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REPRESSION/1377: Klassenkampf von oben ... Linke zum 1. Mai präventiv bezichtigen (SB)



Die Zeiten sind schlecht, und die radikale Linke soll schuld daran sein. Das scheint die Maßgabe der inneren Aufrüstung zu sein, mit der staatlicherseits für den 1. Mai mobilisiert wird. Wenn an einem Tag im Jahr einmal nicht das Versprechen auf Erlösung in einem numinosen Jenseits beschworen, sondern die Forderung nach materieller Gerechtigkeit hier und jetzt erhoben wird, wenn an die Stelle religiöser Heilsversprechen konkrete Forderungen der zentralen Produktivkraft treten, die nicht in den Portefeuilles der angeblichen Leistungsträger, sondern den Händen der Arbeiter steckt, dann gilt es, den an diesem Tag artikulierten sozialen Widerstand nach Kräften in Mißkredit zu ziehen.

Anders kann der Verdacht, den die großen Medien in Erwartung möglicher Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten gegen linke Aktivisten schüren, nicht verstanden werden. Nicht die stetig verschlechterte Lebenslage von Lohnabhängigen und Erwerbsunfähigen ist Thema an diesem Tag, sondern die Aufrechterhaltung einer Eigentumsordnung, die zum Synonym für Ordnung schlechthin geworden ist. So warnt Bundesinnnenminister Thomas de Maizière im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt (25.04.2010) vor "politisch links motivierter Gewalt" gerade in Hamburg und Berlin. Dort existiere möglicherweise "mehr als anderswo das Erbe eines Linksextremismus und vielleicht auch einer geistigen Rechtfertigung", mit Hilfe derer Gewalt gegen bestimmte Sachen oder Personen verharmlost werde. Der Minister wünscht sich, daß sich die "Gesellschaft stärker von linker Gewalt distanziert", und bezichtigt die Partei Die Linke, "dass bei der Vorbereitung von Veranstaltungen, die mit Ansage zu Gewalt führen, zum Teil auch die Infrastruktur der Linkspartei genutzt wird".

Schon im Vorfeld legaler Proteste wird erklärt, wer Schuld daran hat, wenn es zu Gewalttaten kommt. Das eröffnet Provokateuren, die es darauf anlegen, linke Aktivisten zu diskreditieren, hervorragende Möglichkeiten, den gesellschaftlichen Rollback voranzutreiben. Was auch immer am 1. Mai geschehen wird, im öffentlichen Urteil wird man nicht auf eine abschließende Untersuchung warten, sondern die Schuld gemäß ihrer bereits erfolgten Zuweisung verteilen. Ganz abgesehen davon, daß Gewalt in dieser Gesellschaft nicht nur auf Demonstrationen stattfindet, sondern strukturell in den herrschenden Verteilungsverhältnissen und Ermächtigungspraktiken angelegt ist, wird auf solche Weise präventiv Stimmung gegen Forderungen gemacht, die nicht durch zivilgesellschaftliche und administrative Widerspruchsregulative zu neutralisieren sind.

Die von der Bundestagsfraktion der Union geforderte Heraufsetzung des Strafmasses für "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte" paßt ins Bild einer Diffamierung der politischen Opposition, der auf diese Weise unterstellt wird, nur mit schärfsten Strafen von Gewaltanwendung gegen Polizisten abgehalten zu werden. Da jegliche Form von Körperverletzung strafbar ist, wird auf diese Weise ein exekutives Machtmittel ausgebaut, das ad hoc auch in Fällen anwendbar ist, in denen die Einsatzkräfte der Polizei ihre Befugnisse gegenüber Demonstranten überschreiten. Um so wahrscheinlicher werden Situationen der Konfrontation, in denen die rechtliche Bevorteilung der Polizei zu Lasten von Demonstranten geht, da diese um so leichter ins Unrecht gesetzt werden können.

Wenn die Bedrohung der Gesellschaft links verortet wird, geht es weniger darum, Neonazis zu begünstigen, auch wenn das durchaus vorkommt, wird deren Affinität zu autoritärer Staatlichkeit im Zweifelsfall doch als politisch förderlich und nicht gefährlich erachtet. Sehr viel mehr Energie wird darauf verwendet, die Drift der politischen Mitte nach rechts voranzutreiben und eine neokonservative Elite zu stärken, die das Regime sozialfeindlicher Maßnahme ideologisch legitimiert und politisch durchsetzt. Auch die Gewerkschaften wissen im Zweifelsfall, wo ihr Platz im Klassenkampf ist. So hat der Deutsche Gewerkschaftsbund mehreren "linken Parteien, Organisationen und Initiativen das Recht zur Durchführung von Informationsständen rund um das Brandenburger Tor verweigert". Wie aus einem Offenen Brief des Berliner Bündnisses "Wir zahlen nicht für eure Krise" vom 26. April an den DGB-Ausschuss zur Vorbereitung der 1. Mai-Demonstration und -Kundgebung hervorgeht, wird der radikalen Linken verwehrt, was Organisationen der SPD und CDU ohne weiteres zugestanden wird. Wer für den Sozialismus eintritt, soll an diesem traditionsreichen Tag gerade "angesichts der kapitalistischen Weltwirtschafts- und Finanzkrise und der erst noch bevorstehenden umfassenden Abwälzung der Krisenlasten auf die Masse der Bevölkerung" ausgegrenzt werden.

Geben sich die Verfasser des Offenen Briefes auch konziliant, indem sie erklären, trotz dieser und anderer Benachteiligungen an der 1.Mai-Demo des DGB teilzunehmen sowie darauf zu hoffen, alle in Berlin vertretenen Gewerkschaften am 12. Juni auf der von ihnen vorbereiteten Demonstration "Die Krise heißt Kapitalismus - Gemeinsam gegen Arbeitslosigkeit, Kopfpauschale und Bildungsabbau" begrüßen zu können, so liegen die Bruchlinien der Linken doch offen zu tage. Indem die antikapitalistische Minderheit ausgegrenzt und kriminalisiert wird, wird der große reformistische Rest auf ein ausschließlich an betriebswirtschaftlichen Rentabilitätskriterien und makroökonomischen Parametern ausgerichtetes Krisenmanagement eingeschworen.

Dabei wird der Kampf um die Brosamen, die in immer geringerer Zahl vom Tisch fallen, über die Verknappung verbliebener Verdienstmöglichkeiten systematisch angefacht. An der Verfügbarkeit von Lohnarbeit gibt es dennoch nichts zu idealisieren, es sei denn, man will vergessen machen, daß es sich um ein Mittel der Mehrwertabschöpfung handelt, das in eigennützigem Interesse geschaffen wird, um dafür auch noch als "Leistungsträger" umworben und privilegiert zu werden. Die Freiheit der Kapitaleigner und der Funktionseliten gegen die Ohnmacht des atomisierten Subjekts der Arbeitsgesellschaft zu stellen, um diesen Konflikt in kämpferischer Solidarität auszutragen, anstatt die Bezichtigungsrhetorik zu übernehmen, laut der anspruchsvolle Erwerbstätige und faule Leistungsempfänger dem gesamtgesellschaftlichen Produkt schadeten, sollte das mindeste Interesse einer Linken sein, die das Gros der lohnabhängigen und erwerbsunfähigen Bevölkerung vertreten will.

28. April 2010