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REPRESSION/1525: Kein Handlungsbedarf nach Anschlag in München (SB)



Am 27. Juli meldete die FAZ unter Berufung auf Sicherheitskreise: "Amokläufer von München war Rechtsextremist" [1]. Noch Tage später wußte das Portal Kopp Online in der Sparte "Aktuelle Weltnachrichten" vom "Dschihad in München, Ansbach, Würzburg, Reutlingen ..." [2] zu berichten. Auch andere Pressepublikationen hielten sich mit der Aufklärung darüber, daß es sich bei dem Attentäter von München um einen ausgemachten Bewunderer des norwegischen Massenmörders Anders Behring Breivik gehandelt haben soll, daß er seine Tat am fünften Jahrestag des Massakers auf der norwegischen Insel Utoya beging, daß er sich als Arier verstanden haben soll, der Türken und Araber haßte, und es sich bei seinen Opfern um Migrantinnen und Migranten handelte, auffällig zurück.

Schon weil am 22. Juli, dem Tag des Attentats, die Mutmaßungen über einen islamistischen Hintergrund des Täters ins Kraut schossen, wäre eine dementsprechende Richtigstellung vonnöten gewesen. Zwar schloß die Münchner Polizei schon bald einen islamistischen Hintergrund aus, und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann bestätigte die Hinweise, daß der Täter Sympathien für Breivik hegte und es für ein "besonders positives Schicksal" hielt, am selben Tag wie Hitler Geburtstag zu haben. Dennoch bleibt seine Motivation "der Polizei ein Rätsel" [3], wie die SZ am 2. August berichtete. Statt dessen wird seine mörderische Aggression als Folge erlittener Demütigungen in der Schule gedeutet und die Herkunft der Opfer für Zufall gehalten.

Dies ist auch hinsichtlich der vorherrschenden Lesart zum Thema Radikalisierung jugendlicher Einzeltäter nicht eben konsequent. So wird im Bereich islamistisch motivierter Taten längst von individuell agierenden Terroristen ausgegangen, die keinesfalls in Kontakt zu einer entsprechenden Organisation wie dem IS gestanden haben müssen, um ihre Anschläge zu begehen. Man bemüht in diesen Fällen auch weniger entwicklungspsychologische Probleme, sondern nimmt den ideologischen Charakter ihrer Taten für bare Münze. Dementsprechend wurde 2009 mit Paragraph 89a StGB eine vermeintliche Strafbarkeitslücke geschlossen [4], läßt sich das mit Pauschalverdächtigungen arbeitende Vereinigungsstrafrecht nach Paragraph 129a und b doch nicht auf Einzeltäter anwenden, weshalb seitdem "islamistische (...) Täter, die ohne feste Einbindung in eine hierarchisch aufgebaute Gruppe in nur losen Netzwerken oder allein agieren" (Pressemitteilung Bundesjustizministerium, 28.05.2009) auch vor Begehen einer nach konventionellem Strafrecht verfolgbaren Tat kriminalisiert werden können.

So wenig die Einstufung nach Recht und Gesetz unbescholtener Menschen als "Terrorverdächtige" zu einem Problem rechtsstaatlicher Praxis gereicht, so bereitwillig werden heute Gesinnungsfragen zum Anlaß exekutiver Maßnahmen genommen. Punkt 1 des Neun-Punkte-Plans der Bundeskanzlerin für mehr Sicherheit betrifft ein "Frühwarnsystem gegen Radikalisierung". Die Präventionslogik der Terrorabwehr soll nicht nur islamistische Indoktrination, sondern auch linksradikale Formen der Politisierung einer Gefahrenanalyse unterziehen, die den Geheimdiensten noch mehr Möglichkeiten zur Observation und Stigmatisierung von der politisch erwünschten Norm abweichender Positionen an die Hand gibt.

Geht es um die innere Aufrüstung, werden inzwischen häufig nur noch die Anschläge in Ansbach und Würzburg erwähnt. Das Münchner Attentat nicht in einen Nebel des Ungewißen zu tauchen, sondern es als rechtsterroristisch zu kategorisieren nötigte die Behörden, auch in diese Richtung Präventivmaßnahmen zu ergreifen und aggressiver zu ermitteln. Dies in einem Bundesland wie Bayern zu tun, dessen Regierungspartei CSU mit dem "Konservativen Aufbruch" über eine rechtsaußen positionierte Vereinigung verfügt, die der Merkel-Regierung anlastet, "eine Herrschaft des Unrechts geschaffen" [5] zu haben, und in dessen Landeshauptstadt München Pegida-Kundgebungen stattfinden, auf der jüngst eine Aktivistin die Bewaffnung der "autochthonen Deutschen" [6] forderte, scheint eher nicht die Absicht der zuständigen Behörden zu sein.

Das gegen Flüchtlinge und ihre Unterstützer gerichtete Klima wird rauher, das zeigen nicht nur die direkt gegen Hilfesuchenden gerichteten Maßnahmen, sondern auch die Verunglimpfung ihrer Unterstützer als "Gutmenschen", die zum populären Tonfall rechter Seiten und Publikationen von Compact über Tumult bis Kopp Online und pi-News gehört. Moralische Verlogenheit gibt es überall, so daß niemand mit dem Finger auf den anderen zeigen muß, um von den eigenen Scharaden abzulenken. Wer sich für schwache und verfolgte Menschen einsetzt, ob aus bloßer Empathie oder prinzipieller Solidarität, wird nur aus einem Grund mit einer Verächtlichkeit überzogen, die Herrenmenschen schon immer feist zu Gesicht stand. Für den darin hervortretenden Sozialchauvinismus ist es letztendlich einerlei, wer unter seine Räder gerät, so lange nur die eigene Versorgung und Sicherheit gewährt ist.


Fußnoten:

[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/f-a-z-exklusiv-amoklaeufer-von-muenchen-war-rechtsextremist-14359855.html

[2] http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/deutschland/redaktion/aktuelle-weltnachrichten-vom-juli-2-16-kw-3-.html

[3] http://www.sueddeutsche.de/muenchen/amoklauf-david-s-bleibt-der-polizei-ein-raetsel-1.3105017

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1320.html

[5] https://www.jungewelt.de/2016/08-03/060.php

[6] https://www.jungewelt.de/2016/08-03/059.php

5. August 2016


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