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REPRESSION/1544: Flüchtlingspolitik - ein weiterer Meister aus Deutschland (SB)



Die Europäische Union hat unter deutscher Federführung den Flüchtlingen de facto den Krieg erklärt, der mit militärischen, polizeilichen und administrativen Mitteln ausgetragen wird. Deutschland, das in Europa die mit Abstand meisten Flüchtlinge aufgenommen hat, treibt zugleich das Regime gestaffelter Abschottung, Abschiebung und vorgelagerter Abwehr am nachhaltigsten voran.

Die systematische Abriegelung der europäischen Außengrenzen im vergangenen Jahr hat zu einem in seinen Ausmaßen beispiellosen Massensterben im Mittelmeer geführt. Nach offiziellen Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) sind 2016 mehr als 5000 Menschen beim Versuch ertrunken, Europa auf diesem Seeweg zu erreichen. Da die Statistiken nur die offiziell registrierten Todesopfer wiedergeben, auf manchen Routen keine verläßlichen Daten vorliegen und viele Bootsunglücke überhaupt nicht entdeckt werden, dürfte die tatsächliche Zahl noch weit höher liegen.

Obgleich sich nur ein Bruchteil der weltweit 60 Millionen Flüchtlinge auf den Weg nach Europa gemacht hatte, ereigneten sich hier zwei Drittel der weltweit 7.400 bekannten Todesfälle. Hinzu kommen 1440 Flüchtlinge, die auf anderen Fluchtrouten wie Westafrika, der Sahara, am Horn von Afrika, im Nahen Osten und in der Türkei ums Leben kamen. Und obwohl die Zahl der über das Mittelmeer nach Europa gelangten Flüchtlinge um nahezu zwei Drittel gesunken ist - von über einer Million im Jahr 2015 auf 358.000 in diesem Jahr - sind die Opferzahlen im Mittelmeer von rund 3000 (2014) und 3777 (2015) dramatisch gestiegen.

Im März hat die Bundeskanzlerin das Flüchtlingsabkommen mit der türkischen Regierung ausgehandelt, die daraufhin Mauern und Zäune an der Grenze zu Syrien errichten und die Grenzübergänge abriegeln ließ. Seither haben türkische Grenzpolizisten und Soldaten Dutzende Flüchtlinge erschossen und viele weitere mißhandelt oder abgeschoben. Die Abriegelung der Balkanroute und der Ägäis hat die Flüchtenden auf die wesentlich gefährlicheren Routen über Ägypten oder Libyen nach Italien abgedrängt. Der durch die NATO erzwungene Regimewechsel in Libyen hat das Land ins Chaos gestürzt, so daß die Flüchtlinge dort nur Gewalt und Mißhandlung erleben. Dies treibt sie mehr denn je in die Hände skrupelloser Schleuser, die sie zwingen, seeuntüchtige Boote zu besteigen.

Ausbau und Aufrüstung der Grenzschutzagentur Frontex zur Europäischen Agentur für Grenzschutz und Küstenwache haben dazu geführt, daß auf dem Mittelmeer Dutzende Kriegsschiffe patrouillieren, deren Aufgabe insbesondere die Zerstörung von Flüchtlingsbooten ist. Die CSU hat einen Vorstoß von Innenminister de Maizière aufgegriffen und fordert, Flüchtlinge, die aus Seenot gerettet werden, direkt wieder nach Afrika abzuschieben, obwohl das ein eklatanter Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention ist. In Italien leben derzeit rund 120.000 Menschen in Internierungslagern, in Griechenland 60.000 ebenfalls unter katastrophalen Bedingungen, die durch den Wintereinbruch noch verschärft werden. Flüchtlinge müssen in diesen Lagern monatelang ausharren und haben oftmals keine Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen.

Die von der Bundesregierung geschlossenen "Migrationspartnerschaften" sollen nach offizieller Lesart die Fluchtursachen bekämpfen. Dabei geht es jedoch nicht etwa darum, die ökonomische und militärische Kriegführung europäischer Staaten und der EU in diesen Ländern zu beenden und die Lebensverhältnisse nachhaltig zu verbessern, sondern darum, Menschen gewaltsam an der Flucht zu hindern und massenhaft zu deportieren. So werden autoritäre Machthaber in Afrika finanziell erpreßt, indem die Zahlung von Entwicklungshilfe an die Rücknahme von abgeschobenen Flüchtlingen und die Schließung der Grenzen gekoppelt wird. Zudem sollen nach den Plänen der Bundesregierung mit den repressiven Regimen in Ägypten und Tunesien ähnliche Abkommen wie mit der Türkei geschlossen und die Flüchtlinge in nordafrikanischen Lagern interniert werden. [1]

Während das Auswärtige Amt auf seiner Website dringend vor Reisen nach Afghanistan warnt, da dort mit einer Gefährdung durch terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte zu rechnen sei, werden abgelehnte Asylbewerber zur Rückkehr in das Kriegsgebiet gezwungen. Ungeachtet aller Proteste nach der ersten Sammelabschiebung 34 afghanischer Flüchtlinge nach Kabul am 14. Dezember soll Medienberichten zufolge noch im Januar der zweite derartige Transport stattfinden. Das Bundesinnenministerium bestätigte lediglich, daß in diesem Monat eine weitere Rückführung geplant sei.

In Hamburg und Nordrhein-Westfalen kritisieren die Landesverbände der Grünen diese Abschiebepolitik, wobei in NRW sogar Monika Düker von ihrem Amt als flüchtlingspolitische Sprecherin zurücktrat. In beiden Fällen wollen jedoch die sozialdemokratischen Innenminister trotz des Protests ihrer Koalitionspartner an dieser Praxis festhalten. Auf einen Bruch der Koalition lassen es die Grünen in beiden Bundesländern offenbar nicht ankommen. Im grün-schwarz regierten Baden-Württemberg, das sich an der Massenabschiebung Mitte Dezember beteiligt hatte, bekräftigte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), er halte im Prinzip Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber auch nach Afghanistan für geboten. [2]

Im vergangenen Jahr wurden rund 25.000 Flüchtlinge aus Deutschland abgeschoben. Dabei wurden immer wieder Familien auseinandergerissen, selbst Kinder trotz schwerer Krankheiten in ihre vom Krieg verwüsteten Heimatländer zurückgeschickt. Noch weitaus höher ist die Zahl der sogenannten "freiwilligen Rückkehrer", die 2016 rund 55.000 betrug. Bei diesem Verfahren wird abgelehnten Asylbewerbern das Ultimatum gestellt, entweder das Land mit einer geringfügigen Unterstützung selbst zu verlassen oder bei zwangsweiser Abschiebung die Kosten oftmals selber tragen zu müssen und ein Einreiseverbot zu bekommen. Mitunter wird auch ein Teil der Familie abgeschoben, so daß die übrigen Familienmitglieder folgen. Von der unterstellten Freiwilligkeit kann also keine Rede sein.

Eine weitere Maßnahme, Flüchtlingen das Leben in Deutschland schwerzumachen, ist die Beschlagnahmung ihrer Vermögenswerte gleich bei der Ankunft. So sollen in den letzten beiden Jahren in 1489 Fällen Vermögenswerte von insgesamt mindestens 863.000 Euro eingezogen worden sein. Nach § 7a des Asylbewerberleistungsgesetzes kann "von Leistungsberechtigten [...] wegen der ihnen und ihren Familienangehörigen zu gewährenden Leistungen nach diesem Gesetz Sicherheit verlangt werden". Davon machen die Bundesländer unterschiedlichen Gebrauch. Während einige ganz darauf verzichten, stechen andere wie das von CDU und SPD regierte Sachsen, das entsprechend der Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel nur rund 5 Prozent der Asylbewerber aufgenommen hat, mit 411 Fällen und 328.432 Euro an beschlagnahmten Geldern hervor. Ausgenommen bleibt dabei jeweils ein Freibetrag von 200 Euro, Bayern und Baden-Württemberg lassen mit 750 beziehungsweise 335 Euro einen höheren Freibetrag zu. Der sächsische Flüchtlingsrat berichtete indessen von mindestens vier Fällen, in denen die Betroffenen nur einen minimalen Betrag von 50 Euro behalten durften.

In Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein werden Asylbewerber sogar durchsucht, sofern der Verdacht besteht, daß sie nicht angegebene Vermögenswerte mit sich führen. Außer Bargeld werden in Rheinland-Pfalz und Mittelfranken auch Autos einkassiert, die die Flüchtlinge erst beim Verlassen des Landes wiederbekommen. Bremen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen verzichten zwar auf den Einzug von Vermögen, stellen jedoch Unterkunft und Verpflegung in Rechnung oder zahlen geringere Leistungen aus. [3]

Die Bundeskanzlerin mußte sich nach ihrem "Wir schaffen das!" und der befristeten Öffnung der Grenze harsche Kritik gefallen lassen, und Deutschland hat europaweit die meisten Flüchtlinge aufgenommen. Hierzulande gibt es keine riesigen Internierungslager mit Zehntausenden Menschen, geschweige denn zeitweise geduldete wilde Flüchtlingslager wie die inzwischen geräumte "Hölle von Calais". Die deutsche Handhabung der sogenannten Flüchtlingskrise ist subtiler, strategischer und in der Konsequenz wirkmächtiger als brachialer anmutende Praktiken in anderen europäischen Ländern. Deutsche Vorherrschaft in Europa, Finanzstärke und administrative Effizienz entfalten eine unabweisliche Wucht, Probleme umzulasten und auszulagern, Flüchtlinge weit im Vorfeld zurückzuschlagen und hierzulande durch behördliche Mühlen zu quetschen. Die Grausamkeit hat viele Gesichter, und wie die Geschichte lehrt, gehen die Deutschen auch dieses Handwerk mit kaum zu überbietender Gründlichkeit an.


Fußnoten:

[1] https://www.wsws.org/de/articles/2016/12/31/flue-d31.html

[2] https://www.jungewelt.de/2017/01-03/018.php

[3] https://www.wsws.org/de/articles/2017/01/03/flue-j03.html

3. Januar 2017


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