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RAUB/1057: Tierliebe an der Fleischtheke (SB)




3000 Tonnen Pferdefleisch gehen in Deutschland jedes Jahr über die Theken der Metzgereien, die auf Herstellung und Verkauf dieses Nahrungsmittels spezialisiert sind. Inmitten des Skandals um illegale Beimengungen von Pferdefleisch in Fertiggerichten läßt es sich der Deutschlandfunk (15.02.2013) nicht nehmen, einer solchen Schlachterei in Baden-Württemberg einen Besuch abzustatten und aus erster Hand über die angeblichen Vorteile dieser Form des Fleischverzehrs zu informieren. Befragte Stammkundinnen schwärmen über den guten Geschmack, den hohen Eisengehalt, den geringen Fett- und Cholesterinanteil, während der Metzger auf den natürlichen Charakter seines Produkts verweist, ständen die Tiere doch meist auf der Weide und könnten im Unterschied zu anderem Schlachtvieh nicht gemästet werden, weil sie dazu neigen, bei zu viel Verzehr von Gras und Heu eine Eiweißvergiftung zu bekommen.

Nichts erfahren die Hörer darüber, woher die Pferde kommen, die in der breiten Palette ortsüblicher Wurstspezialitäten dieser Metzgerei enden. Unerwähnt bleibt, daß Pferdefleisch aus gesundheitlichen Gründen - hohe Cadmiumbelastung in Nieren und Leber, potentieller Überträger der Trichinellose, mögliche Medikamentenbelastung bei Fleisch von Pferden, die offiziell nicht für die Schlachtung vorgesehen sind - ein "Risikolebensmittel" ist, wie Christina Hucklenbroich in ihrem Blog "Tierleben"[1] ausführt. Während die nüchtern argumentierende FAZ-Bloggerin die häufig anzutreffende Abneigung gegen Pferdefleisch kulturgeschichtlich aus der Christianisierung Pferde opfernder und verzehrender Germanen erklärt, ist diese Aversion für den Pferdemetzger schlicht ein "Kopfproblem". Warum auch sollen Schweine, die dem Menschen physiologisch weit ähnlicher sind als Pferde, eher zum Verzehr geeignet sein als sogenannte Nutztiere, auf deren Rücken ein höchst einseitig verteiltes Glück liegen soll?

Die Sache ist nicht nur irrational, sie ist bestimmt von einer Ignoranz Schlachttieren gegenüber, die am Ende jeder auch noch so artgerechten Haltung zum Produkt herabgewürdigt werden, um den Schmerz jener Ohnmacht zu erleiden, leben zu wollen und doch gewaltsam des Lebens beraubt zu werden. Den Kampf gegen Massentierhaltung nicht nur als Kampagne zur Qualitätssicherung in der Fleischproduktion und zum Schutz der Umwelt zu führen, sondern Tierwohl zu propagieren, indem das kleinere Übel eines weniger leidvollen Lebens, das dennoch auf der Schlachtbank endet, akzeptabel gemacht wird, ist mit dem unauflösbaren Widerspruch behaftet, zu zerstören, was angeblich gerettet werden soll. Die Tabuisierung des Pferdefleischkonsums mag kulturell verankert sein wie viele andere vor allem religiös bestimmte Ernährungseinschränkungen. Die durch die irreführende Verwendung dieses Fleischs im sogenannten Convenience Food ausgelöste Aufregung wäre jedoch nicht halb so groß, wenn etwa undeklariertes Huhn in Hamburger und Lasagne gewesen wäre.

Auch stellen die Spuren des Medikaments Phenylbutazon, die in von Britannien nach Frankreich exportiertem Pferdefleisch festgestellt wurden, nicht nur eine Gefährdung des Menschen dar. Was dieser als Rheumamittel verwendet, wird in der Tiermedizin unter anderem zur Leistungssteigerung bei Rennpferden eingesetzt. Der immer wieder erhobene Vorwurf des Dopings mit Phenylbutazon nährt den von Tierschützern ausgesprochenen Verdacht, daß ausgediente oder verunglückte Rennpferde mitunter beim Pferdemetzger enden. Laut der britischen Tierschutzorganisation Animal Aid [2] setzen die Züchter von Rennpferden in Britannien und Irland jedes Jahr etwa 18.000 Fohlen in die Welt. Von diesen sollen nur 40 Prozent in diesem die Herrschaft des Menschen über das Tier auf demonstrative Weise feiernden Sport zum Einsatz gelangen. Die Tierschützer werfen der Wettindustrie vor, mit daran schuld zu sein, daß rund 400 Pferde jährlich bei den Rennen sterben und daß Tiere, die gar nicht erst auf die Rennbahn gelangen, womöglich in der Pferdemetzgerei enden.

Es ist also mehr dran an diesem Skandal, als der Fingerzeig in Richtung rumänischer Pferdeschlachter und mafiöser Fleischverschieber erkennen läßt. Das Bild vom Pferd als treuem Freund des Menschen ist so fadenscheinig und rissig, daß das Gewaltverhältnis zwischen Mensch und Tier an allen Ecken und Kanten durchlugt. Wenn in Britannien jedes Jahr rund 9000 Pferde geschlachtet werden, doch das Fleisch fast ausschließlich in den Export geht, weil sein Verzehr dort höchst unbeliebt ist, dann werden die Kunden durch das unwillkommene Pferdefleisch in den Angeboten der Supermarktketten von etwas eingeholt, was sie nicht wahrhaben wollen. Wenn Tierausbeutung nicht nur auf dem Teller stattfindet, sondern als Unterhaltungs- und Wettspektakel inszeniert wird, dann erweist sich jene Empathie, die an der Fleischtheke zur Entscheidung für oder gegen bestimmte Tiere führt, als bloßer Reflex auf das Unvermögen, das Problem der Verstoffwechselung anderer Lebewesen zu konfrontieren. Allesamt schmerzempfindende Wesen, über die in Sachen Leben und Tod zu befinden nichts daran ändert, daß der Mensch der von ihm verübten Gewalt in seinem Scheitern an den Bedingungen des Lebens unablässig wiederbegegnet.

Fußnoten:

[1] http://faz-community.faz.net/blogs/tierleben/archive/2013/02/13/pferdefleisch-woher-die-grosse-empoerung-kommt.aspx

[2] http://www.animalaid.org.uk/h/n/CAMPAIGNS/horse/ALL/604/

15. Februar 2013