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REPRESSION/1565: Deutschland dienen - politische Gefangene machen ... (SB)



Offenkundiger denn je öffnet sich die Kluft zwischen politisch motivierter Repression und opportunem Regierungshandeln. Dem vielzitierten Rechtsstaat scheint das Herstellen von Widerspruchsfreiheit zwischen ideologischem Anspruch und exekutiver Praxis zusehends gleichgültig zu sein. Die Anwendung des politischen Strafrechtes nach Paragraph 129 b auf linke Aktivistinnen und Aktivisten, die zugleich als politische Opposition in der Türkei schwere Nachstellungen zu erleiden haben, macht die Bundesrepublik als Sachwalterin einer politischen Willkür kenntlich, die um so weniger unter Verweis auf Demokratie und Menschenrechte als Vergehen der AKP-Regierung in Ankara beklagt werden muß.

Mindestens drei Dutzend migrantische Linke stehen in der Bundesrepublik vor Gericht oder sitzen im Knast, weil sie in der Türkei gegen die zusehends diktatorischen Anmaßungen der Regierung Präsident Erdogans vorgehen. Die Zusammenarbeit zwischen deutschen und türkischen Geheimdiensten, aus der gerichtsrelevantes Belastungsmaterial gegen in Deutschland angeklagte Aktivistinnen und Aktivisten hervorgeht, funktioniert ebenso reibungslos wie die Lieferung von Rüstungsgütern deutscher Konzerne an eine Regierung, die diese gegen die kurdische Minderheit im eigenen Land wie gegen die kurdische Befreiungsbewegung in Nordsyrien und im Nordirak einsetzt. Geht es nach der deutschen Staatsräson, dann werden Menschen, die hierzulande Schutz vor politischer Verfolgung suchen, eben dieser in Stellvertretung jener Regierungen, die ihrer nicht habhaft werden können, ausgesetzt.

Die Staatsräson anderer Regierungen zur eigenen zu machen und so den hegemonialen Anspruch Deutschlands zu untermauern ist der politische Grundtenor einer juristischen Verfolgungspraxis, deren Opfer sich keine individuelle Straftat zuschulden kommen lassen müssen, um dennoch für mehrere Jahre in den Knast zu kommen. Die Organisation einer Protestkundgebung, das Verteilen von Zeitungen, der Auftritt einer politischen Musikgruppe - derartige Aktivitäten reichen aus, um Migrantinnen und Migranten insbesondere aus der Türkei hierzulande auf Jahre unter der verschärften Bedingung der Isolationshaft wegzusperren. Dies als politisch motivierte Strafverfolgung zu bezeichnen entspringt keiner ideologischen Sichtweise oder auch nur der generellen Bewertung des Paragraphen 129 a und b als einer Form des Gesinnungsstrafrechts, das Menschen aufgrund der unterstellten Assoziation zu einer als terroristisch inkriminierten Organisation mit dem Vorwurf belegt, eine schwerwiegende Straftat begangen zu haben.

Nein, für diese Kategorisierung sorgt schon der gesetzlich verankerte Vorbehalt der Bundesregierung, die Kriminalisierung von Oppositionellen anderer Staaten auch ohne Inlandsbezug von einer Verfolgungsermächtigung durch das Bundesjustizministerium abhängig zu machen. Ob es sich bei islamistischen Gruppen in Syrien um angeblich moderate Kräfte handelt, die im Krieg gegen die Regierung Assad zu unterstützen politisch integer sei und die daher auch in der Bundesrepublik frei von aller strafrechtlichen Verfolgung zu bleiben haben, ob Mitglieder einer kommunistischen Partei, die zwar in der Türkei, aber nicht in der Bundesrepublik verboten ist, unter Terrorismusverdacht gestellt werden, weil sie gegen das Regime Erdogans arbeiten, sind Entscheidungen, die nach dem Opportunitätsprinzip, also praktisch prinzipienfrei, gefällt werden.

Die Bundesrepublik macht Menschen aus politischen Gründen zu Gefangenen, das gilt auch für anarchistische oder radikalökologische Aktivistinnen und Aktivisten. Wo die Interessen von Staat und Kapital derart eng verflochten sind wie hierzulande, gilt gleiches Recht für alle immer auch dann, wenn mit dem formalrechtlichen Anspruch auf Gleichstellung nach dem Grundsatz verfahren wird, daß alle Menschen das gleiche Recht haben, unter Brücken zu schlafen. Das Problem materieller Ungleichheit ist für die Rechtsprechung so irrelevant, wie die Unantastbarkeit des Eigentums an Produktionsmitteln, selbst wenn sie für die Befriedigung von Grundbedürfnissen der Bevölkerung unentbehrlich sind, ihr heilig ist. So müssen sich politisch verfolgte Menschen den Urteilen eines Rechtsstaates beugen, der wie alle Staaten Interessen hat und dessen Justiz nur so unabhängig davon sein kann, wie es die Gesetze vorsehen, nach deren Maßgabe sie handelt und wie es ihr nach politischen Kriterien bestimmtes Personal für staatstragend und richtig hält.

Im freischwebenden Geist souveräner Monopolgewalt schlägt der deutsche Sicherheits- und Militärstaat gleich drei Fliegen mit einer Klappe: Das Erwirtschaften maximaler Handlungsfreiheit durch keiner rechtlichen Kohärenz und historischen Lektion verpflichtetes Durchregieren nach Gutsfrauenart - Wir. Dienen. Deutschland. -, das Sichern der Klassenherrschaft im allgemeinen wie der angeschlagenen Beziehungen zwischen Berlin und Ankara im besonderen - Wir. Machen. Politische. Gefangene.

Am 18. März, dem Tag der Politischen Gefangenen [1], schweigen bürgerliche Medien sich weitreichend darüber aus, daß auch hierzulande Menschen wegen ihrer politischen Überzeugung hinter Gitter kommen. Da kann noch so laut über Fake News lamentiert und journalistische Sorgfaltspflicht gefordert werden - geht es ans Eingemachte elementarer Gewaltverhältnisse, dann sind die Gefangenen ziemlich allein damit, für ihre kämpferischen und revolutionären Ziele auch zum Preis ihrer Freiheit einzustehen.

Wer rüde aus dem Traum erweckt wird, in der Bundesrepublik könne sich der Mensch frei fühlen, seine Meinung zu bekunden, so lange er nicht zur Gewalt aufruft, könnte mehr verlieren als seinen Glauben an den Frieden der Supermärkte und Einkaufspassagen, der Autobahnen und Flughäfen. Die Warenwelt am Ende einer Verwertungskette, die zu großen Teilen durch von Krieg und Zerstörung gezeichnete Landschaften verläuft, wird das Blut an ihren Produkten nicht los, das diesen von Anfang an anhaftet. Die Avantgarde politischen Fortschrittes hatte schon immer im Vorwege zu erleiden, was sich gegen all diejenigen zu richten droht, die eines Tages erkennen könnten, daß die menschenrechtliche, konstitutionelle und rechtsstaatliche Integrität der kapitalistischen Marktwirtschaft zwar dem schönen Schein adäquat ist, den ihre Produktivkräfte zu entfachen verstehen, aber keiner realitätstauglichen Belastung standhält.


Fußnote:

[1] http://www.18maerz.de/web/images/Beilage-18-3-17.pdf

17. März 2017


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