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REPRESSION/1664: Rechts - gruppenübergreifende Gewaltperspektive ... (SB)



Der Generalbundesanwalt verdächtigt die mutmaßlichen Mitglieder der Terrorzelle, Anschläge auf Politiker, Asylbewerber und Muslime geplant zu haben. Ziel sei es gewesen, "bürgerkriegsähnliche Zustände" herbeizuführen, um die "Staats- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland zu erschüttern und letztlich zu überwinden".
Aus der Erklärung zur Festnahme der Gruppe "Der harte Kern" [1]

Die jahrzehntelange Praxis des Inlandsgeheimdienstes, rechtsextreme Umtriebe zu decken, zu infiltrieren und zu instrumentalisieren, hat die Herausbildung von Strukturen begünstigt, die immer weniger traditionellen Organisationsformen verhaftet sind und sich rasant radikalisieren. Wenngleich sich längst nicht alle explizit dem Prinzip des "führerlosen Widerstands" verpflichtet fühlen, treten doch gehäuft vermeintliche Einzeltäter oder scheinbar völlig neue Gruppierungen in Erscheinung, die zwar durchaus vernetzt sind, aber relativ autonom agieren. Ihnen ist eine gruppenübergreifende Gewaltperspektive gemeinsam, wollen sie doch durch Anschläge Zeichen setzen, die als Fanal einem Umsturz den Weg bereiten sollen.

Unter dieses Phänomen ist auch die mutmaßlich rechtsextreme Zelle "Der harte Kern" zu subsumieren, deren Mitglieder und Unterstützer im Zuge einer vom Generalbundesanwalt veranlaßten Großrazzia in sechs Bundesländern festgenommen wurden. Die Polizei, darunter Spezialeinsatzkommandos, durchsuchte dabei an dreizehn Orten in Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt die Wohnungen und weitere Räumlichkeiten von dreizehn Personen. Zwölf von ihnen wurden zur Anhörung an den Bundesgerichtshof nach Karlsruhe gebracht, dessen Ermittlungsrichter Haftbefehle gegen sie erließen. Vier mutmaßliche Mitglieder und acht mutmaßliche Unterstützer befinden sich in Untersuchungshaft. [2]

Die festgenommenen Männer sind deutsche Staatsbürger und dem Vernehmen nach zwischen 31 und 60 Jahre alt. Vier von ihnen sollen sich zu der eigentlichen Terrorzelle zusammengeschlossen haben. Die acht anderen sollen sich bereiterklärt haben, Geld zu geben, Waffen zu beschaffen oder an künftigen Anschlägen mitzuwirken. Zum Kern der Gruppe rechnet die Bundesanwaltschaft noch einen fünften Mann, der aber als einziger nicht festgenommen wurde. Offenbar handelt es sich bei ihm um einen Informanten, der die Polizei bereits im Oktober über Existenz und Ziele der Gruppe in Kenntnis gesetzt haben soll, so daß deren Observierung möglich wurde. Die Gruppe ist womöglich größer als die von der Bundesanwaltschaft genannten dreizehn Beschuldigten. Es könnten insgesamt doppelt so viele Mitglieder sein, verlautete aus Sicherheitskreisen.

Bei den Durchsuchungen fanden die Spezialkräfte eine aus Dreiviertelzoll Wasserrohren gebaute "Slam Gun", eine ähnliche selbstgebaute Waffe hatte der Attentäter Stephan Balliet im Oktober 2019 bei seinem Angriff auf eine Synagoge in Halle benutzt. Zudem verfügte die Zelle über eine funktionsfähige 9-Millimeter-Pistole und hundert Schuß Munition sowie selbstgefertigte Handgranaten, auch soll sie sich Wasserstoffperoxid zum Bombenbau beschafft haben. Außerdem stießen die Ermittler bei der Razzia auf Armbrüste, Goldbarren und Äxte. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden wollte sich die Zelle weitere Waffen aus Osteuropa besorgen.

Die Männer hatten einander offenbar erst vor wenigen Monaten im Internet kennengelernt. Erstmals auf die Gruppe aufmerksam geworden waren Ermittler des baden-württembergischen Landeskriminalamtes im September 2019. Umgehend alarmierten sie ihre Kollegen in den anderen Bundesländern, da sich das überregionale Netz, das sich in der virtuellen Welt gebildet hatte, immer rascher radikalisierte. In geschlossenen Chat-Gruppen tauschten die Beteiligten Bilder von Waffen aus, erörterten Überlegungen für den Umsturz in Deutschland, sammelten einen fünfstelligen Betrag zum Waffenkauf und nahmen insgesamt sechs Moscheen, Asylbewerber und Politiker wegen deren liberaler Haltung in der Migrationspolitik als mögliche Ziele ins Visier. Schließlich trafen die mutmaßlichen Rädelsführer zweimal persönlich zusammen, zunächst in der Nähe von Stuttgart und dann im nordrhein-westfälischen Minden, wobei die Ermittler das zweite Treffen aufwendig observierten. Als dann der Kontakt zu dem Informanten abbrach und die Ermittler der Gruppe jederzeit einen Anschlag zutrauten, zumal in einem abgehörten Gespräch die Rede von "Kommandos" gewesen sein soll, die angeblich in "zehn Bundesländern" zuschlagen wollten, entschlossen sich die Behörden zu einer konzertierten Großrazzia.

Der 53jährige Werner S. aus dem Landkreis Augsburg und der 47jährige Michael B. aus dem Landkreis Esslingen sollen die Anführer der Gruppe sein, zum engeren Kreis gehören noch der 35jährige Thomas N. aus dem Kreis Minden-Lübbecke und der 39jährige Tony E. aus dem Landkreis Uelzen. Diesen vier Männern wirft die Bundesanwaltschaft vor, eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul gab bekannt, daß ein Verwaltungsmitarbeiter der Polizei zu den Unterstützern gehöre und suspendiert worden sei. Er sei bislang nicht als Extremist bekannt gewesen und erstmals als Teilnehmer des Treffens in Minden aufgefallen, hieß es. Der als Anführer geltende Werner S. wurde offenbar bereits vor mehreren Monaten von den Sicherheitsbehörden als rechtsextremer Gefährder eingestuft und gehört damit zu den derzeit bundesweit 53 rechtsextremen Personen, denen sie schwere Gewalttaten bis hin zu Anschlägen zutrauen.

Die Männer hatten offenbar Bezüge zu der rechtsextremen Gruppierung "Soldiers of Odin" (SOO). Steffen B. aus Sachsen-Anhalt, einer der inhaftierten mutmaßlichen Unterstützer, war nach Erkenntnissen der Ermittler in der SOO-Bürgerwehr-Abspaltung "Vikings Security Germania" aktiv. Die "Soldiers of Odin" waren erstmals in Erscheinung getreten, als sie im Oktober 2015 in der nordfinnischen Kleinstadt Kemi an der Grenze zu Schweden im Stile einer Bürgerwehr Straßenpatrouillen organisierten. Ziel war es nach ihrer Darstellung, die Polizei zu unterstützen, weil diese nicht in der Lage sei, insbesondere Frauen vor Übergriffen von Asylbewerbern zu schützen. Die Gruppe weitete sich auf andere Städte aus und soll damals in Finnland mehrere hundert Mitglieder gezählt haben. Zudem bildeten sich Ableger in anderen nordischen Ländern. Sie lehnt Migration und den Islam ab, weist aber Vorwürfe zurück, rassistisch oder kriminell zu sein. Interne Streitigkeiten sollen die nach dem nordischen Kriegsgott Odin benannte Gruppierung 2017 geschwächt haben, ihre schwarz gekleideten Anhänger organisieren aber weiterhin Kundgebungen gegen Migranten. Dabei ist es zuletzt in Helsinki und Tampere zu Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten gekommen. [3]

Der Generalbundesanwalt verdächtigt die mutmaßlichen Mitglieder der Zelle, Anschläge auf Politiker, Asylbewerber und Muslime geplant zu haben. Ziel sei es gewesen, "bürgerkriegsähnliche Zustände" herbeizuführen, um die "Staats- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland zu erschüttern und letztlich zu überwinden". In ihren Chats waren die Rechtsextremisten innerhalb weniger Wochen zu der übereinstimmenden Einschätzung gekommen, man müsse gezielt brutale Anschläge auf Flüchtlinge aus Afrika oder auf Moscheen verüben, um die muslimischen Teile der Bevölkerung zu provozieren. Dann würden die Muslime zum Gegenangriff übergehen, in Deutschland Ausschreitungen folgen, die Bevölkerung werde aufwachen und sich in einem Aufstand gegen das politische System wehren. Dann werde den Deutschen bewußt, daß eine "Umvolkung" und ein "Bevölkerungsaustausch" stattgefunden habe, was seit Jahren auch von Teilen der AfD immer wieder in der politischen Diskussion behauptet wird. Der Anschlag sollte offenbar eine Initialzündung für einen Umsturz sein, denn alle Menschen, die auch durch das Agieren der AfD verunsichert sind, sollten merken, daß sie auf dem richtigen Weg sind, heißt es in Ermittlerkreisen.

Die Ermittler gehen davon aus, daß sie es mit einem relativ neuen Phänomen zu tun haben. Tonangebend in der Gruppe waren nicht Altkader rechtsradikaler Vereinigungen, die Verfassungsschutz oder Polizei seit langem im Blick haben, sondern Personen, die sich im Internet gefunden und dort weiter radikalisiert haben. Ihren Zusammenschluß gründeten sie zunächst virtuell, und erst nachdem sie konkrete Vorbereitungen getroffen hatten, kam es zu Treffen in der realen Welt. Allerdings handelt es sich bei den treibenden Kräften der Gruppe durchaus um Personen, die schon zuvor Kontakt mit der rechten Szene hatten. Laut Ermittlerkreisen soll es sich unter anderem um Reichsbürger, bekannte Neonazis, Mitglieder einer "Bürgerwehr" namens "Bruderschaft Deutschland", Leute aus der "Prepper-Szene", teils aber auch um hinzugekommene Personen handeln, die ein nach außen unauffälliges bürgerliches Leben geführt haben.

Das Vorgehen erinnert an jenes der rechtsextremen "Oldschool Society" (OSS). Deren aus Bayern, Sachsen und Nordrhein-Westfalen stammende Mitglieder hatten sich 2014 ebenfalls in Chat-Gruppen sehr schnell radikalisiert. Die OSS-Mitglieder hatten fest vereinbart, Anfang Mai 2015 einen Sprengstoffanschlag auf ein Flüchtlingsheim in Sachsen zu verüben, als der Generalbundesanwalt sie festnehmen ließ. Ähnlich gelagert war der Fall der Gruppe "Revolution Chemnitz". In der sächsischen Stadt hatten sich im September 2018 Rechtsextremisten zusammengetan, um am Jahrestag der Wiedervereinigung in Berlin Anschläge zu verüben. Die Gruppe wollte ebenfalls einen Bürgerkrieg entfachen. Erinnert sei auch an den 28jährigen australischen Rechtsextremisten, der am 15. März 2019 bei einem Terroranschlag auf zwei Moscheen in der neuseeländischen Stadt Christchurch 51 Menschen erschossen hatte. In Deutschland fiel im Juni 2019 mit dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erstmals seit 1945 ein politischer Repräsentant einem rechten Anschlag zum Opfer.

Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern sprechen von Hinweisen auf eine "Entgrenzung des Rechtsextremismus". In der Szene werde über die politische Lage in "Endzeit- und Bürgerkriegsszenarien" diskutiert, heißt es in einer Analyse des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes aus dem vergangenen Sommer: "Es besteht die Gefahr, dass sich in diesem ideologischen Umfeld rechtsterroristische Strukturen oder Einzeltäter entwickeln könnten." Die Düsseldorfer Behörde wies in ihrer Analyse auch auf die Rolle der sogenannten Neuen Rechten und des "Flügels" der AfD um Björn Höcke hin. Ziel der Szene sei es, die gesellschaftliche Stigmatisierung des Rechtsextremismus zu überwinden und anschlußfähig für die Mitte der Gesellschaft zu werden.

Eigenen Angaben zufolge beobachten die Sicherheitsbehörden schon seit einiger Zeit, daß in der realen Welt vermehrt als "Bürgerwehren" getarnte "Mischszenen" in Erscheinung treten, die sich aus Personen zusammensetzen, die bisher nebeneinander agierten: Es handelt sich um Angehörige der Hooligan- und Rockerszene, der sogenannten Wutbürger, Reichsbürger und offenkundige Rechtsextremisten. Führende Köpfe der Mischszene lauern auf Gelegenheiten, am von ihnen ersehnten "Volksaufstand" mitzuwirken. Als beispielhaft gelten in der Szene die Mobilisierung für die fremdenfeindliche Demonstration 2018 in Chemnitz durch die Hooligan-Gruppierung "Kaotic Chemnitz" und davor die Aktionen von "Hooligans gegen Salafisten" (Hogesa) 2014 und 2016 in Köln, Hannover und Dortmund. Im vergangenen September gelang es Hogesa-Aktivisten, in Mönchengladbach ein Treffen von 27 "Bürgerwehren" aus ganz Deutschland zu organisieren, an dem rund 700 Personen teilnahmen. Damit ging erstmals in NRW ein derart breites Bündnis rechtsextremer Gruppierungen auf die Straße, um gemeinsam zum Widerstand gegen "die Staatsverbrecher" und das "Unrechtsregime" aufzurufen. Mit dabei war auch die 2016 in Düsseldorf gegründete "Bruderschaft Deutschland", zu der es im aktuellen Fall Verbindungen geben soll.

"Der harte Kern" wurde rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen, ehe er seine Anschlagspläne in die Tat umsetzen konnte. Auch nähert sich die öffentlich kommunizierte Gefahrenanalyse des Verfassungsschutzes allmählich dem Stand der Erkenntnisse über die rechtsextreme Szene an, die seitens der linken Antifa seit langem ins Feld geführt werden. Das sollte nicht zu dem Fehlschluß verleiten, daß nach dem Abgang des unsäglichen Hans-Georg Maaßen eine von Grund auf neue Ära im Umgang des Staates mit rechtsextremen Umtrieben eingeläutet sei. Wenn Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt den Kampf gegen den Rechtsextremismus zur Priorität erklären, ist das einem Konglomerat aus Erfordernissen der Strafverfolgung, politischer Außendarstellung, aber auch Maximen eines Staatsschutzes geschuldet, der seinen Hauptfeind bekanntlich links verortet.


Fußnoten:

[1] www.faz.net/aktuell/politik/inland/terrorzelle-plante-buergerkriegsszenarien-16637358-p1.html

[2] www.tagesspiegel.de/politik/anschlaege-auf-politiker-und-muslime-erwogen-alle-zwoelf-terrorverdaechtigen-in-untersuchungshaft/25546562.html

[3] www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_87347498/bundesgerichtshof-untersuchungshaft-fuer-alle-zwoelf-rechten-terrorverdaechtigen.html

18. Februar 2020


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