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REPRESSION/1592: Polizeigesetze - Gelegenheit schafft Rechte ab ... (SB)



Die Rede ist von den schärfsten Polizeigesetzen seit 1945. In dieser Warnung klingt der begründete Verdacht an, daß die mit der Verfassung der Bundesrepublik assoziierte Garantie unantastbarer Grundrechte ausgehebelt und repressive Staatlichkeit auf breiter Front durchgesetzt wird. Sozialstaat und Bürgerrechte waren stets nur ein Lehen, das in fetten Jahren gewährt, doch in mageren um so nachhaltiger entzogen wird. Wie der massive Ausbau restriktiver Instrumente administrativer, juristischer, polizeilicher und militärischer Art zeigt, überläßt man staatlicherseits nichts dem Zufall und rüstet präventiv für die kommende Revolte auf. Der Abbau der Grundrechte wurde seit 2001 im Rahmen der internationalen Kampagne des Kampfs gegen den Terror massiv beschleunigt, brutaler Sozialkahlschlag und zunehmende Kriegseinsätze gingen Hand in Hand.

Nach den Repressionen gegen Flüchtlinge und Migrantenorganisationen zeugten Gesetzesänderungen wie die Paragraphen 113 und 114 StGB (Angriff auf Polizisten), die Massenüberwachung sozialer Medien, die Einschränkung des Streikrechts ("Tarifeinheit") und die Grundrechtsverletzungen beim G20-Gipfel in Hamburg, daß den sozialen Bewegungen und der gesamten Bevölkerung der Bundesrepublik grundlegende demokratische Rechte genommen werden. Zur Begründung wird immer wieder die Terrorbekämpfung genannt und sogenannte Randgruppen aller Art werden instrumentalisiert, um Verschärfungen durchzusetzen. Repressive Maßnahmen beziehen sich zunächst auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen, werden dann aber Zug um Zug ausgeweitet.

Der damalige Bundesinnenminister De Maizière forderte im Dezember 2017 eine weitere Zentralisierung der Sicherheitsbehörden: Aufhebung des föderalen Prinzips, Zusammenfassung von Verfassungsschutzbehörden, Zusammenarbeit von Geheimdiensten und Polizeien. Das setzte sich in Form von sogenannten Antiterrorgesetzen durch. Wer ein Gefährder ist, entscheidet nicht ein Gericht, sondern die Polizei. Die Unschuldsvermutung wird außer Kraft gesetzt. Polizei und BKA werden in allen Bereichen aufgestockt, es wird ein Regime installiert, das den permanenten Notstand übt und praktiziert.

Das von der Großen Koalition in der vergangenen Legislaturperiode verabschiedete BKA-Gesetz dient als Vorlage für entsprechende Gesetze auf Landesebene, die vielfach wortgleich gehalten sind. Den Anfang unter den Bundesländern machte Baden-Württemberg, wo der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann bereits im Januar 2017 angekündigt hatte, man werde mit dem neuen Polizeigesetz "an die Grenzen des verfassungsrechtlich Möglichen" gehen. Durch das am 15. November 2017 im Landtag verabschiedete Gesetzespaket wurden dann die Grenzen des Grundgesetzes tatsächlich ausgereizt, wenn nicht gar überschritten. Fälschlicherweise als "Anti-Terror-Gesetz" bezeichnet, sieht es zahlreiche datenschutzrechtlich bedenkliche Neuerungen und eine weitere militärische Aufrüstung der Polizei vor, die auf den Ausbau des Überwachungs- und Polizeistaates abzielen.

Polizei und Landesverfassungsschutz können künftig Chats auch auf verschlüsselten Messenger-Diensten wie WhatsApp, Telegram oder Signal präventiv mitlesen, wofür bereits der Verdacht auf schwere Kriminalität ausreicht. So können auch unbescholtene Bürgerinnen und Bürger allein aufgrund des Verdachts einer ermittelnden Behörde überwacht werden. Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns wie die Unschuldsvermutung oder das Fernmeldegeheimnis werden über Bord geworfen. Die Ausforschung von Chats soll durch sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ), also noch vor der Verschlüsselung durch den Einsatz eines "Staatstrojaners" erfolgen, der den Betroffenen ohne ihr Wissen auf das Gerät gespielt wird. Dafür sind Sicherheitslücken erforderlich, die von den Behörden geheimgehalten und auch von anderen Akteuren genutzt werden können.

Daß nach den Geheimdiensten und militärischen Cyber-Kommandos nun auch die deutsche Polizei so vorgeht, belegt deren Aufwertung und Aufrüstung im Kontext der inneren Sicherheit. Von solchen Angriffen betroffen sind nicht nur Smartphones, Computer und Tablets, sondern auch andere internetfähige Geräte wie etwa Heizungs- und Lichtanlagen, Smart TVs oder Smart Cars. Wenngleich dies im neuen Polizeigesetz nicht vorgesehen ist, bleibt das Einfallstor offen. Zudem lehrt die Erfahrung, daß vorhandene technischen Möglichkeiten früher oder später auch genutzt werden, wenn sie erst einmal in bestimmten Bereichen legalisiert worden sind.

Im Sinne einer fortschreitenden Militarisierung der Polizei dürfen deren Spezialeinsatzkommandos (SEK) unter bestimmten Umständen Explosivmittel wie Handgranaten, Sprenggeschoße und konventionelle Sprengmittel auch gegen Personen einsetzen. Damit ähneln die SEK in wachsendem Maße militärischen Spezialkommandos, so daß nicht nur der Einsatz der Bundeswehr im Inneren ausgeweitet wird, sondern auch auf seiten der Polizeien die Annäherung rapide voranschreitet.

Die Polizei erhält darüber hinaus die Möglichkeit, Kameraaufnahmen im öffentlichen Raum automatisch auszuwerten. In Echtzeit können durch diese sogenannte intelligente Videoüberwachung Verhaltensmuster erkannt werden, die "auf die Begehung einer Straftat hindeuten". Die Definition dessen, was als verdächtig oder kriminell wahrgenommen wird, bleibt im Gesetz ungeklärt und damit zumindest teilweise den Entwicklern, Herstellern und Betreibern der Technik überlassen. Die beobachteten Menschen werden unter Druck gesetzt, sich möglichst unauffällig und angepaßt zu verhalten. Auch droht zwangsläufig eine Diskriminierung auf Grund von Kriterien wie Hautfarbe, Geschlecht oder Alter. Zudem kommt es auf diesem Gebiet zu einem wechselseitigen Übertrag zwischen ziviler und militärischer Erforschung und Anwendung der Überwachungstechnologien.

Das neue Polizeigesetz legalisiert zudem massive Eingriffe in die Privatsphäre: Sogenannte Gefährder können mit Aufenthalts- und Kontaktverboten für bestimmte Orte und Personen belegt, explizit auch unter Hausarrest gestellt und zum Anlegen einer elektronischen Fußfessel gezwungen werden. Ferner kann das Mitführen alkoholischer Getränke auf bestimmten öffentlichen Plätzen zeitlich begrenzt verboten werden. Die Bevölkerung wird unter Generalverdacht gestellt und überwacht, unerwünschte Personen werden aus dem öffentlichen Raum verbannt, die Befugnisse der Polizei in verfassungswidriger Weise erweitert, während man den Bürgerinnen und Bürgern zugleich ein trügerisches Gefühl vermeintlicher Sicherheit vermittelt. [1]

Das Gesetzespaket wurde von der grün-schwarzen Regierung erarbeitet und mit minimalen Nachbesserungen auch von der oppositionellen SPD mitgetragen. "Ende gut, alles gut", freute sich Innenminister Thomas Strobl (CDU) nach der Abstimmung. Es sei ein guter Tag für Baden-Württemberg, das nun eines der besten, effektivsten und modernsten Sicherheitsgesetze der gesamten Republik habe. Der Innenpolitiker Hans-Ulrich Sckerl (Grüne) sprach von einer gelungenen "Balance zwischen Freiheit und Sicherheit", wobei sein Geheimnis blieb, worin er den freiheitlichen Teil des Gesetzes zu erkennen glaubt. Hingegen attestierte der Landesdatenschutzbeauftragte dem Gesetz, daß es zu einer "realen Einbuße an Freiheit" führe und möglicherweise in weiten Teilen verfassungswidrig sei. [2]

Auf dem Fuße folgen die Bundesländer Bayern, Bremen und Nordrhein-Westfalen, die ebenfalls ihre Polizeigesetze novellieren wollen. Den repressiven Vogel schießt Bayern ab, wo im Mai das bundesweit schärfste Polizeiaufgabengesetz beschlossen werden soll. Schon im Sommer 2017 verabschiedete der Landtag die umstrittene Neuerung der Unendlichkeitshaft: Unter Anwendung des neu eingeführten schwammigen Rechtsbegriffs der "drohenden Gefahr" dürfen seither potentielle Gefährder unbefristet weggesperrt werden. Erleichtert werden soll zudem wie in Baden-Württemberg die Überwachung von Telefonen und sozialen Netzwerken wie auch das Öffnen von Briefen und die intelligente Videoüberwachung des öffentlichen Raums. Geplant ist zudem der Einsatz von möglicherweise sogar bewaffneten Drohnen, die Verwendung von Handgranaten und anderen Explosivstoffen, Elektroschockern und die Mutzung von DNA-Spuren zur Fahndung. Ausgeweitet wird der Einsatz verdeckter Ermittler, und alle relevanten Erkenntnisse sollen mit dem Geheimdienst ausgetauscht werden. [3]

Der Begriff der "drohenden Gefahr" wurde vom Bundesverfassungsgericht im Kontext des BKA-Gesetzes eingeführt, woraus die Verfechter des neuen Gesetzes in Bayern ableiten, es bewege sich "im Grunde auf verfassungsrechtlich sicherem Boden". Während das BVerfG es für sinnvoll erachtet, bei Terrorgefahr präventiv tätig zu werden, geht Bayern darüber hinaus und will dies auch dann zulassen, wenn ein bedeutendes Rechtsgut in Gefahr ist. Dazu gehören Leben, Gesundheit und Freiheit, aber auch die Infrastruktur, deren Erhalt im besonderen öffentlichen Interesse ist. Daran läßt sich unschwer ablesen, daß letztlich jede Form des Protests oder unbotmäßigen Verhaltens zum Anlaß einer polizeilichen Intervention ohne konkreten Verdacht werden kann.

"Sicherheit durch Stärke" heißt das Programm, in dessen Rahmen die CSU seit zwei Jahren den Ausbau der Polizei vorantreibt, wozu auch 2.000 neu geschaffene Polizeistellen gehören. Zur guten Ausstattung der Polizei bekennen sich dort alle Parteien, da jede anderslautende Erklärung in diesen verunsicherten Zeiten mit entzogenen Wählerstimmen bestraft zu werden droht. Davon abgesehen profilieren sich die Grünen aus der Opposition heraus als Kritiker des Polizeiaufgabengesetzes, das jedoch angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Landtag zumindest auf parlamentarischer Ebene kaum noch verhindert werden kann. Längst steht die Forderung im Raum, daß alle Bundesländer die Kompetenzen der Polizei erweitern müßten und das bayerische Vorbild Eingang in das sogenannte Musterpolizeigesetz haben sollte, das die Innenministerkonferenz als künftige Vorlage für die Bundesländer erarbeitet. Wenngleich die Polizei verfassungsrechtlich Sache der Bundesländer ist, soll nach dem Willen der Innenminister und auch der neuen Bundesregierung eine einheitlichere Sicherheitsstruktur geschaffen werden. [4]

Daß diese zwangsläufig Erinnerungen an das bislang düsterste Kapitel deutscher Geschichte vor 1945 weckt, welches durch das Grundgesetz unter Verschluß gehalten werden sollte, liegt auf der Hand. Aus der Geschichte zu lernen kann sich freilich nicht auf die Retrospektive beschränken, liefe man dabei doch unvermeidlich Gefahr, die innovative Gewalt präventiver Sicherung der Herrschaftsverhältnisse außer Acht zu lassen, in deren Kontext die Ermächtigung der Polizeien zu einem zentralen Instrument ausgebaut wird.


Fußnoten:

[1] kommunalinfo-mannheim.com/2018/02/07/neues-polizeigesetz-in-baden-wuerttemberg-militarisierung-der-polizei-und-schwere-eingriffe-in-grundrechte/

[2] www.swr.de/swraktuell/bw/anti-terror-paket-im-landtag-stuttgart/-/id=1622/did=20627736/nid=1622/rysmn9/index.html

[3] www.sueddeutsche.de/bayern/kriminalitaet-bayern-will-die-befugnisse-der-polizei-massiv-ausweiten-1.3912091

[4] www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-03/polizeigesetz-bayern-csu-sicherheit-ueberwachung-gewaltenteilung/seite-2

13. April 2018


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