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KRIEG/1322: Israel schürt Paranoia für einen Angriff auf den Iran (SB)



Israel ist die einzige Atommacht im Nahen Osten und verfügt über genügend Sprengköpfe wie auch modernste Flugzeuge und konventionelle U-Boote aus deutscher Produktion, um dieses Vernichtungspotential mit verheerender Wirkung zu entfalten. Der Iran besitzt keine Atomwaffen und nach übereinstimmender Expertise aller US-amerikanischen Geheimdienste bislang über kein hoch angereichertes Uran, weshalb es bis zur Schaffung eines nuklearen Arsenals noch Jahre dauern würde. Die israelischen Atomwaffen gehören zu den bestgehüteten Geheimnissen des Landes, unterliegen nicht der geringsten internationalen Kontrolle und werden im Diskurs um die Konflikte in dieser Weltregion fast vollständig ausgeblendet oder allenfalls in einem Nebensatz erwähnt. Das zivile Atomprogramm des Irans zählt hingegen zu den weltweit am schärfsten überwachten Entwicklungen dieser Art, so daß die Wahrscheinlichkeit, Teheran könne unbemerkt eine Abzweigung zur Herstellung nuklearer Sprengköpfe nehmen, äußerst gering ist.

Dennoch schürt die neue israelische Regierung mit vermehrter Wucht Paranoia im Dienst eines Präventivkriegs gegen den Iran, wobei sie sich der Propaganda bedient, von Teheran gehe akute Gefahr aus, der man um jeden Preis zuvorkommen müsse. Wie ein Blick in die jüngere Geschichte zeigt, ist diese Strategie keineswegs neu, was die Behauptung eines absehbaren Atomangriffs seitens des Irans nur um so absurder macht.

Shimon Peres orakelte bereits 1992, Teheran werde 1999 die Atombombe besitzen. Ehud Barak warnte 1996, der Iran werde 2004 Nuklearwaffen herstellen. Ebenfalls 1996 hetzte Peres, der Iran sei "das Zentrum des Terrorismus, Fundamentalismus und der Subversion" und seiner Ansicht nach "gefährlicher als der Nationalsozialismus, weil Hitler keine Atombombe besessen hat, während die Iraner versuchen, eine nukleare Option perfekt zu machen". Dieser Tage fügte Benjamin Netanyahu im Gespräch mit Jeffrey Goldberg von der Zeitschrift "The Atlantic" hinzu, niemand wolle "einen messianischen apokalyptischen Kult, der über Atomwaffen verfügt. Wenn der fanatisch dreinschauende Gläubige an die Macht kommt und Zugriff auf die Massenvernichtungsmittel erlangt, sollte sich die ganze Welt Sorgen machen, und genau das geschieht im Iran." Dieser sei "ein fanatisches Regime, das durchaus seinen blinden Glaubenseifer über das Interesse an Selbsterhaltung stellen könnte". (New York Times 09.04.09)

Spätestens an dieser Stelle drängt sich die Frage auf, ob die israelische Führung nicht in grotesker Umkehrung der Verhältnisse ihre eigene Gemütsverfassung und Denkweise auf den Gegner projiziert. Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, diesbezüglich auf psychologischen Interpretationen auszugleiten, die keinesfalls erfassen, worum es bei dieser Machtpolitik geht. Wenn es dort keine Massenvernichtungswaffen gibt, erfinden wir sie eben, war schon die Doktrin des Bush-Regimes vor dem Angriff auf den Irak. Die Verteufelung des Feindes als böse und nicht mehr mit menschlichen Maßstäben zu messen rechtfertigt in seiner innovativen Auslegung Maßnahmen, die ihre Begründung selbst fabrizieren und sich von jeder nachweisbaren Faktenlage emanzipieren.

Solchen Fanatismus wie in der iranischen Führung finde man in keiner anderen angehenden Atommacht der Welt, spinnt Netanyahu seine abstrusen Märchen weiter, die zunehmend den Realitätsbezug vermissen lassen. So behauptet er, die schrecklichen Verluste im ersten Golfkrieg gegen den Irak hätten keine tiefe Wunde im Bewußtsein der Iraner zurückgelassen, und die arabischen Staaten hofften inbrünstig, daß die USA wenn nötig ihre Militärmacht einsetzen, um das iranische Atomwaffenprogramm zu beenden.

In dieser Weltregion muß Israel gemäß seiner eigenen Doktrin die unangefochtene Führungsmacht bleiben, weshalb seine Regierung in den 1980er Jahren Teheran mit Waffen und Technologie unterstützte, während die USA Geschäfte mit Bagdad machten, um den Irak bei Kriegslaune zu halten. So arbeitete man letzten Endes mit vereinten Kräften darauf hin, die beiden stärksten Staaten in einem langen und opferreichen Krieg gegeneinander zu schwächen, um sie später einen nach dem andern schlachten zu können.

Benjamin Netanyahu erweist sich diesbezüglich als gelehriger Schüler des hochverehrten David Ben Gurion, der dem jungen Staat Israel als Vermächtnis mit auf den Weg gegeben hat, daß israelische Geschichte, israelisches Territorium und israelische Politik ausschließlich dadurch bestimmt werde, was man durchzusetzen in der Lage sei. In einer ganz spezifischen Ausprägung machiavellistischer Denk- und Handlungsweise betreibt diese hochentwickelte Form der Herrschaftssicherung zu Lasten der gesamten Weltregion die unablässige Produktion von Feindbildern und die radikale Eliminierung aller widerstreitenden Kräfte.

16. April 2009