Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR


REPRESSION/1632: US-Forderung kontrovers und verwickelt ... (SB)



Die Reaktion der Bundesregierung auf die Forderung des US-Präsidenten, ausländische Kämpfer des Islamischen Staates in ihren Herkunftsländern vor Gericht zu stellen, verhalten zu nennen wäre untertrieben. So macht Außenminister Heiko Maas für seine ablehnende Haltung technische Gründe geltend, müsse doch erst sichergestellt werden, "dass diese Menschen hier sofort auch einem Verfahren vor Gericht zugeführt werden, wenn sie auch in Untersuchungshaft kommen". [1] Seit wann steht die Verfolgung mutmaßlicher Straftäter durch die deutschen Staatsschutzbehörden vor Problemen, die angeblich kaum bewältigt werden können? So klappt die Zusammenarbeit mit ausländischen Polizeibehörden und Geheimdiensten in vergleichbaren Fällen hervorragend, wie die vielen Strafverfahren gegen AktivistInnen der türkischen und kurdischen Linken hierzulande belegen.

Das Vereinigungstrafrecht 129 b gibt den Behörden Mittel an die Hand, die kaum als rechtstaatlich zu bezeichnen sind. Die Anwendung dieses Paragraphen des politischen Strafrechts steht unter Vorbehalt des Außenministeriums, das nach bündnispolitischer Opportunität über eine mögliche Anklageerhebung entscheidet. Hinzu kommt, daß in diesen Fällen häufig Informationen von Repressionsorganen zur Anwendung gelangen, die politisch motivierten Weisungen der für sie zuständigen Regierungen unterliegen. Doch auch in Deutschland werden Menschen zu Haftstrafen verurteilt, für deren rechtliche Begründung die bloße Assoziation mit verbotenen politischen Organisationen ausreicht. Ob die jeweiligen Angeklagten sich persönlich etwa durch die Anwendung von Gewalt strafbar gemacht haben oder nicht ist unerheblich. Es reicht die Zugehörigkeit zu einer im Ausland verbotenen Organisation oder Partei aus, zu deren Nachweis auch Informationen staatlicher Behörden genutzt werden, die der Weisungsbefugnis despotischer bis diktatorischer Regierungen unterliegen.

Wer mit solchen Möglichkeiten exekutiver Ermächtigung ausgestattet ist, erscheint beim Verweis auf verfahrenstechnische Hindernisse, die einer Strafverfolgung politisch motivierter Personen im Wege ständen, die wie Söldner von der Bundesrepublik aus in ein Kriegsgebiet gereist sind, um in den Reihen einer als terroristisch eingestuften Armee zu kämpfen, wenig glaubwürdig. Das um so mehr, als das Interesse der Bundesregierung vorausgesetzt wird, nicht nur den IS in Syrien zu besiegen, sondern auch dessen Anhänger in Deutschland als Sicherheitsrisiko aus dem Verkehr zu ziehen. Ihrer auf diese Weise habhaft zu werden stellt zweifellos eine geringere Gefahr dar, als es den besiegten IS-Kämpfern zu überlassen, auf diese oder jene Weise eigenständig in die Bundesrepublik zurückzukehren.

Da es sich bei den IS-Kämpfern und ihren Familien um deutsche StaatsbürgerInnen handelt, ist die Zuständigkeit deutscher Justizbehörden weit mehr gegeben als die der Strafverfolgungsbehörden irgendeines anderen Staates. Zugleich könnte geltend gemacht werden, daß die Bundesrepublik dazu verpflichtet ist, das Leben ihrer StaatsbürgerInnen zu schützen, wenn sie in einem Kriegsgebiet zum Beispiel dadurch bedroht sein könnten, bei einem Angriff der Türkei auf das Territorium der Demokratischen Föderation Nordsyrien zwischen die Fronten zu geraten.

Woher also das Zögern im Falle der IS-Kämpfer, wenn die Bundesregierung ansonsten linke AktivistInnen nichtdeutscher Herkunft mit internationalen Haftbefehlen verfolgt, um ihnen in Deutschland den Prozeß zu machen, obwohl deren politische Arbeit stets den Zuständen in ihrem Herkunftsland gewidmet war? Zum einen liegt nahe, daß Strafverfahren gegen Dutzende von IS-Kämpfern in der Bundesrepublik auch Fragen zur Verwicklung deutscher Behörden und Dienste in den Syrienkrieg aufwürfen. So ist nicht auszuschließen, daß diese Personen über Informationen verfügen, die die Einmischung von NATO-Staaten im allgemeinen und Deutschlands im besonderen in die dortige Kriegführung belegten. Zum andern liegt nahe, daß die auf die enge Partnerschaft mit der Türkei und eine gute Zusammenarbeit mit dem AKP-Regime festgelegte Bundesregierung auf keinen Fall mit den Syrischen Demokratischen Streitkräfte (SDF) oder der Demokratischen Föderation Nordsyrien zusammenarbeiten möchte. Wie wichtig der Bundesregierung diese Zusammenarbeit ist, zeigen auch die vielen Fälle, in denen deutsche StaatsbürgerInnen in der Türkei in die Fänge einer politischen Strafjustiz geraten, deren Willkürcharakter die Haltbarkeit des deutsch-türkischen Bündnisses eher unterstreicht als in Frage stellt.

Gerade weil die Zusammenarbeit im Falle türkischer Polizeibehörden und Geheimdienste völlig unbeeinträchtigt davon funktioniert, daß diese mit harscher Willkür gegen die linke und kurdische Opposition im Lande vorgehen, darf eine entsprechende Kooperation mit den erklärten Feinden Erdogans nicht zustandekommen. Sollten Strafverfahren gegen die deutschen IS-Kämpfer eingeleitet werden, dann müßten die Behörden in Nordsyrien darum gebeten werden, den deutschen Gerichten ihre Erkenntnisse über die von ihnen gefangengenommenen IS-Kämpfer zur Verfügung zu stellen. Dies wiederum käme einer Quasianerkennung der Demokratischen Föderation Nordsyrien gleich, und da sei Erdogan vor.

Ehe die Bundesregierung eine Bevölkerung unterstützte, die versucht, in einer Lücke zwischen diversen Großmachtinteressen zu überleben und dabei ein für die Verhältnisse in der Region überaus fortschrittliches Gesellschaftsmodell zu entwickeln, schaut sie - wie im Falle Afrins - lieber dabei zu, wie die von allen Seiten und dabei auch von deutschen IS-Kämpfern bedrohten Menschen angegriffen, vertrieben und umgebracht werden. Für die geostrategische Ratio deutscher Hegemonialpolitik sind die um regionale Autonomie innerhalb Syriens kämpfenden KurdInnen ein weit größeres Übel als die deutschen IS-Kämpfer, die von diesen gefangengenommen wurden. Nach welchen Paragraphen die deutschen Dschihadisten sich schuldig gemacht hätten oder nicht, bleibt unerheblich. Es besteht kein Interesse, ihrer habhaft zu werden und womöglich zu erkennen, es mit Überzeugungstätern zu tun zu haben, die als Fußtruppen für die Türkei oder andere NATO-Staaten in Syrien ganz im Sinne dieser äußeren Akteure eingesetzt wurden.


Fußnote:

[1] https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-02/syrien-heiko-maas-donald-trump-is-kaempfer

18. Februar 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang