Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

REPRESSION/1313: Grundgesetz zur Disposition des "erweiterten Sicherheitsbegriffs" (SB)



"Es wird mit der SPD definitiv in dieser Wahlperiode keine Verfassungsänderung geben", erklärte der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz in gewohnt eindeutiger Zweideutigkeit zur Absicht der Bundeskanzlerin und ihres Innenministers, die Zuständigkeiten der Bundeswehr durch eine Änderung des Grundgesetzes zu erweitern. Wiefelspütz möchte nicht versäumen, die SPD als zuverlässige Sachwalterin herrschender Interessen zu empfehlen und gleichzeitig den Eindruck zu erwecken, als stemme man sich gegen die fortschreitende Aushöhlung der Bürgerrechte. Was Merkel und Schäuble an dem vermeintlichen Problem festmachen, zur Befreiung gekaperter Schiffe nur die Sondereinheit GSG 9 der Bundespolizei und nicht das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr einsetzen zu können, ist eine Scheindebatte, wie schon das EU-Mandat Atalanta und der dementsprechende Beschluß des Bundestags belegen, laut denen militärisches Vorgehen gegen Piraten legitim sei.

Im Zweifelsfall ermächtigt man die Bundeswehr nicht nur zu kleindimensionierten Operationen, sondern ganzen Kriegen, wie der Überfall der NATO auf Jugoslawien gezeigt hat, an dem die Bundeswehr beteiligt war, obwohl damit gegen grundgesetzliche, strafrechtliche und völkerrechtliche Verbote verstoßen wurden. Während die Debatte um das Für und Wider des Einsatzes der KSK gegen Piraten in die Forderung der Gegner einer Grundgesetzänderung mündet, die GSG 9 besser auszubilden und auszurüsten, damit sie in solchen Fällen schneller eingreifen kann, geht völlig unter, daß Merkel und Schäuble notorisch an der grundgesetzlichen Festlegung sägen, laut der die Bundeswehr ausschließlich für die Landesverteidigung und nicht für polizeiliche Aufgaben zuständig ist.

Damit bleiben auch viele Abgeordneten der Opposition, die sich nicht wie die Sozialdemokraten in alle Richtungen frei halten, um der Staatsräson unter allen Umständen Genüge tun zu können, dem Bürger die Auskunft schuldig, daß es bei den wiederholten Vorstößen in diese Richtung in erster Linie um die Militarisierung der inneren Sicherheit geht. Eine wesentliche Errungenschaft der dominanten Orientierung aller Sicherheitspolitik an der Terrorismusbekämpfung besteht darin, daß die aufgrund der veränderten Bedrohungslage erfolgte Aufhebung des Unterschieds zwischen innerer und äußerer Sicherheit unter etablierten Politikern kaum noch umstritten ist.

Dem "erweiterten Sicherheitsbegriff" liegt die Unterstellung einer Gefahrenlage zugrunde, bei der von vornherein vom kriminellen Charakter terroristischer Anschläge abstrahiert wird, um mit dem Konstrukt politisch motivierter und irregulär ausgeführter Angriffe neue Kompetenzen für den Einsatz von Soldaten zu erwirtschaften. Schon der rot-grüne Verteidigungsminister Peter Struck hat die Devise ausgegeben, daß Deutschland nicht mehr nur in Hindelang, sondern auch am Hindukusch verteidigt werde. Je komplexer die Bedrohungslage, desto deregulierter die Wahl der Waffen, lautet die Gleichung des Sicherheitspolitikers neuen Typs.

Unübersichtlich ist der Terrorkrieg nicht etwa deshalb, weil in afghanischen Berghöhlen sinistre Pläne geschmiedet werden, gegenüber denen die in den Hochzeiten antikommunistischer Systemapologie mit keinem Superlativ zu übertreibende rote Gefahr verblaßt. Gegenüber der klaren Definition klassischer Landesverteidigung im wortwörtlichen Sinn entgrenzt ist das Geschehen von seiner konstitutiven Anlage her, hegemoniale Interessen weit jenseits der Bundesrepublik mit einer Selbstverständlichkeit zu postulieren, als habe es niemals so etwas wie die Verrechtlichung der Staatenordnung nach der UN-Charta gegeben. Dieser im Kern imperialistische Anspruch wird jedoch stets unterschlagen, wenn Sachzwänge postuliert werden, um die Bundesregierung zum weitgehend willkürlichen Einsatz der Streitkräfte zu ermächtigen. Die Diskussion erfolgt quasi voraussetzungslos im leeren Raum eines prospektiven Ausnahmezustands, dem legislativ Rechnung zu tragen sei, indem man ihn zum Normalzustand verstetigt.

Die eigentliche Stoßrichtung dieser Sicherheitspolitik erschließt sich denn auch nur, wenn man in der herrschenden sozialen Widerspruchslage die Position derjenigen bezieht, die Opfer der inneren Aufrüstung sind und sein werden. Was Migranten und Muslime bisher schon am eigenen Leib erleiden mußten, wird auch Bundesbürger ereilen, die nicht bereit sind, die zu Lasten ihrer materiellen Bemittelung und politischen Freiheit gehende Fort- und Festschreibung kapitalistischer Herrschaft zu akzeptieren. Die Militarisierung der Innenpolitik richtet sich stets gegen die eigene Bevölkerung, um zu verhindern, daß das theoretische Subjekt des Volkssouveräns ganz praktisch nach der Macht greift. Was im 60. Jahr des Grundgesetzes und im 20. Jahr des Mauerfalls am Beispiel Hitlerdeutschlands und der DDR exemplarisch vorgeführt wird, soll in der Bundesrepublik unmöglich sein. Warum also wieder einmal bürgerrechtliche Schutzfunktionen aushebeln, wenn das Grundgesetz eine solche Errungenschaft ist, wie in den ihm gewidmeten Feierstunden beschworen wird?

11. Mai 2009