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REPRESSION/1315: Die ganz alltägliche Überwachungsgesellschaft ...(SB)



Als der Korruptionsbeauftragte der Deutschen Bahn, ein sich als ehemaliger Frankfurter Oberstaatsanwalt frei von Fehl und Tadel präsentierender Ausbund an Gewissenhaftigkeit, Ende Januar gegenüber dem Deutschlandfunk erklärte, daß dem Konzern nicht nur nichts vorzuwerfen sei, sondern daß der Verzicht auf die Überprüfung der Mitarbeiter sogar den staatsanwaltschaftlichen Vorwurf der Untreue durch unterlassene Kontrolle nach sich zöge, da konnte der Bürger gar nicht anders als sich ob dieser massiven Verankerung des Datenschutzes bei der Bahn in rechtsstaatlichem Prozedere bestens aufgehoben zu fühlen. Nun soll Wolfgang Schaupensteiner selbst zum Kreis der Personen zählen, deren Job aufgrund der Bespitzelungsaffäre zur Disposition steht. Der neue Bahnchef Rüdiger Grube hat bereits beim Wiesbadener Justizministerium sondiert, ob eine Rückkehr des Korruptionsbekämpfers in den hessischen Justizdienst möglich wäre, und laut Bild-Zeitung (13.05.200) darauf eine positive Antwort bekommen. Beamte, die sich in guten wie schlechten Zeiten vor ihr Unternehmen stellen, kann man immer gebrauchen, und Ankläger gibt es angesichts des anwachsenden Bergs an umzuverteilender Schuld ohnehin nie genug. Dafür, daß die Dinge nicht so lagen, wie Schaupensteiner behauptete, kann er sicherlich ebensowenig wie die Vorstandsmitglieder, die nun gehen müssen, nicht ohne Wahrung ihrer pekuniären Interessen, sollen sie von den Machenschaften ihrer Untergebenen doch nichts gewußt haben.

So hagelt es Lob von allen Seiten auf den neuen Bahnchef, weil er hart durchgreift und doch nichts auf das Unternehmen kommen läßt. "99,99 Prozent der Bahn-Mitarbeiter haben mit den Vorfällen nichts zu tun", so seine Stellungnahme zu einem betriebseigenen Überwachungssystem, daß hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit nichts zu wünschen übrig ließ und den Sicherheitsapparat eines Kleinstaats neidisch machen könnte. Nur ein kleiner Kreis von Managern habe Fehlverhalten an den Tag gelegt, ansonsten habe niemand etwas von dem monströsen Überwachungssystem gewußt, beschwichtigt Grube all jene, die stasiähnliche Zustände bei der Bahn vermuten. Wie das mit der Untersuchung der angeblichen Korruptionsbekämpfung beauftragte Wirtschaftsprüferunternehmen KPMG herausgefunden hat, konnte ein Kreis von fast 800 Mitarbeitern auf alle 60.000 PCs der Bahn zugreifen, ohne daß deren Nutzer etwas davon merkten, was für eine doch etwas ausgebautere Personaldimension spricht.

Auf jeden Fall waren Experten am Werk, die Festplatten kopierten, die Tastatureingaben protokollierende Überwachungsprogramme installierten, die E-Mails observierten und Recherchen nach verdächtigen Stichworten laufen ließen. Angehörige der Bahnmitarbeiter weiteten den observierten Personenkreis über die 240.000 Mitarbeiter des Konzerns aus, und natürlich hatte man Gewerkschaftsaktivitäten besonders fest im Blick. In mindestens einem Fall wurde eine E-Mails gelöscht, weil darin zum Streik aufgerufen wurde. Auch Mitarbeiter, die sich an die Presse gewandt hatten, genossen die besondere Aufmerksamkeit der unternehmenseigenen Schnüffler. Zur Unterbindung dieser und anderer Mißetaten wurden Detekteien eingeschaltet, die private Konten ausforschten und Daten aus Steuer- und Fahrzeugzulassungsbehörden beschafften, ganz ohne dazu den Richter bemühen zu müssen.

Was nun mit dem Pathos rechtschaffener Empörung überwunden wird, ist die alltägliche Praxis vieler Unternehmen, wie Datenschutzskandale belegen, die nicht von Konzernen in Staatsbesitz verursacht wurden. Die kapitalistische Marktwirtschaft kann auf Einschüchterung und Überwachung ebensowenig verzichten wie jene autoritären Systeme, die den Bürgern als abschreckendes Beispiel vor Augen geführt werden. Gezielt vergessen wird bei aller Aufregung, daß die geschilderten Praktiken zum Einmaleins geheimdienstlicher wie polizeilicher Überwachung gehören. Im Grunde genommen ist also nichts Ungewöhnliches geschehen, deshalb muß der Normalfall nun als Ausnahme von der Regel dargestellt werden. Der in Politik und Medien entfachte Applaus zum entschlossenen Vorgehen Grubes meint vor allem die gelungene Inszenierung und weniger die vollzogenen Maßnahmen, die im wesentlichen bestätigen, daß das Spitzenpersonal so austauschbar wie ihre Kontrollfunktion unentbehrlich ist.

14. Mai 2009