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KRIEG/1369: Türkei setzt strategischem Verbündeten Israel Grenzen (SB)



Die Türkei hat die zum ideologischen Monolithen verkrustete Doktrin, wonach jede substantielle und durch konkrete Handlungen bekräftigte Kritik an der Drangsalierung der Palästinenser durch israelische Regierungspolitik den Nahen Osten ins Chaos stürze, praktisch widerlegt. Der Rückzug einer Einladung an Israel zur Teilnahme an einem Luftwaffenmanöver, das dieser Tage auf einem Stützpunkt unweit der anatolischen Stadt Konya geplant war, glich einem Stich ins Wespennest. Daß das multinationale Manöver daraufhin komplett abgesagt wurde, bestätigt die Wirksamkeit gezielter Sanktionen gegen Israel, denen damit unter Umständen die lange vermißte Bresche geschlagen worden ist.

Der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak warnte eindringlich vor einer Gefährdung der bewährten strategischen Partnerschaft mit Ankara, die Dutzende von Jahren zurückreiche. Die Türkei spiele eine zentrale Rolle in der Region, weshalb eine weitere Beeinträchtigung des Verhältnisses nicht ratsam sei. Während es an scharfmacherischen Medienkommentaren nicht mangelte, man solle den Türken diesen Affront mit gleicher Münze heimzahlen, wirkten Regierungskreise eher besorgt und ließen die für sie charakteristische aufbrausende und diffamierende Zurückweisung jeder Kritik vermissen. Sollte das tatsächlich die einzige Sprache sein, die diese israelische Regierung nicht nur versteht, sondern auch ernstnimmt?

Als Israel noch das absolute Feindbild in der arabischen und islamischen Welt war, kam es bereits zu geheimen Kontakten zwischen Vertretern der beiden Staaten. Die Türkei ist der politische und diplomatische Brückenkopf Israels in der Region, was seinen Ausdruck in der strategischen Kooperation zwischen den beiderseitigen Armeen wie auch in vielschichtigen ökonomischen Beziehungen wie insbesondere in der Wasserwirtschaft, aber auch im Tourismus fand. Die Vermittlungsbemühungen Ankaras zwischen Israel und Syrien standen kurz vor einem Durchbruch, als der Angriff auf den Gazastreifen scharfe Kritik der türkischen Regierung nach sich zog.

Regierungschef Erdogan fand nicht nur Worte, die alle anderen Verbündeten Israels nicht über die Lippen brachten, sondern forderte überdies, sich mit den israelischen Atomwaffen zu befassen und die Sanktionen gegen den Iran aufzuheben. Zudem scheint die türkische Armee, die in der Vergangenheit als Garant einer bedingungslosen Zusammenarbeit mit Israel galt, diesmal den Kurs der Regierung zu unterstützen wie auch die türkischen Medien auf eine gewisse Distanz zur israelischen Politik gehen.

Von einem Bruch kann indessen keine Rede sein, zumal das Außenministerium in Ankara bereits klargestellt hat, daß man aus dieser Entscheidung keine politischen Schlußfolgerungen ziehen wolle. Außenminister Ahmet Davutoglu deutete jedoch an, daß sich die Situation im Gazastreifen verbessern werde, sofern die israelische Führung Zurückhaltung übe und einer gesunden Logik folge. Dies werde eine neue Atmosphäre in den türkisch-israelischen Beziehungen schaffen, erklärte Davutoglu, womit er ein Signal setzte, das durchaus auch für andere Regierungen gelten könnte.

Immerhin hat die Türkei gerade deutlich gemacht, daß normale und freundschaftliche Beziehungen zu Israel durchaus Kritik einschließen und aushalten müssen. Daß damit der Sache der Palästinenser gedient ist, kann man nicht ohne weiteres daraus ableiten, da sie auch in diesem Fall zwischen die Mühlsteine zweier ambitionierter Regionalmächte zu geraten drohen. Sollte der türkische Unmut jedoch das absolute Kritikverbot Israels soweit angekratzt haben, daß dessen für sich reklamierte Sonderstellung in der sogenannten Staatengemeinschaft bröckelt und in eine Normalisierung überführt wird, dürfte das nicht zum Schaden der Palästinenser sein, für die es schlimmer ohnehin kaum noch kommen kann.

13. Oktober 2009