Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1342: Freibrief für den schnellen Schuß am Hindukusch (SB)



Wenn Soldaten der Bundeswehr entgegen dem im Grundgesetz verankerten Verteidigungsauftrag am Hindukusch eingesetzt werden, dient das dem Zweck, ein Besatzungsregime zu etablieren und in dessen Durchsetzung Afghanen zu drangsalieren und zu töten. Wie schlüssig zu prognostizieren war, standen alle vorgeschalteten Etappen angeblicher Stabilisierungs- und Aufbaumissionen im Dienst einer Kampagne der Propaganda und stufenweisen Eskalation, welche die aus dem Völkerrecht wie auch bundesdeutscher Gesetzgebung abzuleitenden Widerstände brechen und den Kriegseinsatz nicht zuletzt an der Heimatfront schmackhaft machen soll.

Krieg ist Krieg, da darf man nicht lange fackeln, heißt es nun, auch wenn sich das Lager der Kriegstreiber bisweilen noch ziert und unter sprachakrobatischen Verklausulierungskünsten nach außen hin Inhomogenität und Kontroversen inszeniert. Unter dem bezeichnenden Namen "Adler" gestaltet sich die aktuelle Operation der 300 deutschen Soldaten in der nordafghanischen Provinz Kunduz als erster offener Kriegseinsatz vor Ort, was Gouverneur Mohammed Omar das Lob entlockte, die Deutschen spielten neben den afghanischen Sicherheitskräften eine aktive Rolle und kämen gut voran. Zwar überläßt man den Kampf Mann gegen Mann vorzugsweise den beteiligten afghanischen Soldaten, doch schreckt man vor scharfen Schüssen und toten Einheimischen nicht zurück, wenn sich wie zu Beginn der Offensive ein verdächtiges Fahrzeug einem Kontrollpunkt nähert.

Daß man das endlich darf, ohne sich Sorgen um mögliche Konsequenzen machen zu müssen, steht auf der neu gestalteten Taschenkarte, die jeder Bundeswehrsoldat an der Front wie einen militärischen Katechismus mit sich führt. Im Umfang drastisch verkürzt und von allem sperrigen Friedensgesäusel entrümpelt signalisiert das Dokument jetzt schwarz auf weiß, daß der Soldat schießen kann und soll, wann immer es brenzlig zu werden scheint. Der Waffeneinsatz ist nicht länger an einen erfolgten Angriff gebunden, sondern ausdrücklich auch vorbeugend legitimiert. "Angriffe können zum Beispiel dadurch verhindert werden, daß gegen Personen vorgegangen wird, die Angriffe planen, vorbereiten, unterstützen oder ein sonstiges feindseliges Verhalten zeigen", heißt es dort. Die Wahl eines "milderen Mittels" sei "nicht erforderlich", wenn sich die Soldaten damit "einer erheblichen Gefahr" aussetzen. Präventiv verteidigt werden dürfen Angehörige der ISAF-Truppe, der afghanischen Armee ANA, der afghanischen Polizei wie auch Zivilisten, womit de facto niemand mehr ausgespart bleibt.

Auch die praktische Durchführung des Waffengebrauchs wurde vereinfacht und erweitert. Der fällige Warnruf muß nicht mehr wie bisher in den Landessprachen Paschtu und Dari ausgesprochen werden, sondern nur noch in Englisch und kann praktischerweise auch durch einen umgehenden Warnschuß ersetzt werden. Außerdem darf man fortan auch auf Flüchtende schießen, da diese zu einem späteren Zeitpunkt ja wieder angreifen könnten. Faßt man diese Änderungen zusammen, läßt sich der Waffengebrauch in allen erdenklichen Situationen rechtfertigen, da feindseliges Verhalten oder Angriffsplanung ohne weiteres unterstellt werden kann, ohne daß es dazu eines Beweises bedürfte.

Kriegsminister Franz Josef Jung rechtfertigt die Neufassung der Einsatzregeln mit der zunehmenden Verunsicherung in der Truppe angesichts der vermehrten Attacken von Aufständischen. Handlungssicherheit für die Soldaten wolle man schaffen, betonte der Minister, womit er volle Zustimmung bei der SPD fand, deren Verteidigungsexperte Rainer Arnold in der "Frankfurter Rundschau" lobte, daß man auf diese Weise der tatsächlichen Entwicklung Rechnung trage, ohne die Soldaten vom Gebot der Verhältnismäßigkeit zu entbinden. Prompt setzte es aus dem Lager der Opposition Pseudokritik: Die Änderungen an der Taschenkarte seien nicht nur Klarstellungen, sondern Erweiterungen, betonte FDP-Verteidigungsexperte Rainer Stinner, um dann mit dem Argument, die Taschenkarte hätte schon vor Jahren neu gefaßt werden müssen, ins selbe Horn vereinfachter Kriegsführung zu stoßen. Dem schloß sich Winfried Nachtwei von den Grünen mit der gezielten Irreführung an, die neuen Regeln gäben zwar "mehr Spielraum", leisteten aggressivem Verhalten aber keinen Vorschub.

Es blieb wie so oft der Linkspartei vorbehalten, warnend die Stimme gegen eine Eskalation zu erheben. Ihr Verteidigungsexperte Paul Schäfer kritisierte die "weitere Entgrenzung des Gewalteinsatzes" und bezeichnete die neuen Regeln als eine "Anpassung an die kriegerische Realität". Geschäftsführer Dietmar Bartsch verwarf die "Logik des Krieges" und warnte davor, daß die Bundeswehr immer tiefer in den Sumpf gezogen werde.

Verabschiedet man sich vollends von dem trügerischen Konsens, daß man keinen Krieg wolle, der einem dennoch aufgezwungen werde, läßt sich die Farce der scheinheiligen Leidenskette schicksalhafter deutscher Beteiligung im Rahmen friedenswilligen, aber bündnisverpflichteten Engagements entlarven und verwerfen. Wer seine Soldaten in andere Länder schickt, geht selbstverständlich davon aus, daß man sie dort als Besatzungsregime bekämpft, weshalb man den Widerstand brechen und den Opfern expansionistischer Herrschaftssicherung mit Waffengewalt einzubleuen hat, wie wirkmächtig die Bundeswehr in Verfolgung globaler Zugriffsinteressen ihre Feuerkraft entfaltet.

28. Juli 2009