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KRIEG/1376: Konterguerilla ... Bundeswehr fürchtet Debatte um Bombardement auf Tanklastzüge (SB)



Nachdem einige Details aus dem von der Bundesregierung geheimgehaltenen Untersuchungsbericht der NATO zum Luftangriff auf die Entführer zweier Tanklastzüge in der Nähe des deutschen Feldlagers Kundus bekanntgeworden sind, dürfen sich all jene bestätigt fühlen, die dieses Bombardement als grausamen Willkürakt gegenüber einer zusehends erfolgreichen Guerilla verstanden haben. Laut einem Bericht der Kölnischen Rundschau (04.11.2009) haben die Piloten der Kampfbomber bei dem deutschen Oberst, der sie angefordert hatte, fünf Mal nachgefragt, ob sie die beiden in einem Flußbett festgefahrenen LKWs tatsächlich angreifen sollen. Des weiteren hätten sie ihm angeboten, das Ziel zuvor im Tiefflug zu überfliegen, um den dort befindlichen Menschen die Chance zur Flucht zu geben (junge Welt, 04.11.2009).

Oberst Georg Klein erweckte den US-Piloten gegenüber jedoch den Eindruck, unter großer Dringlichkeit zu handeln. Er gab an, daß "Gefahr im Verzug" sei, und unterstellte, daß die Bundeswehr Feindkontakt hätte, es sich bei dem angeforderten Bombardement also um eine nicht aufschiebbare Entlastungsmaßnahme handle. Des weiteren geht aus dem Bericht hervor, daß ein afghanischer Informant, der die Szene offensichtlich aus der Nähe beobachtete, in kurzen Abständen immer wieder behauptete, es befänden sich ausschließlich "Terroristen" an den Tanklastzügen.

Die von der Bundeswehrführung verbreitete Sprachregelung, es sei ihrem Kommandanten darum gegangen, einen Angriff mit zwei hochexplosiven Tanklastzügen auf das Feldlager bei Kundus zu verhindern, war von Anfang an unglaubwürdig gewesen. Bekannt war stets, daß die nächtliche Szenerie unter Observation von Drohnen wie später auch der US-Kampfbomber stand. Sobald die Widerstandskämpfer die LKWs flottgekriegt und sie in Richtung des Bundeswehrlagers bewegt hätten, wäre genügend Zeit für das Ergreifen notwendiger Abwehrmaßnahmen geblieben. Vielleicht jedoch hätten sie sich auch weiter von dem Lager entfernt, dann wäre ein Luftangriff noch schwieriger zu rechtfertigen gewesen.

Völlig unbeantwortet bleibt vor allem die Frage, wieso die deutschen Besatzungstruppen nicht in der Lage waren, innerhalb weniger Stunden eine Kommandoeinheit zusammenzustellen, die an den Ort des Geschehens vorgerückt wäre und die Tanklastzüge auf konventionelle Weise zurückerobert hätte. Da es dem deutschen Befehlshaber behauptetermaßen darum ging, eine akute Bedrohung auszuschalten, wäre dies im vorhandenen Zeitrahmen ohne weiteres möglich gewesen. Zu unterstellen, daß alle Soldaten des im Feldlager vorhandenen Kontingents mit ihrer Arbeit beschäftigt gewesen wären, bedeutete, daß sie zu dieser gar nicht in der Lage wären, besteht sie doch gerade in der Sicherung vor Angriffen aller Art. Unbeantwortet bleibt auch, in welchem Ausmaß höherrangige Kommandostellen in Deutschland an der Entscheidung des Obersten Klein beteiligt waren. Schließlich bestand genügend Zeit zur Rücksprache mit der in Deutschland gelegenen Einsatzführung, die wiederum die Möglichkeit gehabt hätte, für diesen Schritt politische Rückendeckung einzuholen.

Es ist nicht davon auszugehen, daß diese Fragen aufgeklärt werden, weil die Sachlage, zumal nach den jüngsten Enthüllungen aus dem Untersuchungsbericht der NATO, allzuleicht zu überblicken ist. Die Bundeswehr steht in Nordafghanistan vor dem Problem, zwei dort verlaufende Nachschubrouten zu sichern, auf deren Funktionsfähigkeit die Besatzer nach erfolgreichen Angriffen der Taliban auf die über Pakistan verlaufenden Nachschubwege dringend angewiesen sind. Auf irgendeiner Kommandoebene wird man den Beschluß gefaßt haben, bei einem erfolgreichen Angriff auf die Logistik der NATO, bei dem sich die Täter dingfest machen lassen, ein Exempel zu statuieren. Gezielt Dutzende von Menschen zu töten ohne direkte Gefährdung der eigenen Soldaten oder dritter Personen wie etwa die bereits von den Entführern umgebrachten Fahrer der Tanklastzüge läßt sich weder dadurch rechtfertigen, daß sie über eine größere Menge an Benzin verfügen oder daß sie "Terroristen" seien.

In der Realität des Afghanistankriegs scheint dies allerdings anders zu sein. Sie bedarf keiner aufwendigen Legitimationskonstrukte, wie zahlreiche Angriffe der US-Luftwaffe auf angebliche Verstecke der Taliban belegen, die ohne Not und unter teilweise erheblicher Schädigung der Zivilbevölkerung zerstört wurden. Im vorliegenden Fall allerdings kollidiert die ideologische Überhöhung des Kriegs als Maßnahme zur Friedenssicherung mit der militärischen Logik von Soldaten, die gegen einen einheimischen und damit für sie weitgehend unsichtbaren, in der Masse der Bevölkerung quasi versteckten Gegner kämpfen. Im Wissen, daß viele Afghanen auf der Seite der Besatzungsgegner stehen und diese unterstützen, stehen die Soldaten vor dem Dilemma, daß sie eigentlich einer Konterguerillastrategie folgen müßten, die Angriffe auf die Zivilbevölkerung nicht nur als "Kollateralschaden" in Kauf nimmt, sondern gezielt durchführt, um dem Gegner das Versteck zu nehmen.

So viel müßte den Bundesbürgern angesichts der Vorgehensweise der Wehrmacht bei der Partisanenbekämpfung allemal bekannt sein. Desto weniger darf die Bundeswehr den Eindruck erwecken, tatsächlich zu denken und zu handeln, wie es die taktischen und strategischen Erwägungen einer kolonialistischen Besatzungsmacht gebieten. Zu vermeiden wäre dieses Dilemma einfach dadurch, daß man die Afghanen sich selbst überläßt und ihnen ausschließlich, wenn erbeten, mit zivilen Mitteln zur Hilfe kommt. Daß der Angriff vom 4. September auch noch in den Bundestagswahlkampf fiel, hat eine offene Diskussion über die Gründe, die zu ihm geführt haben, und die Möglichkeiten, die man besitzt, um derartige Massaker zu vermeiden, von Anfang an unterbunden.

5. November 2009