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REPRESSION/1503: Furchteinflößender Leviathan - NSA-Spähaffäre taugt nicht für den Wahlkampf (SB)




Die NSA-Spähaffäre führt aufgrund immer neuer Enthüllungen aus dem Material, das der ehemalige Angestellte des NSA-Vertragspartners Booz Allen Hamilton, Edward Snowden, zugänglich gemacht hat, eine Art publizistisches Eigenleben, das sich immer weniger in politische Debatten und Forderungen übersetzt. Eine Enthüllung wie die gerade bekannt gewordenen Abhöraktivitäten der NSA in der Zentrale der Vereinten Nationen ist zudem wenig spektakulär, wenn man weiß, daß die US-Regierung schon im Vorfeld des Irakkriegs im Sicherheitsrat sitzende Delegationen anderer Regierungen ausforschen ließ. Doch sind die Aktivitäten der Geheimdienste alles andere als selbstverständlich oder gar lächerlich, wie einige Kommentatoren angesichts der von der britischen Regierung angeordneten Zerstörung von Computern der britischen Tageszeitung The Guardian meinten. Die dabei geltend gemachte Erklärung, daß eine solche Aktion im Zeitalter der potentiell unbegrenzten Datenreproduktion informationstechnischer Systeme die weitere Freisetzung geheimdienstlichen Materials nicht unterbinden könne, greift allerdings zu kurz.

So verkörpert dieser Eingriff der britischen Regierung in die Pressefreiheit vor allem die Vollmacht der Exekutive, im Ernstfall mit Gewaltmitteln gegen kritische Journalisten vorgehen zu können. Die Vormachtstellung der Geheimexekutive in einer angeblich demokratisch kontrollierten Regierung wurde auch mit der neunstündigen Verhaftung und Befragung David Mirandas, des Lebensgefährten des mit Snowden zusammenarbeitenden Investigativjournalisten Glenn Greenwald, auf dem Londoner Flughafen Heathrow demonstriert. Die vor fast drei Monaten durch Veröffentlichungen im Guardian und in der Washington Post losgetretene Spähaffäre hat der Öffentlichkeit einen Blick auf staatliche Machtwillkür ermöglicht, die keinesfalls nur die USA und Britannien betrifft, sondern ein von den Nachrichtendiensten zahlreicher, meist der NATO zugehöriger Staaten gebildetes Netzwerk der Spionage und Überwachung enthüllt hat.

Indem die betroffenen Regierungen wenig Bereitschaft zeigen, sich den demokratischen und rechtstaatlichen Normen zu unterwerfen, auf die sie eingeschworen sind, sondern mit Repressalien aller Art gegen Menschen und Staaten vorgehen, die sich an der Aufklärung über diese Machenschaften beteiligen oder verfolgten Whistleblowern Asyl anbieten, zementieren sie die Permanenz des Ausnahmezustands, auf dem diese Handlungsgewalt beruht. Dementsprechend verbleibt die Reaktion der als politische Akteurin von Gewicht offenkundig vergeblich beschworenen Zivilgesellschaft bei defensiven Manövern wie etwa der Überlegung, wie sich der einzelne Nutzer informationstechnischer Systeme vor seiner Ausspähung schützen kann. Politische Initiativen zur Eindämmung der keinesfalls aus dem Ruder gelaufenen, sondern der Arbeit, für die sie geschaffen wurden, nachgehenden Geheimdienste lassen jedenfalls auf sich warten.

Wenn überhaupt, dann werden Scharaden inszeniert wie die von US-Präsident Obama zur Untersuchung der Affäre eingesetzte Gruppe angeblich unabhängiger Experten. Sie besteht aus ehemaligen Geheimdienstlern und Regierungsbeamten mit einschlägiger Geschichte im staatlichen Repressionsapparat, so daß ihr Auftrag im Klartext auch "Operation Feigenblatt" heißen könnte [1]. Auch legt man bei der EU keinen großen Enthusiasmus an den Tag, was die Aufklärung der NSA-Spähaffäre und eventuelle Konsequenzen betrifft [2]. Hier wäre insbesondere an das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP/TAFTA) zu denken, das ungeachtet der Ausspähung der europäischen Verhandlungspartner durch die NSA vorangetrieben wird [3]. Dementsprechend gering ist die Bereitschaft der Parteien, die Spähaffäre zu einem zentralen Wahlkampfthema zu machen.

Dies ist allerdings nicht nur der bereitwilligen Unterwerfung vieler Bürger unter die praktisch vollzogene Offenlegung ihrer privaten Verhältnisse geschuldet, sondern auch der hochgradigen Verstrickung sicherheitsstaatlicher Strukturen der Bundesrepublik in die faktische Aushöhlung und Abschaffung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Zum einen wird die öffentliche Debatte durch die in ihrer Bedeutung für das Verhältnis von individueller Freiheit und gesellschaftlicher Zurichtung zu gering geschätzte Durchdringung aller Lebens- und Arbeitsbereiche mit informationstechnischen Systemen [4] gedämpft. Zum andern öffnen die möglichen Konsequenzen exekutiver Ermächtigung Abgründe furchteinflößenden Charakters, was zweifellos viele Menschen davor zurückschrecken läßt, sich eingehender mit diesem Problem zu beschäftigen.

So werden die Chancen, als völlig unbescholtener Mensch in die Netze der Strafverfolgung zu geraten, mit der massenhaften Auswertung bei der elektronischen Kommunikation anfallender Daten immer größer. In mehreren Fällen haben leichtfertige Äußerungen in sozialen Netzwerken wie Facebook zu Haftstrafen geführt. Die durch die Kriminalisierung irregulären Verhaltens oder politischer Einstellungen immer mehr in den Bereich der Prävention vorrückende Terrorismusabwehr soll schließlich schon bei geringfügigen Verdachtsmomenten greifen. Angesichts dessen, was bei den auf bloßen Wahrscheinlichkeitsrechnungen basierenden Signature Strikes der US-Kriegführung mit bewaffneten Drohnen geschieht, können die davon Betroffene sich glücklich schätzen, lediglich in Haft zu geraten und nicht ihr Leben zu verlieren.

Nicht nur in den USA, wo große Teile der Presse der Staatsräson zuarbeiten und die Verfolgung von David Snowden wie die Verurteilung Chelsea Mannings zu 35 Jahren Haft gutheißen, sondern auch in der Bundesrepublik - etwa in der Tageszeitung Die Welt - findet die harte Unterdrückung jeglichen Widerstands gegen die Geheimexekutive Fürsprecher in den Konzernmedien. Man schlägt sich aus die eigenen Privilegien schützenden Gründen auf die Seite des Stärkeren, und das ist und bleibt die Staatsgewalt. Wie die Zusammenarbeit großer IT-Konzerne mit deren Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten belegt, wissen die großen ökonomischen Akteure, wer ihren Einfluß sichert.

Im Magazin Counterpunch berichtet der US-Autor James Kilgore [5] über den Fall eines achtjährigen jemenitischen Jungen, der das Vertrauen eines als Al-Qaida-Mitglied verdächtigten Mannes besaß und von seinem Vater angehalten wurde, diesen mit einem GPS-aktiven Chip zu versehen. Der Mann wurde von einer US-Drohne getötet, und Al Qaida nahm Rache an dem Vater des Jungen und brachte ihn um. Jagdszenen aus dem Terrorkrieg wie diese scheinen weit entfernt vom Frieden in den NATO-Staaten zu sein, doch geht diese mit Verschleppungen, Folterungen und der Praxis des Targeted Killings operierende Kriegführung von deren Gesellschaften aus. Die Willkür mit Geheimgerichten, Rede- und Bewegungsverboten, Administrativhaft und Kollektivbestrafung vorgehender Staaten bedroht nicht nur die üblichen Verdächtigen, sondern kann jeden Menschen treffen, der auf irgendeine Weise abweicht und auffällt.

Die Totalisierung des staatlichen Gewaltprimats nach der erklärten Maßgabe, immer weniger zwischen äußerer und innerer Sicherheit unterscheiden zu können, hat längst dazu geführt, daß die Entrechtung der Opfer imperialistischer Kriegführung wie staatlicher Repression den Charakter einer Laborsituation angenommen hat, in der auf exemplarische Weise untersucht wird, wie die Ordnung des kapitalistischen Weltsystems gegen das Interesse der von seiner krisenhaften Entwicklung betroffenen Bevölkerungen auch in Zukunft durchgesetzt werden kann. Dies mit Hilfe einer staatskritischen Analyse zu realisieren und sich nicht von den Nebelwerfern einer gesellschaftlichen Normalität beeindrucken zu lassen, die den Menschen längst verpfändete Sicherheiten vorgaukelt, würde Fragen aufwerfen, denen mit politischer Konsequenz zu entsprechen keine der im Bundestag vertretenen Parteien bereit ist.


Fußnoten:

[1] Obama chooses ex-intelligence officials for "panel of experts" to review surveillance programs
https://www.wsws.org/en/articles/2013/08/24/obam-a24.html

[2] Nicht viel Hoffnung für europäische Untersuchungen des NSA-Skandals
https://netzpolitik.org/2013/weitere-dokumente-zu-eu-untersuchungen-des-nsa-skandals/#more-54104

[3] REPRESSION/1495: Trennscharf entufert - die panoptische Klassengesellschaft (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1495.html

[4] REPRESSION/1491: Informationelle Selbstbestimmung wird nicht mehr reichen ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/repr1491.html

[5] The Terrifying World of Electronic Monitoring
http://www.counterpunch.org/2013/08/23/the-terrifying-world-of-electronic-monitoring/

25. August 2013