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KRIEG/1377: Einbruch des Krieges in den Frieden seines Aufmarschgebiets (SB)



Der "schreckliche Ausbruch von Gewalt", den US-Präsident Barack Obama beklagte, als er zur Schießerei in der texanischen Militärbasis Fort Hood Stellung nahm, fand in einem Bereich der Garnison statt, in dem letzte Vorbereitungen für die Entsendung der Truppen auf Kriegschauplätze wie Afghanistan und den Irak getroffen werden. Der mutmaßliche Täter Major Nidal Malik Hasan brachte 13 Menschen um, darunter zwölf Soldaten. Bei seinen Opfern handelt es sich damit um die gleiche Gruppe von Personen, mit denen er als Therapeut Posttraumatischer Belastungsstörungen (Post-traumatic Stress Disorder - PTSD) beruflich befaßt war.

Da Major Hasan als Muslim bekannt ist, der seinen Glauben gewissenhaft ausübt, da man von ihm weiß, daß er massive Kritik an der Kriegführung seines Landes im Irak und in Afghanistan übt, da er im Verdacht steht, eine positive Einstellung zu Selbstmordattentaten zu hegen, da er vergeblich versuchte, seine Entlassung aus der Armee zu bewirken und da er unter allen Umständen vermeiden wollte, nach Afghanistan geschickt zu werden, steht seine mutmaßliche Tat ganz im Zeichen seiner religiösen Gesinnung. Die naheliegende Diagnose lautet, daß Hasan den Konflikt zwischen seinem Bekenntnis zum Islam und der Zugehörigkeit zu Streitkräften, die Länder mit mehrheitlich islamischer Bevölkerung besetzt halten, nicht mehr ausgehalten hat. Zwar war sogleich von einem Amoklauf die Rede, es könnte jedoch sein, daß die Tat zumindest von einigen Experten als Anschlag bewertet wird.

Hasans Umgang mit Menschen, die mit einer psychischen Schädigung aus dem Krieg heimkehren, könnte diese Schlußfolgerung unterstützen. Damit würde jedoch der ideologische Charakter, mit dem die Bluttat auf den Leisten des die US-Kriegführung befeuernden Kulturkampfes geschlagen wird, von einer systemimmanenten Fehleranalyse unterlaufen. Der Offizier hat im Reparaturbetrieb des Krieges gearbeitet. Seine Aufgabe bestand darin, die Belastbarkeit von Soldaten wie Soldatinnen für das Ausüben von Grausamkeiten aller Art zu erhöhen. PTSD gilt als unter Veteranen weitverbreitete kriegsbedingte psychische Erkrankung. Dennoch geht es bei der Behandlung vor allem darum, die Betroffenen wieder verwendungsfähig zu machen und die präventive Vermeidung dieses als "Belastungsstörung" auf die Aufhebung derselben gerichteten Symptomenkomplexes zu erforschen.

Wenn der Mitarbeiter eines Apparats, der die Menschen auch im Innersten kriegstauglich machen soll, völlig konträre Reaktionen zeigt und die Gewalt, an deren Folgen seine Klienten leiden, gegen diese lenkt, dann dient das schnell aufgeklebte Etikett der Gesinnungstat vor allem der Beschwichtigung der zu Recht erregten Gemüter. Selbst wenn Major Hasan durch die ihm bezeugtermaßen aufgrund seiner Religion und arabischen Herkunft entgegengebrachte Abneigung ein Außenseiter war und sich daraus Gründe für seine mutmaßliche Tat ergeben haben mögen, so stellt sein besonderes Arbeitsfeld doch eine sehr direkte Verbindung zu jener Gewalt her, dessen Ausbruch nicht nur den US-Präsidenten schockiert hat, obwohl sie das tägliche Geschäft der ihm unterstellten Streitkräfte ist.

Daß ein logistischer Ausgangspunkt des Krieges, der gemeinhin mitten im Frieden verortet wird, selbst zur Kampfzone wird, kann denn auch nicht wirklich erstaunen. Bedenkt man nur, daß allein dieses Jahr 117 aktive Angehörige der US-Armee Selbstmord begangen haben und daß sich unter den in Fort Hood, das als größte Armeebasis der Welt gilt, stationierten Truppen seit 2003 75 Personen umgebracht haben, so kann weder von einer topographischen noch einer sozialpsychologischen Trennung zwischen Krieg und Frieden gesprochen werden. Ruft man sich zudem in Erinnerung, daß 1993 bei der Erstürmung eines in der Nähe des Armeestützpunkts gelegenen Geländes einer christlichen Gemeinschaft, an der neben dem FBI auch die US-Streitkräfte beteiligt waren, 67 Menschen starben, daß viele US-Bürger nur bewaffnet auf die Straße gehen und das Texas der US-Bundesstaat mit der höchsten Zahl an vollstreckten Todesurteilen ist, dann erweist sich der Frieden der USA als Zustand notdürftig eingehegter Gewalt.

Es ist unmöglich, die Auswirkungen imperialistischer Kriegführung von den Gesellschaften, die von ihr profitieren, fernzuhalten. Wenn ein Mensch in einer Ansammlung von über 50.000 Mitmenschen, die für das Töten ausgebildet sind, aus der Rolle fällt und wild um sich schießt, dann hat er das, was alle tun sollen, lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort getan. Wenn dieser Mensch auch noch intime Einblicke in die Schrecken des Krieges erhalten hat, weil seine Aufgabe darin besteht, seinen gewaltbereiten Mitmenschen dabei zu helfen, das Zeugnis eigener wie fremder Grausamkeiten sozialintegrativ zu regulieren, dann müßte seine Tat alle in dieser Gesellschaft lebenden Menschen zutiefst beunruhigen.

6. November 2009