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KRIEG/1475: Frieden nur über Leichen ... ethische Kriegführung aus christlicher Sicht (SB)



Von einem wortwörtlich genommenen Amtsverständnis scheint der evangelische Militärbischof Martin Dutzmann [1] beseelt zu sein. Seine Klage über das mangelnde Interesse der Bundesbürger am sogenannten Afghanistaneinsatz illustriert er anhand dessen, daß kriegsversehrte Soldaten bei ihrer Heimkehr mitunter zu hören bekämen, sie hätten sich doch einen weniger gefährlichen Beruf aussuchen können. Wenn dies überhaupt zutrifft, dann könnte der Urheber dieser vermeintlichen Ungeheuerlichkeit auf ganz nüchterne Weise daran erinnert haben, daß der freien Berufswahl auch die Übernahme des jeweiligen Berufsrisikos eigen ist. Langzeiterwerbslosen wird regelmäßig zu verstehen gegeben, daß es ihrem Versagen zuzuschreiben sei, nicht über eine ordentliche Arbeitsstelle zu verfügen. Warum die Doktrin, daß in kapitalistischen Gesellschaften jeder seines Glückes Schmied sei, im Fall von Soldaten, die dieses Verwertungssystem offensiv durchsetzen, nicht gelten soll, beantwortet der Bischof nicht. Er erinnert auch nicht daran, daß die Gefahr, in die sich deutsche Soldaten in Afghanistan begeben, mit einer Zulage von rund 100 Euro am Tag vergolten wird. In vier Tagen erhält ein Bundeswehrsoldat in Afghanistan zusätzlich zu seinem Sold und anderen einsatzspezifischen Vergünstigungen mehr als das monatliche Salär eines Hartz IV-Empfängers, der noch als unverschämt diffamiert wird, wenn er mehr fordert als ein solches Almosen.

Zudem klärt Dutzmann nicht über die Widersprüche und Offenlassungen eines Kriegsmandats auf, das in erster Linie für Tod und Verletzung deutscher Soldaten verantwortlich ist. Statt dessen moniert er, der Bevölkerung sei das Gefühl für eine militärische Bedrohung verloren gegangen, was unbedingt geändert werden müsse, indem man ihr vermittelt, was es bedeutet, "Verantwortung" in anderen Teilen der Welt zu übernehmen. Nachdem die Verteidigung der Bundesrepublik am Hindukusch immer weniger damit plausibel zu machen ist, daß das dort verursachte Kriegsleid eine terroristischen Bedrohung nicht etwa wahrscheinlicher, sondern unwahrscheinlicher mache, sind führende Politiker dazu übergegangen, die Bevölkerung anhand des Verweises auf die notwendige Sicherung deutscher Handels- und Rohstoffinteressen in aller Welt auch mit militärischen Mitteln in die Pflicht ihrer eigenen Überlebenssicherung zu nehmen.

Wenn ein Kleriker wie Dutzmann kundtut, daß der Zeitpunkt für einen Abzug noch nicht gekommen und der "Einsatz" ethisch noch legitim sei, dann befürwortet er im Kern die gewaltsame Sicherung deutschen Wohlstands auf Kosten von Menschen, über deren kriegsbedingte Leiden hierzulande so entschieden geschwiegen, als die ethische Lauterkeit deutscher Kriegführung beschworen wird. Letztere stellt sich in den Worten des deutschen ISAF-Sprechers General Josef Blotz als erfolgreiche Eskalationsstrategie dar. Um den Krieg gegen die Taliban und andere Gruppen der Besatzungsgegner ausweiten zu können, wurden 2010 auf beiden Seiten mehr Verluste denn je in Kauf genommen. Während der Body Count toter Taliban den militärischen Erfolg der Besatzer dokumentiert, ist die gestiegene Zahl eigener Kriegsopfer erklärungsbedürftig. Laut Blotz dürfen die mehr als 700 Gefallenen der Besatzungstruppen und mehr als 800 Gefallenen der Regierungstruppen nicht als Fehler der strategischen Planung und Durchführung interpretiert werden [2]. Ganz im Gegenteil, die Bekämpfung der Taliban im Raum Kandahar in der südafghanischen Provinz Helmand sei so erfolgreich gewesen, daß die Initiative nun bei den ISAF-Truppen liege, so der deutsche General am Montag in Kabul. Er kündigte an, daß der Druck auf die "Aufständischen" auch im Winter ohne Unterbrechung aufrechterhalten werde [3].

Die Hälfte der afghanischen Bevölkerung weiß nicht, wie sie die kalte Jahreszeit überstehen soll, wenn sie nicht einmal satt wird. Gegenüber den ungeheuren Geldsummen, die die Kriegsmaschinerie der NATO verschlingt, verkommt die humanitäre Hilfe, die die Bevölkerung des Landes überhaupt erreicht, zu einem Tropfen auf den heißen Stein. Soziale Probleme haben keine Priorität, und von den salbungsvollen Worten deutscher Kriegskleriker wird niemand satt. Gerät die afghanische Bevölkerung in den Fokus einer NATO-Offensive, dann gesellen sich zum Hunger auch noch Zerstörung und Vertreibung.

So wurden die von Blotz gefeierten Geländegewinne in der Region Kandahar mit einer Strategie der systematischen Häuserzerstörung erlangt, bei der die US-Truppen mit Hilfe von Bulldozern, Sprengladungen, Bomben und Raketen systematisch ganze Ortschaften zerstörten. Diese Maßnahme diene der Sicherheit der dort operierenden Soldaten, da die angeblich von der Bevölkerung verlassenen Gebäude vermint sein könnten, erklärte die US-Militärführung. In einigen Fällen wurde den Dorfbewohnern ein Ultimatum gesetzt. Wenn sie den Truppen die von den Taliban angelegten Sprengfallen zeigten, dann würden ihre Häuser verschont, ansonsten würden sie zerstört. Die Frage, ob die Bevölkerung überhaupt in der Lage war, eine solche Angabe zu machen, oder ob sie Drangsalierungen durch die Taliban befürchten mußte, hat für die Durchführung der Maßnahme offensichtlich keine Rolle gespielt [4].

Wenn man ohnehin bettelarmen Menschen mitten im Winter das Haus nimmt oder sie mit der Androhung, in einer Gefechtszone zum Freiwild zu werden, aus diesem vertreibt, dann wird man sie kaum dem Einfluß der Besatzungsgegner abspenstig machen können. Man wird diesen, ganz im Gegenteil, neue Kämpfer zutreiben und die Eskalation der Gewalt weiter anheizen. Hier von einer auf Endsieg abonnierten Strategie auszugehen, die immer aggressiverer Offensiven bedarf, um Verhältnisse zu schaffen, unter denen ein Truppenabzug im angekündigten Sinne möglich wird, liegt in Anbetracht des steigenden Legitimationsdrucks, der auf den Regierungen der NATO-Staaten lastet, nahe.

Wenn ein deutscher Bischof dieser Eskalationslogik den Segen ethischer Legitimation gewährt, dann hat man es mit einem exemplarischen Beispiel dafür zu tun, daß das Lamento über die Christenverfolgung in anderen Teilen der Welt der Legitimation dieses und anderer Kriege dient. Darüber zu klagen, daß Christen in mehrheitlich islamischen Ländern nicht die gleichen Freiheiten genießen wie Muslime in Deutschland, um gleichzeitig die Aggression mehrheitlich christlicher Soldaten gegen muslimische Zivilisten gutzuheißen bringt im Ergebnis mehr Opfer auf allen Seiten hervor. Die den Bundesbürgern eingebimste Lektion, Deutschland müsse mehr Verantwortung in aller Welt übernehmen, läßt einmal mehr erkennen, daß es keiner Doppelmoral bedarf, um moralisch illegitime Vorhaben zu rechtfertigen. Die Selbstevidenz der zivilisatorischen Überlegenheit christlicher Kultur genügt voll und ganz, um den gerechten Krieg mit doktrinärer, alle dagegen gerichteten Bestrebungen diffamierender Gewalt zu proklamieren.

Fußnoten:

[1] http://www.epd.de/index_83647.html

[2] http://www.stern.de/news2/aktuell/ausweitung-des-kampfes-in-afghanistan-brachte-mehr-gewalt-1639663.html

[3] http://www.isaf.nato.int/article/isaf-releases/coalition-afghan-forces-keeping-pressure-on-insurgents-in-new-year.html

5. Januar 2011