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KRIEG/1405: Neue Afghanistanstrategie - Eskalation vorprogrammiert (SB)



Angesichts der wachsenden Ablehnung, mit der die Bundesbürger die Kriegführung in Afghanistan quittieren, tun große Worte und aufwendige Inszenierungen Not. So verkündet Außenminister Guido Westerwelle einen "Neuanfang" und "Strategiewechsel" in der Afghanistanpolitik, und Bundeskanzlerin Angela Merkel tritt zusammen mit dem afghanischen Präsident Hamid Karzai vor den Bundestag, um das vermeintlich Neue am ewig gleichen zu feiern. Schon am Vortag klärte sie darüber auf, wieso die Bundeswehr weitere Jahre am Hindukusch bleiben soll, wieso ihr Kontingent aufgestockt wird und wieso sie Karzai gegenüber kein Abzugsdatum nennen will:

"Unser Ziel ist ein Afghanistan, in dem Strukturen herrschen, die es verhindern, daß wieder Taliban und terroristische Kräfte gemeinsam eine Bedrohung nicht nur für Afghanistan, sondern für uns auch darstellen, das muß verhindert werden."
(Deutschlandfunk, 26.01.2010)

Was immer neu an dem nun vorliegenden Plan ist, ordnet sich einer Besatzungslogik nach, die seit 2001 unverändert ist und es auch in Zukunft bleiben wird. Es ging und geht darum, den Regimewechsel in Afghanistan abzusichern. Wenn die Bundesregierung das sogenannte Reintegrationsprogramm für gemäßigte Aufständische der Regierung Karzai mit 50 Millionen Euro unterstützt, dann meint sie damit eben nicht, daß die Besatzungsgegner als Verhandlungspartner anerkannt werden. Es geht um Umerziehung und Rekrutierung, nicht um die politische Selbstbestimmung aller Afghanen.

Die vielgelobte Verdopplung der zivilen Mittel von 220 auf 430 Millionen Euro trägt zwar dazu bei, daß das zivilgesellschaftliche Feigenblatt etwas mehr Schatten wirft, so daß die militärischen Aktivitäten der Bundeswehr nicht so sehr ins grelle Licht der Öffentlichkeit gezogen werden. Das von der Bundeskanzlerin ein ums andere Mal gepriesene Konzept der "vernetzten Sicherheit" basiert dennoch nicht auf einem gleichmäßig geknüpften Netzwerk, in dem die militärische Komponente nur ein Teil unter mehreren wäre, sondern ist schon von der Bemittelung her auf das Gewaltorgan Bundeswehr zentriert.

Das sogenannte "Partnering", die von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg angekündigte Ausweitung der Ausbildung afghanischer Soldaten, steht tatsächlich für die Subordination der afghanischen Regierungstruppen. Das geht schon daraus hervor, daß ihr Aufbau an die Verfügbarkeit umfassender Finanzmittel gebunden ist, während die Zahl der Soldaten, die aus Überzeugung für die Regierung Karzai und deren ausländische Herren kämpfen, sehr viel kleiner sein dürfte als ihre nominelle Stärke. Zwar bedienen sich auch die Taliban und andere Besatzungsgegner der ökonomischen Not ihrer Kämpfer, doch unter ihnen gibt es genügend ausgemachte Überzeugungstäter, die gegen Abwerbungsversuche und Aussteigerprogramme immun sind. Desto weniger eigenständige Kampfkraft wird den Truppen der Kabuler Regierung zugetraut. Sie sollen keineswegs eigenständig operieren und dabei ihre Unfähigkeit demonstrieren, mit einem zumindest teilweise in der Bevölkerung verankerten Gegner fertig zu werden, sondern von ihren Ausbildern außerhalb der deutschen Feldlager in den Kampf geführt werden.

Laut Guttenberg geht es darum, "Präsenz in der Fläche" zu zeigen, die allerdings "keine offensive Präsenz ist, sondern mit Ausbildung und wiederum mit Schutz der Bevölkerung verbunden ist, Rückzugsräume für die Taliban zu minimieren und sie auch ein Stückweit zu isolieren von der Bevölkerung und selbst für diesen Schutz und diese Sicherheit sorgen zu können" (Deutschlandfunk, 26.01.2010). Damit liegt dem Ausbildungsprogramm, für das 1400 anstatt bisher 280 Bundeswehrsoldaten eingesetzt werden sollen, nichts anderes als ein strategischer Entwurf zur offensiven Kriegführung zugrunde, der dadurch legitimiert wird, daß die anderen angefangen haben.

Wenn Bundeswehrsoldaten zusammen mit afghanischen Regierungstruppen in ihrem nordafghanischen Zuständigkeitsbereich eine territoriale Verdrängungs- und Ausschließungsstrategie verfolgen, dann sollen sie den Taliban einen wichtigen operativen Vorteil nehmen, ihre weitgehend unbehinderte Beweglichkeit im Raum. Die Taliban und andere Besatzungsgegner sind jedoch seit längerem in ländlichen Gebieten auf dem Vormarsch, so daß eine bewaffnete Konfrontation mit der Bundeswehr nach dieser Maßgabe unausweichlich wird. Dieses Vorgehen als nicht offensiv zu bezeichnen ist vergleichbar mit Guttenbergs anfänglicher Behauptung, der Angriff auf die beiden Tanklaster bei Kunduz sei "angemessen" gewesen.

Bei diesem Strategiewechsel geht es schlicht darum, den Bundesbürgern Sand in die Augen zu streuen, indem ihnen die friedfertige Absicht der Bundeswehr vorgegaukelt wird, der sich nur ausgemacht böse Menschen, sprich nicht reformierbare Taliban, widersetzen. Die von der Bundesregierung beabsichtigte Aufstockung des deutschen Truppenkontingents um 850 Soldaten und die erklärte Absicht, sich mit einer schrittweisen Übergabe der "Sicherheitsverantwortung" allmählich aus der Affäre zu ziehen, wird mit der absehbaren Eskalation des Krieges bald vergessen sein. Da die Bundeswehr in ihrem Zuständigkeitsbereich im Raum Kunduz nicht alleine ist, sondern demnächst durch 5000 kriegserprobte US-Soldaten verstärkt wird, werden ihre operativen Planungen dem aggressiveren Vorgehen der US-amerikanischen Streitkräften nachgeordnet. Das deutsche Truppenkontingent wird sich die Bedingungen, die diese schaffen, nicht aussuchen können, und nach allem, was die US-Streitkräfte in Afghanistan bislang erreicht haben, wird es sich um Bedingungen eines vollends entbrannten Krieges handeln.

Die Präsentation der angeblich so neuen Afghanistanstrategie war vor allem eine Märchenstunde, mit der über den kolonialen Charakter dieses Krieges hinweggetäuscht werden sollte. So wartet man vergebens auf Aussagen dazu, wie sich die Bundesregierung zu einer eventuellen Ausweitung des Krieges im Rahmen der Washingtoner AfPak-Strategie nach Pakistan stellen will. Bei ihrer Ankündigung, man werde ein "nachhaltiges, stabiles Afghanistan" auch nach dem Abzug der Bundeswehr "weiter unterstützen", bedient sich Merkel eines Wunschtraums, in dem sich lediglich die eigenen hegemonialen Interessen spiegeln, das mit der Realität des afghanischen Bürgerkriegs aber nichts zu tun hat.

Für die Bevölkerung verläßliche Verhältnisse werden nur dann Einzug in Afghanistan halten, wenn die Besatzer fort sind. Da diese darauf insistieren, daß die von ihnen initiierte und alimentierte Kabuler Regierung auch weiterhin das Sagen haben wird, können sie laut Zielsetzung der Bundesregierung nicht abziehen. Da sie aufgrund ihrer vergleichsweise unbegrenzten militärischen Bemittelung nicht besiegt werden können, werden die Besatzungsgegner einen langwierigen Abnutzungskrieg führen, der erst dann endet, wenn die Besatzer aufgrund einer gegenüber ihren Bürgern nicht mehr durchzuhaltenden Kriegspolitik jede Legitimation für ihr Tun verloren haben.

Da man dies in Berlin und Washington weiß, wird die angebliche Vernunft dieses Krieges wieder verstärkt in der Abwehr terroristischer Bedrohungen verortet. Mit dem Blutzoll, den Afghanen dafür zu leisten haben, wächst auch die Wahrscheinlichkeit, daß die Terrorismusprävention erzeugt, was sie angeblich abwehren soll. Im Endeffekt spielen die Besatzer den Taliban in die Hände, weil die beanspruchte Rechtmäßigkeit ihrer Anwesenheit durch das faktische Unrecht, das sie begehen, wenn der angebliche Schutz der Zivilbevölkerung deren Bekämpfung voraussetzt, den Besatzungsgegnern eine nie versiegende Flut von Kämpfern zutreiben wird.

Auf der Afghanistankonferenz in London wird sich zeigen, daß der Strategiewechsel der Bundesregierung ein Papiertiger ist, der gegen die Hegemonie der US-Regierung nichts unternehmen kann. Da deren militärische Vorstellungen mit einem ungleich größeren materiellen und personellen Aufwand umgesetzt werden und zudem in ein überregionales Konzept imperialistischer Kriegführung integriert sind, wird Washington auch die künftige Marschrichtung in Afghanistan vorgeben. Diese wird voraussichtlich auf eine verstärkte Einbindung der Bevölkerung in die Kriegführung setzen, indem diese zugleich umworben und unterwandert wird. Wen man nicht auf die eigene Seite ziehen kann, der läuft Gefahr, mit kriegerischen Maßnahmen traktiert zu werden. Gleichzeitig hält man sich die Option offen, die Taliban diplomatisch an die Wand zu spielen, indem man ihnen Angebote macht, die sie ablehnen werden, weil sie nicht unter der Voraussetzung des Abzugs der NATO-Truppen stehen. Wo die Bundesregierung den Weg wählt, die offensivere Kriegführung in technokratischen Euphemismen zu verstecken, wird sie vom US-amerikanischen Bündnispartner recht unsanft an ihre angeblichen Bündnispflichten erinnert werden.

27. Januar 2010