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REPRESSION/1486: NSU im Nebel - Medienkonkurrenz statt Aufklärung (SB)




Die jahrelange Serie von Morden, Bombenanschlägen und Banküberfällen des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds läßt nur zwei einander ausschließende Schlußfolgerungen zu. Berücksichtigt man, daß die neonazistische Szene so tief vom Verfassungsschutz durchdrungen wurde, daß oftmals kaum noch zwischen behördlichen und genuin rechtsextremistischen Initiativen zu unterscheiden war, liegt eine weitreichende Kenntnis des Inlandsgeheimdienstes von den Umtrieben des NSU nahe. Schließt man diese These aus, gibt man einer die Grenzen des Erklärbaren sprengenden Häufung von Fehlleistungen und Pannen staatlicher Dienststellen bis hin zu diversen Aktenvernichtungen den Zuschlag. Wenngleich die immanenten Widersprüche der zweiten Annahme wie ein Sack Flöhe anmuten, den zu hüten schier unmöglich scheint, hat sich das Paradigma behördlichen Versagens auf breiter Front durchgesetzt. Diese frühzeitig und durchgängig zur einzig gültigen Deutung festgezurrte Erklärung menschlichen Versagens und struktureller Mängel leistet der Schaffung eines effektiveren Verfassungsschutzes samt einer weitreichenden Vernetzung aller Sicherheitsdienste Vorschub. Unterzöge man hingegen die These, der NSU sei an der Leine des Inlandsgeheimdienstes geführt worden, einer ernsthaften Prüfung, drängten sich Konsequenzen in entgegengesetzter Richtung auf: Dann nämlich stünde die Frage im Raum, ob eine Gesellschaft, die demokratische Rechtsstaatlichkeit für sich reklamiert, behördliches Handeln dulden will, das neonazistische Morde und Anschläge in Kauf nimmt oder gar funktionalisiert.

Als gelte es, das abstruse Verwirrspiel um den NSU noch zu überbieten, droht das Hauen und Stechen um die Repräsentanz der Medien beim bevorstehenden Prozeß gegen Beate Zschäpe und vier Unterstützer vor dem Oberlandesgericht München auch die letzte verbliebene Hoffnung auf Aufklärung zu entsorgen. Böte sich nun die Gelegenheit, im Vorfeld des Verfahrens die bekannten Fakten noch einmal zu sammeln und auf Ungereimtheiten abzuklopfen, ist davon keine Rede mehr. Fixiert auf den Streit darüber, wer im Gerichtssaal dabeisein darf, blendet man relevantere Fragen und Zweifel nachhaltig aus. Dabei läuft insbesondere die Konzernpresse zu konkurrenzgetriebenen Höchstleistungen auf, die sich bereits um die Durchsetzung der Pannenthese verdient gemacht hat. Wenngleich die Behauptung, hier stünden unabhängige Berichterstattung und umfassende Information der Öffentlichkeit auf dem Spiel, im Zeitalter elektronischer Medien nachgerade absurd anmutet, sparen die beim Losverfahren zu kurz Gekommenen nicht mit Gift und Galle gegen die von Fortuna begünstigten kleineren Rivalen. Nicht journalistische Qualität in Recherche und Positionierung beim Thema NSU stehen dabei auf dem Prüfstand, erforderte dies doch eine sachbezogene Argumentation. Statt dessen spricht man für minderwertig erachteten Medien schlichtweg die Kompetenz ab, der Aufgabe gewachsen zu sein.

So erklärt der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, Michael Konken, es sei für ihn nicht nachvollziehbar, daß es für die überregional wichtigsten Medien kaum eine Möglichkeit geben soll, über das NSU-Verfahren zu berichten. Die Vergabe der Presseplätze stehe "in krassem Widerspruch zur immensen bundesweiten und internationalen Bedeutung des Prozesses". [1] Es seien Medien berücksichtigt worden, die während des ganzen Verfahrens allenfalls ein, zwei Berichte machen würden, setzt Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo kleine Sender und Zeitungen mit Unfähigkeit gleich. [2] Jan-Eric Peters, Chefredakteur der "Welt"-Gruppe, ist erbost: "Der wichtigste Prozess in diesem Jahr in Deutschland, und die drei großen überregionalen Qualitätszeitungen des Landes sind ausgeschlossen, anders als etwa das Anzeigenblatt 'Hallo München' - das ist doch absurd. Wir erwägen eine juristische Klärung." Klagen schließen auch die FAZ, die Zeit, der Tagesspiegel und die taz nicht aus, jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt, da niemand für eine erneute Verschiebung des Prozeßbeginns verantwortlich sein will. Anders der Berliner Journalist Martin Lejeune: Er hat Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt, weil er beim ersten Anmeldungsverfahren einen Platz bekommen hatte, bei der Verlosung jedoch leer ausgegangen war.

Daß Platzhirsche des Blätterwalds grollen, weil ihnen die lukrative Erstverwertung des Spektakels durch die Lappen geht, ist nachvollziehbar. Was ihr kommerzieller Nachteil mit mangelnder Vielfalt der Berichterstattung oder gar eingeschränkter Pressefreiheit zu tun haben soll, hingegen nicht. Angesichts der bemerkenswerten Gleichförmigkeit, mit der das Gros der bundesdeutschen Medien die unendliche Serie immer neuer Merkwürdigkeiten und Vertuschungsversuche rund um den NSU unter Pleiten, Pech und Pannen verbucht hat, wird man die Abwesenheit einiger Dickschiffe beim Prozeß kaum bemerken. Daß dieser allenfalls zur Aufklärung jener Fragen beitragen kann, die entweder im Gerichtssaal zugelassen oder darüber hinaus von Journalisten aufgeworfen werden, liegt auf der Hand. Wären Medien per Losverfahren ausgeschlossen worden, die sich in der Vergangenheit durch einen kompetenten und kritischen Umgang mit der Thematik ausgezeichnet haben, müßte man dies bedauern. Offenbar ist das aber nicht der Fall.

Läßt man die Liste der benannten Zeugen Revue passieren, stößt man allenthalben auf die Infiltrierung der Neonazis durch den Verfassungsschutz und das Wissen um den NSU in der rechten Szene: Andreas T., ehemaliger V-Mann-Führer des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, der angeblich zufällig in einem Kasseler Internetcafé saß, dessen Besitzer Halit Yozgat wenige Minuten später erschossen wurde. Außerdem geladen der enttarnte V-Mann und Chef des rechtsextremen Bündnisses "Thüringer Heimatschutz" Tino Brandt, ebenso André K., der mit den Mitgliedern der Terrorzelle die "Kameradschaft Jena" gründete. Auch sein jüngerer Bruder Christian K., zeitweise Kopf der Neonazi-Popband Eichenlaub, die eine Lobeshymne auf das Trio schrieb, ist vertreten. Ebenfalls interessant David Petereit, Landtagsabgeordneter der NPD in Mecklenburg-Vorpommern. Er war Herausgeber des rechten Fanzines "Der Weiße Wolf", das bereits im Jahr 2002 in einem Vorwort schrieb: "Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen. Der Kampf geht weiter!" Dies war die erste bekannte Erwähnung des NSU in der Öffentlichkeit, neun Jahre bevor die Mordserie aufgedeckt wurde. Bislang nicht geladen der Neonazi-Musiker Daniel "Gigi" G., der in dem Lied "Döner Killer" im Jahr 2010 die Mordserie des NSU verherrlicht. In dem Liedtext heißt es: "Neun sind nicht genug". Vernehmen könnte man beispielsweise auch Thomas Starke, der als Geliebter Beate Zschäpes engen Zugang zur Gruppe hatte, Sprengstoff für sie besorgte und als Spitzel des Berliner Landeskriminalamts den Behörden zehn Jahre lang Informationen, darunter auch Hinweise auf den Aufenthaltsort des flüchtigen Trios, gegeben haben soll. [3]

Sollten diese und andere, teils geständige Zeugen nicht dazu beitragen, umfassend Licht in die Sache zu bringen? Allein schon der Mammutprozeß mit seinen fünf Angeklagten, insgesamt zwölf Verteidigern, 80 Nebenklagevertretern, drei Vertretern der Bundesanwaltschaft und der fünfköpfigen Kammer, die nicht weniger als 606 Zeugen laden will, dürfte dem Gegenteil Vorschub leisten. Für die Befragungen sind zum Teil nur 45 Minuten veranschlagt, wenig genug, um die Entuferung in eine unerwünschte Richtung zu bremsen. Letzten Endes kommt es ganz darauf an, was im ersten Rang das Gericht und im zweiten das Medienaufgebot wissen oder nicht wissen will. Lassen wir dem Gerichtspräsidenten Karl Huber das Schlußwort, der das Losverfahren verteidigt und sich gegen die Angriffe auf das Gericht verwahrt, die "in der deutschen Geschichte ohne Beispiel" seien. Nun gehe es darum, den Prozeß wasserdicht zu führen. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt!

Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/losverfahren-fuer-nsu-prozess-medien-erwaegen-klage-gegen-sitzvergabe-a-897227.html

[2] http://www.dwdl.de/nachrichten/40644/nsuprozess_dpa_gibt_platz_an_die_konkurrenz_ab/

[3] http://www.jungewelt.de/2013/04-30/036.php

1. Mai 2013