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REPRESSION/1659: Geheimdienste - gespaltenes Grundgesetz ... (SB)



Der BND ist der deutsche Nachrichtendienst, das kann man nicht oft genug betonen. Die strategische Fernmeldeaufklärung ist und bleibt ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Arbeit, um unseren gesetzlichen Auftrag erfüllen zu können.
BND-Präsident Bruno Kahl vor dem Bundesverfassungsgericht [1]

Daß jeder Staat Geheimdienste vorhält, ist ebenso ein Wesensmerkmal seiner Räson wie es in der Natur dieser Institutionen liegt, ein unkontrollierbares Eigenleben zu führen. Wenngleich das Grundgesetz in seiner Präambel unveräußerliches und damit gleichsam universelles Menschenrecht postuliert und zudem behauptet, daß die Staatsgewalt vom Volk als dem Souverän ausgehe, ist es in mehrerlei Hinsicht gespalten. Das zeichnet sich nicht zuletzt bei der Überprüfung des deutschen Auslandsgeheimdienstes in aller Deutlichkeit ab, mit dem sich derzeit das Bundesverfassungsgericht befaßt. Die Existenz und Notwendigkeit des BND steht dabei aber nicht zur Disposition und wird in diesem Verfahren von keiner Seite in Frage gestellt. Das ist insofern auch nicht zu erwarten, als jede Forderung nach der Abschaffung eines bestimmten oder gar aller Geheimdienste für sich genommen zu kurz greift, sofern sie nicht in eine fundamentale Staatskritik eingebettet ist, die zu verhandeln die höchste Rechtsinstanz der Bundesrepublik ohnehin der denkbar ungeeignetste Ort wäre.

Daraus folgt, daß das voraussichtlich im April gefällte Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts die unter diesen Voraussetzungen unvermeidliche Widerspruchslage allenfalls streifen, keinesfalls aber einer hinlänglichen Klärung, geschweige den Aufhebung zuführen wird. Zu rechnen ist indessen nach ersten Einschätzungen mit Korrekturen der aktuellen Rechtslage, welche die Kläger möglichst umfassend erreichen, BND und Bundesregierung hingegen so geringfügig wie möglich halten möchten. Der erwartete Zeitpunkt der Urteilsverkündung hängt damit zusammen, daß Ende April die Amtszeit des Richters Johannes Masing endet, der sich möglicherweise mit einem verfassungsrechtlichen Paukenschlag verabschieden möchte. Er hat das Verfahren als sogenannter Berichterstatter vorbereitet und wird den ersten Entwurf eines Urteils verfassen. Masing hat es in der Vergangenheit mehrmals in großen Prozessen mit der Abwägung von Sicherheitsinteressen und Freiheitsrechten zu tun gehabt, etwa bei der Vorratsdatenspeicherung, beim BKA-Gesetz oder beim Staatstrojaner. [2]

Daß dabei substantielle Auflagen für die künftige Tätigkeit des BND herauskommen, ist jedoch ebenso bloße Spekulation wie die Annahme, daß sich der Auslandsgeheimdienst an verschärfte Vorgaben halten würde. Er arbeitet zwar wie jede deutsche Behörde auf Grundlage eines Gesetzes, mit Dienstvorschriften, Haushaltsplänen und Organigrammen, kontrolliert vom Bundeskanzleramt und vom Bundestag. Da er aber seine Aufgabe nicht zuletzt darin sieht, die ihm eigene Effizienz nicht durch Bremsklötze in Gestalt wechselnder Regierungen und Mehrheitsverhältnisse im Parlament wie auch von Gerichtsurteilen beeinträchtigen zu lassen, wird er auch in dieser Hinsicht weiterhin tarnen, täuschen und trügen. Was geheim bleiben soll, wird im Endeffekt auch geheim bleiben, und sei es in Form geschwärzter Akten in einem Untersuchungsausschuß.

Mit den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden im NSA-Skandal geriet nach 2013 auch der BND in die Kritik, der mit seinen etwa 6500 Mitarbeitern eigenständig an der globalen Massenüberwachung beteiligt war. In Reaktion auf diese weithin wahrgenommene Offenlegung sah sich die Politik genötigt, mit dem Anfang 2017 in Kraft getretenen reformierten BND-Gesetz zu regeln, was der Geheimdienst bei der strategischen Fernmeldeaufklärung im Ausland zu tun und zu lassen hat. Kritiker halten die vorgesehenen Beschränkungen und Kontrollen für unzureichend und sehen viele Schlupflöcher. So soll das Gesetz zwar alle Deutschen und bis zu einem gewissen Grad auch alle EU-Bürger vor Ausspähung durch den BND schützen, doch für die Menschen in anderen Ländern gelten diese Vorgaben nicht. Das Gesetz sieht vor, daß Kommunikation von Deutschen, die versehentlich mit abgefangen wird, sofort wieder gelöscht werden muß. Vom Interesse des Geheimdienstes an diesen Daten ganz abgesehen verfügt er jedoch nicht über die technischen Möglichkeiten, um das sicherzustellen. [3]

Koordiniert von der Berliner NGO Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) haben Reporter ohne Grenzen sowie Investigativjournalisten aus verschiedenen Ländern Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die Kläger halten die aktuelle Rechtslage rund um Artikel 10 des Grundgesetzes für verfassungswidrig, sie sehen die Arbeit von Journalisten gefährdet. Artikel 10 (Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses) schützt deutsche Staatsangehörige vor der Überwachung ihrer Telekommunikation, etwa des Mailverkehrs. Im Ausland, sofern keine Deutschen mitkommunizieren, greift dieser Schutz nicht. Dort kann der BND bisher fast nach Belieben anzapfen, Daten abgreifen, überwachen. Durch die Erfassung und mögliche Speicherung von Kommunikation werde ihre Arbeit massiv erschwert, da ihre Quellen gefährdet seien, argumentieren die Kläger. Die Überwachung durch den BND habe eine einschüchternde Wirkung auf potentielle Whistleblower. Ein zentraler Raum für freie, kritische Recherchen werde beschnitten. Es sei auch nicht sichergestellt, daß bei der globalen Überwachung keine Deutschen mit in die digitalen Netze des BND gerieten. Alle Menschen unter Generalverdacht zu stellen sei schlicht unverhältnismäßig.

Im NSA-Ausschuß wurde publik, daß auch namhafte Redaktionen wie die britische BBC im Visier des BND waren. Laut einem Spiegel-Bericht von Anfang 2017 hat der Geheimdienst mindestens 50 Telefonanschlüsse oder E-Mail-Adressen von Reportern und Redaktionen bespitzelt, darunter neben der BBC auch die New York Times und die Nachrichtenagentur Reuters in Afghanistan, Pakistan und Nigeria. Der BND dementiert nicht, auch schon Journalisten im Ausland abgehört zu haben, behauptet aber, eine systematische Überwachung dieses Personenkreises finde nicht statt.

Wie BND-Präsident Bruno Kahl argumentierte, versuche seine Behörde, der Bundesregierung durch das Sammeln von Informationen im Ausland Handlungsspielraum zu schaffen. So erstellt der BND Lagebilder aus aller Welt für die Regierung. Es gehe auch darum, die gesammelten Informationen für die Gefahrenabwehr zu nutzen.

Kanzleramtschef Helge Braun, der die Armada der Bundesregierung von mehr als 25 Beamten diverser Ministerien im Gerichtssaal anführte, pflichtete Kahl bei. Die Bundesregierung sei auf objektive Lagebilder des BND angewiesen, etwa aus dem Iran oder aus Libyen, und das innerhalb weniger Stunden. In einer Zeit von zunehmendem Nationalismus könne sich die Regierung nicht nur auf Informationen ausländischer Dienste verlassen, da diese mitunter manipuliert oder unvollständig seien. Die gesammelten Daten des BND seien wichtig für Kernbereiche der Gefahrenabwehr wie etwa Entführungsfälle, Terrorlagen oder Cyberangriffe. All das setze eine Datenverarbeitung nach aktueller Rechtslage voraus. "Bedenken Sie die Konsequenzen" warnten Vertreter der Regierung die Richter wiederholt vor Beschneidungen der Befugnisse des BND.

Eine verfassungsrechtliche Grundsatzfrage wurde über Stunden verhandelt: Dürfen sich Ausländer, egal wo auf der Welt, auf deutsche Grundrechte berufen, wenn sie sich durch das Handeln des deutschen Staates in ihren Rechten verletzt sehen? Früher hat die Bundesregierung eine Grundrechtsbindung im Ausland generell abgestritten. "Wenn zwei Ausländer im Ausland miteinander kommunizieren, fällt das nicht in den Schutzbereich des Grundgesetzes", hieß es. Ganz so weit wollte Rechtsprofessor Joachim Wieland, der die Regierung in Karlsruhe vertrat, nicht gehen. Wie er differenzierte, sei der BND zwar auch im Ausland an Grundrechte gebunden. Das führe aber nicht dazu, daß Ausländer sich beim Bundesverfassungsgericht auf diese berufen können. [4]

"Grundrechte unterliegen dem Territorialitätsprinzip", so Wieland. Man könne doch nicht allen Menschen der Welt zusagen, sie dürften sich auf deutsche Grundrechte berufen. "Wenn sich weltweit jeder auf deutsche Grundrechte berufen kann, dann gälte das auch bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr." Auch könnte dann jeder im Ausland Asyl beantragen, wenn er in eine deutsche Botschaft gelangt, und müsse gar nicht mehr nach Deutschland kommen.

Professor Matthias Bäcker, der die Beschwerdeführer im Prozeß vertrat, entgegnete, bisherige Verfassungsurteile ließen offen, wie es um den Schutz von Ausländern im Ausland stehe. In seinen Augen läßt sich Artikel 10 des Grundgesetzes aber nicht auf Inländer beschränken: "Der BND muss dem deutschen Gesetz gehorchen." Auch Richter Johannes Masing wollte den Ausführungen Wielands nicht folgen: "Das nimmt den Grundrechten doch ihre Substanz, wenn man sich persönlich gar nicht auf sie berufen kann." Auch andere Richterinnen und Richter zeigten sich skeptisch: Die Präambel des Grundgesetzes definiere mitnichten das Territorialprinzip und auch das Völkerrecht fordere geradezu, daß für Ausländer im Ausland ein Rechtsschutz gelte.

Auch die Erklärungen des BND zu den Filterungsprinzipien bei der Überwachung des Datenverkehrs zur Auslandsaufklärung stießen auf Widerspruch. Das Bemühen, eine saubere Grenzziehung zwischen erlaubten und unerlaubten Datenzugriffen zu suggerieren, schien das Gericht nicht zu überzeugen. Nach dem novellierten Gesetz darf der BND Datenverkehre im Ausland, meist über befreundete Geheimdienste, überwachen. Auch der Datenverkehr, der über deutsche Telekommunikationsbetreiber im Inland läuft, wird herangezogen. Zur Datenreduktion dienen mehrere Filterstufen, so daß am Ende nur erlaubte Zugriffe erfolgen sollen. Dem widersprachen Experten auf Klägerseite, die auf diverse Ungereimtheiten, Auslassungen und Widersprüche in den diesbezüglichen Angaben des BND hinwiesen. [5]

Wie ernst das Gericht die Verfassungsbeschwerde nimmt, zeigt schon die zweitägige mündliche Verhandlung, wie sie selten und nur in besonders brisanten Fällen angesetzt wird. Kanzleramtsminister Braun beteuerte, in keinem anderen Staat sei der Schutz der Betroffenen so intensiv wie in Deutschland. Die Aufklärungsziele des BND würden "sehr präzise definiert", alle Erkenntnisse über Bundesbürger und EU-Bürger zuverlässig aussortiert, der Schutz des Kernbereichs der Privatsphäre sei ebenso garantiert wie der Schutz bestimmter, besonders sensibler Berufsgruppen, nämlich der Anwälte, Journalisten und Geistlichen. "Wir löschen täglich so viel, wie wir erheben," so Braun. Und BKA-Chef Kahl erweckte gar den Eindruck, er stehe einer Datenschutzbehörde vor. Das Gericht machte jedoch nicht den Eindruck, als sei es restlos von dieser Darstellung überzeugt.

Was das Verfahren so komplex macht, ist vordergründig die Frage, wie das Recht mit Globalisierung und Digitalisierung Schritt halten kann. Wie der Staat sind auch Verfassungen und Gerichte überwiegend national organisiert, während Konzerne und Finanzmärkte global operieren und das Netz weltumspannend in Echtzeit funktioniert. Globale Regeln fehlen weitgehend, weshalb die einen beklagen, daß die Rechtsstaatlichkeit bedauerlicherweise an der Grenze ende, während andere vor einem deutschen Grundrechtsimperialismus warnen. Daß sich diese Kontroverse zu einem unauflösbaren Gordischen Knoten zu verstricken droht, dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein, daß die Machtfrage systematisch ausgeblendet wird, als existierten Recht und Gerichtsbarkeit unabhängig von der Staatsgewalt. Die USA exerzieren auf Grundlage ihrer überlegenen Waffengewalt vor, worum es im Kern geht, wenn sie durchsetzen, daß ihre Streitkräfte und mitunter auch ihre Staatsbürger ebensowenig der Rechtsprechung in anderen Ländern wie internationalen Gerichten unterliegen. Sie behaupten nicht, über dem Gesetz zu stehen, aber daß ihr Gesetz über allem steht. Auch sind Internationale Gerichtshöfe auf bestimmte Zwecke oder Feindbilder jener Staaten zugeschnitten, die sie maßgeblich betreiben und finanzieren. Was der BND in dieser Gemengelage treibt, ist also nur bedingt eine verfassungsrechtliche Frage. Es hängt in erster Linie damit zusammen, wieviel Handlungsmacht man dem deutschen Staat nach innen und außen zubilligt.


Fußnoten:

[1] www.welt.de/politik/deutschland/article205048538/BND-im-Ausland-Deutschlands-Sicherheit-oder-die-Freiheit-von-Ueberwachung.html

[2] www.zeit.de/politik/deutschland/2020-01/bundesverfassungsgericht-bundesnachrichtendienst-ausland-informationen-urteil/seite-2

[3] www.sueddeutsche.de/politik/bundesnachrichtendienst-bnd-verfassungsgericht-1.4755918

[4] taz.de/Spionage-durch-Bundesnachrichtendienst/!5655429/

[5] www.heise.de/newsticker/meldung/Bundesverfassungsgericht-Auslandsueberwachung-des-BND-unter-der-Lupe-4637976.html

17. Januar 2020


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