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RAUB/1165: Kalifornien - Ökookkupationsvorwände ... (SB)



No carbon colonialism. No REDD+. No commodifcation of the air.
No land grabs. No carbon pricing.
Mother Earth and Father Sky are not for sale.

Open Letter from the Indigenous Peoples of the world to the Governor of California and the Governor's Climate and Forests Task Force [1]

Einer Regierung gegenüber, die aus dem Klimavertrag von Paris aussteigt und Förderung wie Verbrauch fossiler Energien politisch unterstützt, erscheinen auch halbgare Konzepte zur Verhinderung des Klimawandels wie ausgewachsene Lösungen zur Rettung des Planeten. Gouverneur Jerry Brown, der die politische Führung einer wirtschaftlichen Supermacht innehat, wäre Kalifornien als souveräner Staat nach ökonomischen Kriterien doch der zehntgrößte Staat der Welt, hebt sich mit seinen Aussagen zum Klimaschutz wohltuend von US-Präsident Donald Trump ab, der den globalen Brand anheizt, als gäbe es kein Morgen. Doch der Gastgeber des Global Climate Action Summit (GCAS), der vom 12. bis 14. September in San Francisco stattfand, ist alles andere als ein Klimaheld ohne Fehl und Tadel.

4000 Delegierte aus 17 Staaten und 400 Städten hatten sich dort versammelt, um über Maßnahmen zum Klimaschutz auf subnationaler Ebene zu beraten. In den USA firmiert diese Bewegung seit dem Weltklimagipfel in Bonn als We Are Still In (WASI)-Coalition. Dieses Bündnis aus Landes- und Stadtregierungen, Unternehmen, Religionsgemeinschaften, Bildungseinrichtungen und anderen zivilgesellschaftlichen Institutionen nimmt für sich in Anspruch, etwa die Hälfte der US-Bevölkerung mit dem Bekenntnis zu vertreten, sich trotz des Austrittes der USA aus dem Klimavertrag von Paris weiterhin an dessen Inhalt gebunden zu fühlen. Der Mitveranstalter des GCAS und UN-Sondergesandter für Klimaschutz, der ehemalige Bürgermeister von New York City, Michael Bloomberg, im Nebenberuf mit einem Nettovermögen von 52 Milliarden Dollar elftreichste Person der Welt, meint denn auch, mit WASI eine Bewegung "von unten" zu vertreten.

Bezeichnenderweise fanden außerhalb des Gebäudes, in dem der GCAS unter Teilnahme grüner VorzeigepolitikerInnen aus aller Welt stattfand - als Gäste aus der Bundesrepublik waren unter anderem Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart und die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock angekündigt -, große Demonstrationen und Blockaden nicht zu der Konferenz eingeladener AktivistInnen statt. Ein Demonstrationszug mit 30.000 TeilnehmerInnen, auf dem unter dem Motto "Leave It In The Ground" das Ende der Förderung fossiler Energien verlangt wurde, eröffnete die Tage des Protestes. Am Eröffnungstag des Gipfels fand unter dem Motto "Stand with Communities, Not Corporations" eine Blockade des Veranstaltungszentrums statt, die dafür sorgte, daß die Delegierten stundenlange Verzögerungen in Kauf nehmen mußten [2].

Die sich selbst als Klimagerechtigkeitsbewegung verstehenden Akteure aus dem sozialökologischen Widerstand wissen sehr genau, was es heißt, wenn Regierungen und Industriekonzerne die Agenda bestimmen, während sie draußen vor der Tür bleiben müssen. Im Mittelpunkt des GCAS standen denn auch Beratungen zur weiteren Etablierung "marktförmiger Lösungen". Diese gehen stets einher mit einer Ökonomisierung der Natur, die Menschen, die ohnehin nichts außer dem Land, auf dem sie leben, zu verlieren haben, in ihrer Existenz bedroht, um an anderer Stelle unverändert natürliche Ressourcen zur Steigerung des Wachstums und der Wettbewerbsfähigkeit verheizen zu können.

Viele von den in San Francisco demonstrierenden AktivistInnen stehen, weil sie neben Raffinerien wohnen und deren giftige Ausdünstungen einatmen oder von REDD-Waldschutzmaßnahmen in ihrer Subsistenz eingeschränkt werden, tatsächlich an vorderster Front des Klimawandels. Wenn Spitzenpolitiker wie Jerry Brown sich als Klimaschützer präsentieren, werden die von ihrer Politik betroffenen Menschen regelrecht dazu herausgefordert, ihnen laut zu widersprechen. Auf dem Weltklimagipfel in Bonn führte das zu einem kleinen Eklat. Eine öffentliche Rede Browns wurde von Sprechchören indigener KlimaaktivistInnen unterbrochen, die ihm "Keep It In The Ground" entgegenhielten. Seine Antwort hätte die Verächtlichkeit eines weißen Bourgeois gegenüber nichtweißen Menschen nicht besser dokumentieren können: "I agree with you, in the ground. Let's put you in the ground so we can get on with the show here" [3].

Tatsächlich muß der kalifornische Gouverneur um den Bestand seines grünen Images fürchten. So wurden während seiner Amtszeit seit 2011 über 20.000 Genehmigungen für neue Bohrungen zur Erdölförderung erteilt, Fracking wurde zwar eingeschränkt, aber nicht verboten, und die Verarbeitung von Rohöl aus dem Amazonas-Becken, wo es unter Vernichtung von Regenwald gefördert wird, durch kalifornische Raffinerien zugelassen. Der Hafen von Oakland soll für den Export von Kohle umfassend ausgebaut werden, wogegen sich bereits lokaler Protest formiert hat. Brown entließ ohne Angabe von Gründen zwei Regierungsbeamte, die vor der Vergiftung des Grundwassers durch die Ölförderung warnten, und unterhält, so seine KritikerInnen, bis heute enge Beziehungen zur Ölindustrie des Staates [4].

Zudem basiert das Gros der Klimagesetzgebung Kaliforniens auf dem Cap and Trade-Mechanismus, also der Flexibilisierung von CO2-Emissionen durch Begrenzung und Handel. Unternehmen und Institutionen, die ihr Limit an freigesetzten CO2-Äquivalenten nicht erreichen, können dadurch unverbrauchte Verschmutzungsrechte an Unternehmen und Institutionen verkaufen, die ihre Emissionsquote überschreiten und weitere Schadstoffe freisetzen wollen. Während das kalifornische Emissionshandelssystem immanent dafür kritisiert wird [5], daß viel zu viele Zertifikate kostenlos ausgegeben oder zu einem zu niedrigen Preis an den entsprechenden Börsen gehandelt werden, während die davon betroffenen Unternehmen staatliche Vergünstigungen zum Ausgleich für mögliche Verluste erhalten, so daß es kaum zu Emissionsreduktionen kommt, krankt es grundsätzlich daran, daß die primäre Freisetzung klimaschädlicher Gase nicht unterlassen, sondern anhand "marktbasierter Mechanismen" mit einem Preis versehen wird, der als geldförmige Investition am Finanzmarkt völlig abgekoppelt vom eigentlichen Ziel der Maßnahme zu einem bloßen Handelsgut wird.

Da die auf dem GCAS angestrebte Einhaltung der Ziele des Pariser Abkommens vor allem über Carbon Pricing, also die Einrichtung neuer Karbonmärkte und die Entwicklung dadurch finanzierter Technologien und Infrastrukturen, verhandelt wurde, gingen die dort versammelten Akteure kaum über die Reduzierungsmaßnahmen hinaus, die auf internationaler Ebene festgelegt wurden. Mitte des Jahrhunderts eine "Karbonneutralität" von Netto Null ("net-Zero") [6] zu erreichen ist nicht das gleiche wie zu fordern, jegliche Form der Freisetzung von CO2-Äquivalenten, die sich irgendwie vermeiden lassen, an ihrer Quelle zu unterbinden. Die Netto Null ist das Produkt eines Rechenexempels, dem die Quantifizierung der CO2-Emissionen und ihrer Skalierung als CO2-Äquivalente zur Erfassung anderer klimawirksamer Gase wie Kohlenstoffdioxid (CO2), Methan oder Distickstoffmonoxid zugrundeliegt. Auf der einen Seite des Gleichheitszeichens werden Verschmutzungskontingente, also tatsächlich erfolgende wie fiktiv unterbleibende Emissionen, so gegeneinandergerechnet, daß auf der anderen Seite eine Null erscheint. Der häufig anzutreffenden Legitimation den Klimawandel angeblich begrenzender Produktionsweisen oder Verbrauchsformen als "klimaneutral" liegt keine andere Rechenoperation zugrunde.

Diese hochabstrakte Scharade zu dechiffrieren hat sich die Klimagerechtigkeitsbewegung in den USA und Kanada zumindest vorgenommen. Ihr hoher Anteil an indigenen AktivistInnen erinnerte an die jüngere Geschichte des Kontinents, fielen seine Bevölkerungen doch einer kolonialistischen Besiedlungspolitik zum Opfer, die sie nicht nur zahlenmäßig stark dezimierte, sondern ihre soziale Ausgrenzung und Diffamierung im rassistischen Klima der weiß dominierten US-Gesellschaft bis auf den heutigen Tag festschreibt.

Um so bedeutsamer für die Klimagerechtigkeitsbewegung in der EU ist die von Akteuren wie dem Indigenous Environmental Network (IEN), die zu den maßgeblichen Aufrufern zu den Anti-GCAS-Protesten gehören, bereits geleistete Kritik an der Einspeisung der Natur in die Verwertungsprozesse des grünen Kapitalismus [7]. Daß diese Debatte hierzulande kaum begonnen hat, ist für die Verwirklichung anspruchsvoller Ziele zur Begrenzung des Klimawandels wenig förderlich. Wer über übliche Bündniskonstellationen an kontraproduktiven Strategien des grünen Kapitalismus beteiligt ist, tut sich meist schwer damit, symbolpolitische Manöver und materielle Reduktionsprozesse auseinanderzudividieren. Um so erhellender ist es, etwa anhand des Kampfes der Native Americans gegen den Bau der Dakota Access Pipeline (DAPL) [8] etwas über die komplexen Strategien einer fossile Energie wie einen Suchtstoff konsumierenden und deren Eigentumsordnung mit grüngefärbten Scheinlösungen verteidigenden Gesellschaftsordnung zu lernen. Im Endeffekt kämpfen die an vorderster Front des Klimawandels lebenden Menschen nicht gegen abstrakte Naturprozesse, sondern gegen kolonialistische Gewalt.

Der an Jerry Brown adressierte Offene Brief nennt denn auch beim Namen, was alles von einem Klimaschutz zur Disposition gestellt wird, der partikulare Besitzstandinteressen im Zeichen ungebrochenen Wirtschaftswachstums verteidigt. REDD+ und Extraktivismus, diese beiden vermeintlich entgegengesetzten Formen des Waldschutzes und der Vernichtung des Waldes, sind für die indigenen AktivistInnen zwei Seiten einer Medaille, produzieren doch beide gewaltsame Enteignung, Vertreibung, Entrechtung, Ermordung und Zerstörung.


Fußnoten:

[1] https://amazonwatch.org/assets/files/2018-09-10-open-letter-to-gov-brown.pdf

[2] https://www.counterpunch.org/2018/10/24/why-good-liberals-wont-save-the-climate/

[3] http://www.idlenomoresfbay.org/idle-no-more-sfbay-blog

[4] https://calmatters.org/articles/jerry-brown-california-environmental-policy-critics-oil/

[5] https://calmatters.org/articles/checking-the-math-on-cap-and-trade-some-experts-say-its-not-adding-up/

[6] https://www.globalclimateactionsummit.org/call-to-action/

[7] BERICHT/110: Naturbegriffe - rechen-, teil- und handelbar ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0110.html

[8] BERICHT/107: Naturbegriffe - die immer gleichen Absichten ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0107.html

26. Oktober 2018


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