Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

REPRESSION/1485: Zivilgesellschaft in Gefahr? Warum in die Ferne schweifen ... (SB)




Der WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn sollte Rußlands Präsident Wladimir Putin auf den Zahn fühlen, doch es kam anders. Der russische Staatschef führte den deutschen Journalisten mit geschickten Nachfragen, mit Hilfe derer er den Versuch einer offensiven Gesprächsführung gegen den Interviewer kehrte, auf eine Weise vor, die dessen Demokratiepathos als durchsichtige Verteidigung repressiver Praktiken im Glashaus der NATO-Staaten kenntlich machte. Die in Politik und Medien der Bundesrepublik beklagte Überprüfung in Rußland tätiger Nichtregierungsorganisationen konterte Putin, von Schönenborn anhand des angeblich demokratischeren Prozederes in den USA zur Stellungnahme aufgefordert, mit schlagender Überzeugungskraft unter Verweis auf entsprechende Überprüfungsroutinen amerikanischer Behörden und der im Vergleich zu NGOs aus NATO-Staaten weit geringeren Zahl entsprechender politischer Organisationen seines Landes, die im Westen tätig sind [1].

Dazu wäre noch einiges mehr zu sagen, was in der Kürze des Gesprächs unter den Tisch fallen mußte. Die Einmischung regierungsnaher US-Organisationen in sogenannte bunte Revolutionen von Jugoslawien über die Ukraine und Georgien bis zum Libanon und Syrien diente keineswegs den sozialen Interessen der jeweiligen Bevölkerungen, sondern dem Hegemonialstreben der US-Regierung und dem Marktzugang der Kapitalinteressen, die sie globaladministrativ durchsetzt. Auf dem umkämpften Feld internationaler Konflikte aktiven NGOs und Stiftungen rundheraus ein altruistisches Interesse an der Förderung der Zivilgesellschaft zu unterstellen, scheitert zudem an der bürokratischen und finanziellen Eigendynamik dieser von der Finanzierung Dritter abhängigen Organisationen. Selbst wenn es unter deren Personal idealistische Kräfte gibt, so ist ein Großteil der NGO-Profis schon aus berufständischen Interessen angehalten, nicht die Hand zu beißen, die sie nährt. Ein demokratisches Anliegen in autoritär regierten Staaten durchzusetzen, die von der Regierung desjenigen Landes, aus dem die jeweilige zivilgesellschaftliche Organisation stammt, bekämpft wird, kann kaum frei von Interessenkonflikten zwischen unterstellter Neutralität und institutioneller Abhängigkeit sein.

Das gilt insbesondere für ein marktgetriebenes, die Freiheit des Kapitals verabsolutierendes Demokratieverständnis. So zeigt die Bundesregierung wenig Interesse daran, die bedrückte Lage von Lohnabhängigen in Staaten wie China, Rußland oder Ägypten zu verbessern. Wenn sie diesen demokratische Defizite anlastet, während deutsche Unternehmen von dort herrschenden sozialen Mißständen und ausbeuterischen Produktionsbedingungen profitieren, dann legitimiert sie mit dem anklagenden Zeigefinger den Griff der anderen Hand nach den Schätzen, die unter sozial repressiven Bedingungen besonders gut zu heben sind. Wenn die Konrad-Adenauer-Stiftung, deren Moskauer Büro von russischen Behördenvertretern durchsucht wurde, als eine der wichtigsten Vorfeldorganisationen der deutschen Außenpolitik in Belarus und der Ukraine Veranstaltungen mit politischen Oppositionsgruppen abhält oder sich mit Oppositionellen in Kuba, Venezuela und Honduras berät, dann sicherlich nicht, um einem sozialistischen Fortschritt zuzuarbeiten, den dieses traditionell antikommunistische Bollwerk der BRD stets bekämpft hat.

In der Unterdrückung linker Gegenbewegungen ist man sich mit Putin durchaus handelseinig. Die staatliche Verfolgung kommunistischer Parteien oder anarchistischer Gruppen ruft hierzulande kaum Proteste hervor, ganz im Gegenteil. Man beteiligt sich vielmehr, wie im Fall der Türkei, aktiv an der Kriminalisierung der linken Opposition oder kollaboriert, wie im Fall Ägyptens, lieber mit reaktionären Islamisten, als daß man der sozialen Revolution den Weg ebnete. Nicht politische Repression an und für sich wird beanstandet, sondern derjenige Teil staatlicher Gewaltausübung, der den eigenen Herrschafts- und Hegemonialinteressen zuwiderläuft.

Es fällt einem deutschen Journalisten, zu dessen Aufgaben es gehört, als Sachwalter regierungsamtlicher Menschenrechtsoffensiven zu fungieren, naturgemäß schwer, dabei eins und eins zusammenzuzählen. Im Wertekosmos universaler Rechtsnormen bedarf es strikter Scheuklappen, um nicht mit einer Staatsräson zu kollidieren, die in Machtfragen diktiert, was als Freiheit und Demokratie um so dröhnender abgefeiert werden muß. Putins Hinweis auf entsprechende Kontrollpraktiken in den USA fiel nachgerade rücksichtsvoll aus, wenn man bedenkt, wie weit die Büchse der Pandora menschenfeindlicher Angriffe auf die dortselbst hochgelobte Freiheit bereits offensteht. Zu der rassistischen Willkürjustiz, deren Strafen desto drakonischer ausfallen, je dunkler die Hautfarbe und je krasser die soziale Ausgrenzung ist, gesellt sich die in ihrer Dauer unabsehbare Inhaftierung im Terrorkrieg verschleppter und gefolterter Gefangener, gegen die niemals ein Strafurteil gesprochen wurde. Die mit ferngesteuerten Drohnen bislang vor allem in Pakistan praktizierten extralegalen Hinrichtungen bedrohen inzwischen auch US-Bürger, antimilitaristische und radikalökologische Aktivistinnen und Aktivisten stehen unter erheblichem Verfolgungsdruck, und das Präsidialsystem verfügt über Ermächtigungsmöglichkeiten quasidiktatorischer Art.

Was die Einschränkung humanitärer und demokratischer NGO-Aktivitäten betrifft, so erklärte der Supreme Court in Washington im Juni 2010 zivile Unterstützungsleistungen für Organisationen, die vom US-Außenministerium als "ausländische terroristische Organisationen" eingestuft werden, für illegal. Konkret ging es um die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die Tamilischen Befreiungstiger (LTTE), die bis dahin auf legale Weise beraten werden durften, wenn sie etwa Friedensverhandlungen führen wollten. Unter dem dagegen zur Anwendung gelangenden und vom Verfassungsgericht bestätigten "material support law" hat die US-Regierung zwischen 2001 und 2010 150 Personen wegen Unterstützung des Terrorismus angeklagt, von denen etwa 75 zu Haftstrafen von bis zu 15 Jahren verurteilt wurden. Zur "materiellen Unterstützung" zählen neben der Bereitstellung von Finanzmitteln, Waffen, Kommunikations- und Transportmitteln, Unterkünften oder gefälschten Personaldokumenten auch "Dienstleistungen" "Ausbildung, Expertenberatung oder -unterstützung" und "Personal".

Den vom US-Justizministerium wegen immaterieller Unterstützung des Terrorismus verdächtigten Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen nützte es nichts, sich auf den ersten Zusatzartikel zur US-Verfassung, der das Recht auf freie Meinungsäußerung garantiert, zu berufen. Selbst Stellungnahmen gegenüber Journalisten, in denen Organisationen wie die PKK und LTTE nicht ausdrücklich verurteilt werden, ihre Unterrichtung in Sachen Menschenrechte oder die Hilfe bei Übersetzungsproblemen können von der US-Regierung als Straftat verfolgt werden. So kann die US-Regierung bei Organisationen, die nach Ermessen ihrer Geheimdienste als terroristisch eingestuft werden, jedes noch so gutgemeinte Engagement zur Förderung friedlicher Konfliktbewältigung kriminalisieren. Der oberste Verfassungsrichter John Roberts begründete die scharfe Auslegung des Gesetzes damit, daß Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen terroristischen Gruppen auch mit ausschließlich humanitärer oder rechtlicher Unterstützung Legitimität verliehen, die diese wiederum in den Stand versetze, neue Mitglieder zu werben, Finanzmittel zu erhalten und weitere Terroranschläge zu begehen. Wenn die humanitäre Arbeit dazu führe, daß eine als terroristisch geltende Organisation eine bessere Gesundheitsversorgung anbieten könne, dann würde dies einen positiven Eindruck auf die möglicherweise medizinisch unterversorgte Bevölkerung machen, was wiederum die Terroristen legitimiere. Roberts unterstellte insbesondere der PKK, das Mittel der Beratung im Rahmen einer "größeren Strategie zur Ausübung von Terrorismus" einzusetzen, indem sie etwa "Friedensverhandlungen anstrebt, um sich damit Zeit zu verschaffen, in der sie sich von kurzfristigen Rückschlägen erholen kann, in der sie Gegner mit Sorglosigkeit einlullen und dabei letzten Endes neue Angriffe vorbereiten kann" [2].

Dies ist nur ein Beispiel für eine legalistische Form politisch gewollter Repression, die den Versuch des WDR-Chefredakteurs, Putin unter Verweis auf die USA in die Defensive zu drängen, als vor allem die eigene Unkundigkeit dokumentierenden Mißgriff darstellt. Wenn politische Machtverhältnisse von Spitzenjournalisten derart losgelöst von jeglicher materiellen Interessenlage in Stellung gebracht werden, um die Kärrnerarbeit diskreditierender Entblößung zu verrichten, dann kann es nicht erstaunen, daß die öffentlich-rechtlich betreute Bevölkerung immer weniger in der Lage zu sein scheint, die eigene Ohnmacht auf einen streitbaren und herrschaftskritischen Begriff zu bringen. Medien und Politik verlangen nach zivilgesellschaftlicher Aufklärung und Emanzipation - warum in die Ferne schweifen?

Fußnote:

[1] http://www.deutsche-mittelstands-nachrichten.de/2013/04/51431/

[2] http://www.investigativeproject.org/2019/supreme-court-upholds-material-support-law

8. April 2013