Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

REPRESSION/1339: Das Internet ... eine nicht nur virtuelle Hochsicherheitszone (SB)



EU-weite Vorratsdatenspeicherung zur Ausforschung sozialer Beziehungen und zur Erstellung von Bewegungsprofilen, Internetsperren mit optionaler Erfassung verdächtiger Nutzer, Online-Durchsuchung durch das BKA, Zugriff auf Bürgeranfragen an öffentliche Behörden durch das BSI, Transfer von Personendaten in die USA, supranationale Agenturen zur Überwachung des Internets - der angeblich so rechtsfreie Raum der elektronischen Kommunikation nimmt alleine von der Seite polizeilicher und geheimdienstlicher Observation her immer mehr den Charakter eines virtuellen Hochsicherheitstrakts an. Die vielfältig mögliche Kontrollierbarkeit des Nutzerverhaltens mündet fugenlos in den Bereich einer präventiven Strafverfolgung, die für sogenannte Terrorverdächtige schwerwiegende Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheit haben kann. Hier korrespondiert die immer engere Überwachung mit einer Stigmatisierung der politischen Gesinnung, die weit im Vorfeld tatsächlich begangener Straftaten zu langjährigen Haftstrafen führen kann. Diese Gefahr verschärft sich durch die transnationale Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden mit Staaten, deren rechtliche Standards zum Schutz des Bürgers vor willkürlicher Kriminalisierung deutlich unterhalb denen der Bundesrepublik liegen. Gleichzeitig werden Grundlagen einer Zensur des Internets geschaffen, die wie eine Reuse funktionieren, indem das Interesse des Nutzers an bestimmten Webseiten im Zweifelsfall gegen ihn verwendet wird. Zudem werden immer mehr individuelle Daten durch staatliche Behörden und private Unternehmen erhoben, um durch die Vernetzung von Behördenrechnern, die Zentralisierung der Register in ressortübergreifenden Datenbanken und den Einsatz potenter elektronischer Recherchewerkzeuge jeden beliebigen Aspekt der persönlichen Lebensführung und Geschäftstätigkeit für Dritte aufhellen können.

Ideologisch wird diese Aushebelung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und auf Schutz vor willkürlicher Repression durch die Unterstellung untermauert, der klassische liberale Antagonismus zwischen Staat und Bürger, aus dem heraus Grundrechte als Abwehrrechte gegen überbordende staatliche Gewalt verstanden werden, besitze keine Gültigkeit mehr. So vertritt Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble angesichts der Datenschutzskandals in diversen Unternehmen die Ansicht, es sei Aufgabe des Staates, die Daten der Bürger vor Mißbrauch zu schützen. Daß er gleichzeitig in einem nie gekannten Ausmaß auf diese zugreift, belegt die Schräglage der Debatte um die Überwachung von Mitarbeitern in der Wirtschaft und die Verwertung von Kundendaten. Nicht nur, daß die Novellierung des Datenschutzgesetzes aufgrund massiven Einwirkens der Lobbyisten der Wirtschaft auf die Abgeordneten des Bundestages weit hinter den Erwartungen zurückblieb. Auch bleibt die Berichterstattung über die weitreichende Aufrüstung des elektronischen Sicherheitsstaates deutlich hinter dem Aufklärungsbedarf zurück, der besteht, wenn die grundrechtlichen Schutzgarantien nicht irreparablen Schaden durch ihre faktische Unterwanderung und Aufhebung nehmen sollen.

In einer Rede zur Eröffnung des 11. Deutschen IT-Sicherheitskongresses am 12. Mai in Bonn behauptete Schäuble, daß die Datenerhebung staatlicher Behörden im Unterschied zu der firmeninterner Sicherheitsdienste "streng zweckgebunden unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit" erfolge. Beide Vorkehrungen können allerdings nicht davor schützen, daß Bürger, die sich arglos im Internet bewegen und auf vom Staatsschutz überwachte Seiten gelangen, etwa der Terrorismusbekämpfung zum Opfer fallen. Deren Aufgabe besteht unter anderem darin, im Trüben zu fischen und vagen Verdachtsmomenten im Sinne eines potentiellen Anfangsverdachts nachzugehen. Man braucht in einem Fall, in dem gegen den Besucher einer islamistischen Webseite weiterreichende Ermittlungen eingeleitet werden, nicht von mißbräuchlicher Nutzung der Überwachungsbefugnisse des Staates zu sprechen, weil es gerade darum geht, weit im Vorfeld eventueller Straftaten sogenannte Gefährder ausfindig zu machen. Die angemessene Verhältnismäßigkeit der Observierung ungescholtener Bürger ergibt sich in diesem Fall schon daraus, daß die Sicherheitsbehörden aufgrund der Kriegführung der Bundeswehr in Afghanistan von der Gefahr terroristischer Anschläge in Deutschland ausgehen.

Nicht umsonst vertreten die Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Innenminister die Ansicht, daß man zwischen Innerer und Äußerer Sicherheit nicht mehr wirklich unterscheiden könne. Gewaltsam durchgesetzte außenpolitische Interessen und eine hoher Anteil an Migranten innerhalb der Bundesrepublik schaffen in den Augen der Sicherheitspolitiker genügend Handlungsbedarf, um etwa die weitreichenden Kompetenzen geheimdienstlicher Aufklärung im Ausland auch auf die Bundesrepublik anzuwenden. Hinzu kommt die Abwehr von Gefahren für IT-Strukturen selbst, mit der unter dem Titel der "sicheren Informationsgesellschaft" nicht nur die Funktionstüchtigkeit administrativer Steuerungs- und Verwaltungseinrichtungen, sondern auch "der Schutz der Endanwender gegen unerwünschte Inhalte" gewährleistet werden soll.

Die Entuferung und Vermischung einst klar definierter Handlungsvorgaben der Strafverfolgung kann geradezu als Grundvoraussetzung einer technokratischen Sachzwanglogik bezeichnet werden, die die Komplexität mikroelektronischer Produktions- und Verwaltungssysteme zum Anlaß exekutiver Ermächtigung nimmt. Um so notwendiger ist es, die Grund- und Bürgerrechte gegen die Zumutungen der Sicherheitstechnokraten zu stärken. Daß dies kaum erfolgt, ist Ergebnis eines politischen Kampfes, der seitens der Bundesregierung und supranationaler Exekutivorgane wie die EU-Kommission und die NATO mit der Behauptung geführt wird, daß die dominante Produktionsweise der Mikroelektronik selbst ein Sicherheitsrisiko darstelle.

Wurde früher zwischen gesetzestreuem und kriminellem Verhalten eindeutig differenziert, so hat der Primat der Prävention die zu regulierende und sanktionierende Normabweichung zum generellen Charakteristikum bürgerlicher Existenz verallgemeinert. Nicht umsonst hat Schäuble die prinzipielle Gültigkeit der Unschuldsvermutung in Frage gestellt, basiert diese doch auf der in seinen Augen überkommenen Sicht, das Individuum gegen den Staat zu definieren. Wenn der Bundesinnenminister konstatiert "Jeder Internet-Nutzer muss wissen, dass er nicht nur für seine, sondern auch für die Sicherheit anderer verantwortlich ist", dann artikuliert sich darin die Virulenz einer Kollektivverdächtigung, die allerdings nur theoretisch alle Bürger betrifft, um ganz praktisch bestimmte Gruppen etwa der linksradikalen Szene drangsalieren zu können.

Die Kritiker der multidimensionalen Errichtung des keineswegs nur virtuellen Sicherheitsstaats befinden sich mit dem Insistieren auf die Gültigkeit verbriefter Rechte auch deshalb in der Defensive, weil sie die ideologischen Weiterungen des Antiterrordiskurses nicht an der Wurzel packen und die Gültigkeit der dabei unterstellten Bedrohung bestreiten. Dazu bedarf es der Kritik der Begründugen, mit denen imperialistische Außenpolitik betrieben wird, ebenso wie der Kritik der kapitalistische Klassengesellschaft und ihrer Zementierung durch die mikroelektronische Produktionsweise. Ein nur liberal argumentierender Bürgerrechtsdiskurs wird die sicherheitstechnische Innovationsoffensive nicht aufhalten, weil er sich auf politökonomischen Grundlagen bewegt, die den Sicherheitspolitikern Munition für ihre Ermächtigungspolitik liefern. Der mit informationstechnischen Systemen beschleunigte Wandel der Vergesellschaftungsform hat nichts geringeres als einen Typus Mensch zum Ziel, der seine Integration in das allgegenwärtige System der Sozialkontrolle als Zuwachs an Überlebenstauglichkeit erlebt. Dem entgegenzuwirken bedarf der schonungslosen Aufklärung über die gesellschaftlichen und sozialökonomischen Folgen der Qualifikation herrschender Verfügungsgewalt, und eben dies soll durch die Observation und Kriminalisierung oppositioneller Kommunikation und Gemeinschaftsbildung verhindert werden.

9. Juli 2009