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REPRESSION/1459: Antimuslimischer Rassismus - Instrument sozialer Unterdrückung (SB)



Hand in Hand mit Deutschlands lautestem Organ für sozialrassistischen Populismus hat Bundesinnnenminister Jörg Friedrich der von sozialen Verwerfungen erschütterten und daher für zweckdienliche Feindbilder besonders anfälligen Bevölkerung eine selbsterfüllende Prophezeiung präsentiert. Indem die Bild-Zeitung die Studie "Lebenswelten junger Muslime in Deutschland" noch vor ihrer offiziellen Präsentation durch das Bundesinnenministerium auf ganz eigene Weise auswertete und zu dem erschreckenden Urteil gelangte, daß fast ein Viertel nichtdeutscher Muslime im Alter zwischen 14 und 32 Jahren als "streng Religiöse mit starken Abneigungen gegenüber dem Westen, tendenzieller Gewaltakzeptanz und ohne Integrationstendenz" gelten. Indem das Blatt kolportierte, bei Muslimen dieser Altersgruppe mit deutscher Staatsbürgerschaft sehe es zwar nicht ganz so schlimm aus, doch auch dort lehnten 15 Prozent streng religiös eingestellter junger Muslime den Westen ab und akzeptierten "Gewalt als Mittel zur Verteidigung gegen die Bedrohung durch den Westen", bot es dem nicht zum ersten Mal Zeugnis von seiner Islamfeindlichkeit ablegenden Bundesinnenminister eine Steilvorlage: "(...) wir akzeptieren nicht den Import autoritärer, antidemokratischer und religiös-fanatischer Ansichten. Wer Freiheit und Demokratie bekämpft, wird hier keine Zukunft haben."

Welche Muslima und welcher Muslim fühlt sich in einem Land, in dem die eigene Minderheit auf Dauer unter Gesinnungsverdacht gestellt wird, schon wohl? Friedrichs provoziert averse Reaktionen und leitet damit Wasser auf die Mühlen einer Bezichtigung, die mit der antimuslimischen Kampagne Thilo Sarrazins längst den Stand der endemischen Stigmatisierung einer ganzen Gruppe der Bevölkerung erreicht hat. Die von Mitgliedern dieser Glaubensgemeinschaft alltäglich zu erlebenden Diskriminierungen haben spätestens seit dem 11. September 2001 den Charakter einer spezifischen Form des Rassismus angenommen, von der sozialwissenschaftliche Fragestellungen, die lediglich die Einstellungen der betroffenen Gruppe messen und evaluieren, nicht freigesprochen werden können. In Anbetracht des grundgesetzlichen Gleichheitsgebots wäre ohnehin zu fragen, inwiefern die Feststellung gruppenbezogener Einstellungen in einem von massiven Verdächtigungen besetzten Feld nicht bereits eine Vereinnahmung des einzelnen Menschen darstellt, die seiner individuellen Lebenswirklichkeit niemals gerecht werden kann.

Da die Forderung, dies in einer sozialtechnokratisch regulierten Gesellschaft zu unterlassen, keinen Widerhall finden wird, wäre zumindest geboten, das Element der Gegenseitigkeit rassistischer Verallgemeinerungen auszuleuchten, also die Feindseligkeit der herkunftsdeutschen Mehrheit, ihre "autoritären, antidemokratischen und religiös-fanatischen Ansichten", stets mitzudenken, wenn einmal mehr eine "Integrationsverweigerung" muslimischer Menschen unterstellt wird. Doch damit nicht genug - die in der Berichterstattung der Bild-Zeitung erfolgte Bezugnahme auf "den Westen" läßt anklingen, daß in der muslimischen Bevölkerung Vorbehalte gegenüber politischen Praktiken und Entscheidungen herrschen, die unter dieser Großkategorie zusammengefaßt sind. Anstelle eine wie auch immer geartete Ablehnung etwa der westlichen Kriegführung in mehrheitlich muslimischen Staaten, der Herabsetzung des Islam durch westliche Kulturkämpfer oder der vorbehaltlosen Unterstützung des israelischen Siedlerkolonialismus bei weitreichender Duldung der an Palästinensern vollzogenen Entrechtung und verübten Menschenrechtsverletzungen durch westliche Regierungen rundheraus als irreale, allein aus ideologischen Gründen erfolgte Projektion zu disqualifizieren, wären diese Dispositionen als objektive Faktoren in die Bewertung dieses gesellschaftlichen Konflikts einzubeziehen. Selbst wenn Muslime antiwestlicher Propaganda zum Opfer fielen, wäre zu fragen, in welchem Verhältnis dies zu antimuslimischer Propaganda stände, die nachzuweisen nicht schwer fällt, wenn man etwa die medial vorherrschende Rechtfertigung der Kriege in Afghanistan, im Irak, im Libanon und in Libyen mit der Durchführung und den Ergebnissen dieser Feldzüge vergleicht.

Einer kulturalistisch als rückständig herabgewürdigten und ethnisch als minderwertig stigmatisierten Minderheit auch noch die Abwehrreflexe anzulasten, die derartige Ressentiments provozieren, läuft auf eine doppelte, durchaus funktionale Verächtlichkeit hinaus. Menschen muslimischen Glaubens und orientalischer Herkunft sollen sich beleidigen lassen und dies auch noch durch die besonders bemühte Unterwerfung unter den Integrationsimperativ quittieren, anstatt das selbstverständlichste von der Welt, Respekt für die Autonomie der eigenen Lebenspraxis und Lebensform, zu verlangen. Um so kontraproduktiver für ein gedeihliches Miteinander ist die Verabsolutierung der Integrationsforderung zu einem selbstevidenten, über die Anpassung an die kulturellen Gepflogenheiten der Mehrheitsgesellschaft hinaus nicht näher bestimmten positiven Wert. Allein die autoritäre Art, mit der Friedrich und Bild diesen Anspruch artikulieren, verweist darauf, daß es sich um ein Bezichtigungskonstrukt handelt, das die sozialen Folgen ökonomischen Elends den Betroffenen auflastet.

Wie im Falle von Langzeitarbeitslosen, denen auch bei objektiv nicht in ausreichendem Maße vorhandener Lohnarbeit unterstellt wird, sich nicht genügend um einen Job bemüht zu haben, wird die soziale Misere des Kapitalismus auf disziplinatorische Weise instrumentalisiert, anstatt herrschaftskritisch gegen diejenigen gerichtet zu werden, die am meisten für diese Entwicklung verantwortlich sind. Hier korrespondiert die soziale Repression durchaus mit der neokolonialistischen Unterstellung, man müsse militärisch in Ländern des Südens intervenieren, um den Menschen dort zum Glück einer zivilgesellschaftlichen Kultur, die sie selbst zu verwirklichen nicht in der Lage seien, zu verhelfen. Wie ein roter Faden durchzieht der paternalistische Primat eigener Suprematie die herrschenden Integrations- und Kriegsdiskurse, und wer dagegen aufbegehrt läuft Gefahr, einer irrationalen feindseligen Gesinnung bezichtigt zu werden.

Zwar haben die Verfasser der Studie wie andere Experten etwa von der Forschergruppe HEYMAT an der Humboldt Universität Berlin [1] bereits Einspruch gegen die einseitige Auslegung der wissenschaftlichen Erhebung durch Friedrich eingelegt. Gegen den instrumentellen Charakter eines Populismus, für dessen giftige Blüten es in der krisenhaften Entwicklung der europäischen Gesellschaften reichlich Nahrung gibt, ist mit rationalen Mitteln jedoch nur bedingt anzukommen. Allein die Selbstverständlichkeit, mit der nur wenige Tage nach dem Staatsakt zum Gedenken an die muslimischen Terroropfer [2] eben die Feindseligkeit geschürt wird, auf die nazistische Mörder setzen, wenn sie nicht von ungefähr meinen, mit ihren Anschlägen klammheimliche Zustimmung in der Bevölkerung auslösen zu können, spricht Bände. So liegt der irrationale Charakter des antimuslimischen Rassismus ganz auf der Seite seiner Urheber, wie schon die innere Widersprüchlichkeit der von Sarrazin salonfähig gemachten, mit kulturalistischen und biologistischen Verallgemeinerungen operierende Unterstellungen belegen. Ganz und gar vernünftig im Sinne der Herrschenden ist allerdings die Spaltung der von ihnen Beherrschten in einander feindlich gegenüberstehende Gruppen, auf daß keiner von den Betroffenen erkennt, mit welchem Gewaltverhältnis sie es im Kern zu tun haben.

Fußnoten:

[1] http://www.migazin.de/wp-content/uploads/2012/03/Stellungnahme-zur-Studie-Lebenswelten-junger-Muslime-in-Deutschland-Foroutan-HU.pdf

[2] KULTUR/0920: Gedenken an muslimische Terroropfer ... am zentralen Problem gezielt vorbei (SB) http://schattenblick.org/infopool/politik/kommen/sele0920.html

2. März 2012