgeheißen, dann zumindest schweigend akzeptiert wurde, flog die israelische Luftwaffe 17.550 Kampfeinsätze. Sie zerstörte dabei 73 Brücken, 400 Kilometer Straße, 25 Tankstellen, 900 Geschäfte und Fabriken, 350 Schulen sowie 15.000 Wohnhäuser. 1200 Libanesen kamen ums Leben.

Der damalige israelische Ministerpräsident Ehud Olmert hatte vor der Winograd-Kommission erklärt, daß der Krieg schon vier Monate vor dem als Angriffsvorwand genutzten Grenzzwischenfall zwischen israelischen Streitkräften und libanesischer Hisbollah vorbereitet worden war. Nimmt man die Unterstützung der NATO-Staaten für einen solchen Großangriff auf die Bevölkerung und Infrastruktur eines Landes zum Maßstab, dann erweist sich die moralische Verdammung Gaddafis und der libyschen Regierung als wohlbekannte Strategie, den aus realpolitischen Gründen zu beseitigenden Gegner so zu dämonisieren, daß die eigene Kriegführung den Anschein einer alternativlosen und gerechten Intervention erhält.

Fußnote:

[1] http://www.welt.de/politik/ausland/article13198060/Gaddafis-Armee-lastet-Streubomben-den-Rebellen-an.html

17. April 2011